66 seconds for the future - forum zeigt Zukunftsgestalter:innen und Nachhaltigkeitspionier:innen
Gesellschaft | Politik, 10.04.2022

Anstand, Ehrgefühl und Respekt vor dem Leben

Christoph Quarch fordert dazu auf, sich angesichts des Grauens in der Ukraine der medialen Verrohung im eigenen Land entgegenzustellen

Systematische Exekutionen von Zivilisten, planmäßige Vergewaltigungen von Frauen, Schändungen von Leichen. Die Liste der mutmaßlich von Angehörigen der russischen Streitkräfte begangenen Kriegsverbrechen in der Ukraine wird Tag für Tag länger. Augenzeugenberichte und Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen lesen sich wie ein Panoptikum des Grauens. Zumal die Verbrechen nach heutigem Erkenntnisstand nicht von marodierenden Söldnern verübt wurden, sondern auf Anordnung russischer Offiziere. Wie kann man mit einer derart trostlosen Situation umgehen? Darüber sprechen wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
 
Herr Quarch, kann einem die Philosophie angesichts des Grauens in der Ukraine irgendeinen Trost spenden?
© David Peterson, pixabay© David Peterson, pixabay
Ehrlich gesagt: Nein. Eher verschärft sie die Verzweiflung. Denn als Philosoph ist einem klar, dass die Verbrechen, die an der ukrainischen Zivilbevölkerung begangen werden, nicht allein die Opfer und ihre Angehörigen betreffen, sondern jeden einzelnen Menschen auf unserem Planeten. Was dort geschieht, ist ein Angriff auf die Menschheit, deren Würde auf eine barbarische Weise verletzt wird. Dabei werden nicht nur die Opfer ihrer Humanität beraubt. Auch die Täter enthumanisieren sich selbst. Und dass die verantwortlichen Militärs und Politiker, die so etwas nicht nur dulden, sondern anordnen, unbehelligt bleiben könnten, ist schlechterdings unerträglich.

Die Verantwortlichen könnten vor einem internationalen Kriegsverbrechertribunal angeklagt und zur Rechenschaft gezogen werden, wie die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer, gefordert hat.
Ja, aber ob es jemals dazu kommen wird, ist mehr als fraglich. Zumal berichtet wird, dass die russischen Streitkräfte systematisch die Spuren ihrer Schandtaten vertuschen. Trotzdem ist es von allergrößter Wichtigkeit, dass wir den Glauben an die internationale Rechtsordnung bewahren. Wieviel Jahrhunderte hat die Menschheit gebraucht, bis sie sich auf die Genfer Konventionen oder die Haager Landkriegsordnung verständigen konnte? Es ist schlimm genug, dass es die russische Armee diese Errungenschaften mit Füßen tritt. Aber noch schlimmer wäre es, wenn wir aufhörten, uns auf das Recht zu berufen und auf seine Einhaltung zu pochen. Dann würden wir vor dem Bösen kapitulieren.

Können die Verbrechen, die in der Ukraine verübt werden, überhaupt jemals gesühnt werden?
Ich glaube, es gibt ein Ausmaß an Bosheit und Niedertracht, das unverzeihlich ist. So war es bei den Gräueltaten des Holocaust und so ist es auch bei dem, was in Batschi und andernorts geschehen ist. Hier hat man es mit dem Bösen in seiner radikalsten Erscheinungsform zu tun, bei der nicht nur Menschenleben vernichtet werden, sondern zugleich alle Werte und jeder Sinn – ja, die Humanität selbst. Man müsste ein gnädiger Gott sein, wenn man den Urhebern solcher Verbrechen vergeben wollte. Als Menschen bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als irgendwie mit dem Faktum des Bösen zu leben und unseren Lebenssinn darin zu finden, alles daran zu setzen, dass so etwas nie wieder geschieht; wohlwissend, dass die Barbarei vermutlich unausrottbar ist.

Das klingt nach einem verzweifelten Trotzdem. Wollen Sie damit unsere Leserinnen und Leser in das Osterwochenende entlassen?
Ungern, aber es wäre einfach nicht redlich, in dieser Angelegenheit Optimismus zu versprühen. Selbst wenn ich jetzt darauf hinwiese, dass erstaunlicherweise viele Kriegsverbrecher – etwa aus den Balkankriegen – zuletzt doch noch vor Gericht gestellt wurden, wäre das kein echter Trost. Nach meiner Erfahrung gibt es nur eine erfolgreiche Strategie, wie man mit dem Horror dieser Tage umgehen kann: nach vorne schauen und tätig werden; überlegen, was wir hier in Deutschland tun können, um der Barbarei zu wehren. Und da gibt es eine Menge zu tun. Denn Anstand, Ehrgefühl, Respekt vor dem Leben; das alles ist auch bei uns bedroht. In den sozialen Medien wird ebenfalls gemeuchelt und geschändet, was das Zeug hält. Bislang nur mit Worten, aber wer verbal verroht, wird seiner Niedertracht auch Taten folgen lassen. Hier sind wir alle gefragt: Deshalb – auch wenn es noch so berechtigt ist: Nicht nur Finger Pointing auf die Russen, sondern bitte auch ein beherzter Griff an die eigene Nase. Wehret den Anfängen!

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph QuarchDer Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch






Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 



Autor: Christoph Quarch
Weitere Artikel von Christoph Quarch:

"Gerechtigkeit – soziale Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit – ist so etwas wie die Gesundheit des Gemeinwesens"
Christoph Quarchs philosophische Überlegungen zur Kinderarmut in Deutschland

Knapp drei Millionen Kinder und Jugendliche leben in Armut. Das entspricht etwa jedem fünften Kind, also zwanzig Prozent. Darüber hinaus gelten mehr als zwei Millionen Kinder als armutsgefährdet, weil sie in Haushalten leben, deren Einkommen unter 60 % des mittleren Einkommens liegt. Damit liegt Deutschland auf Platz 25 von 39 untersuchten OECD- und EU-Staaten...


Investitionen ermöglichen Zukunft
Christoph Quarch analysiert die aktuellen Debatten im Bundestag aus philosophischer Sicht

In Berlin wird in dieser Woche über Geld diskutiert - viel Geld. Kredite in Höhe von 81,8 Milliarden Euro will Bundesfinanzminister Lars Klingbeil in diesem Jahr aufnehmen, knapp 90 Milliarden sollen in 2026 folgen - und das bei Ausgaben von 503 Milliarden Euro noch in diesem Jahr.


"Kulturpolitik, Literatur und die Freiheit des Wortes"
Christoph Quarch wünscht sich Literatur, die groß ist in dem, was sie zeigt, nicht in dem, was sie will

In dieser Woche findet in Darmstadt die Jahrestagung des deutschen PEN-Zentrums statt. Das Thema der Zusammenkunft der Schriftstellervereinigung lautet in diesem Jahr "Kulturpolitik, Literatur und die Freiheit des Wortes". Damit wollen die im PEN organisierten Autorinnen und Autoren ein deutliches Zeichen gegen zunehmende antidemokratische und rechtspopulistische Tendenzen setzen, die systematisch die Freiheit des Wortes und der Literatur einschränken.


Die Meere sind mehr als eine nutzbare, noch unerschlossene Ressource
Christoph Quarch hat die UNO-Ozeankonferenz beobachtet

Heute endet im südfranzösischen Nizza die UNO-Ozeankonferenz. Vertreter aus rund 130 Staaten haben eine Woche lang daran gearbeitet, einen Maßnahmenkatalog aufzustellen, um die Meere besser von Übersäuerung, Überfischung, weiterer Erwärmung und zunehmender Vermüllung zu schützen. Ob die vorgesehenen Maßnahmen reichen werden, um das größte Ökosystem der Welt zu bewahren...


Ohne moralische Werte verliert eine Gesellschaft den inneren Zusammenhalt
Christoph Quarch analysiert die Streichung von Diversität und Geschlechtergerechtigkeit bei SAP

So weit sind wir also schon: Das Softwareunternehmen SAP verabschiedet sich von Diversität und Geschlechtergerechtigkeit. Medien berichten, das Unternehmen habe beschlossen, nicht länger einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent in der Belegschaft erreichen zu wollen. Auch bei der Vorstandsvergütung soll Geschlechtervielfalt als Bewertungsmaßstab gestrichen werden.




     
        
Cover des aktuellen Hefts

Der Wert der Böden

forum 03/2025

  • Zukunftsfähig essen
  • Klima-Transitionsplan
  • Wasser in der Krise
  • Omnibus
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
21
AUG
2025
BIOTEXFUTURE - Sonderausstellung
Zukünfte der textilen Wertschöpfungskette
90403 Nürnberg, 7.8.-14.9.2025
13
SEP
2025
Corso Leopold
Festival der Ideen - Alles beginnt. Jetzt.
80804 München, Leopoldstraße
13
OKT
2025
24 Stunden von der Natur lernen
Für wirksames Leadership und echte Transformation
73525 Schwäbisch Gmünd
Alle Veranstaltungen...

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Politik

Sind wir alle viel zu geldfixiert geworden?
Mit Blick auf auf das Börsenchaos überlegt Christoph Quarch, was ein gutes Leben ausmacht
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

Refurbished IT erklärt: Was Unternehmen wissen müssen - Vorteile & Qualität

Umweltbewusst gestaltete Folienprodukte von The Sustainable People - für Kommunen, Unternehmen und VerbraucherInnen

Kenvue fördert Produkttransparenz: Adaption des EcoBeautyScore durch Neutrogena® in Deutschland

Value Media - von Reichweite zu Relevanz

Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie kontert Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche in einem offenem Brief

Grundstein für die Energiewende

Moor-PV: Chance für Klimaschutz, Energiewende und Landwirtschaft

Zusammen.Wohl.Sein

  • TÜV SÜD Akademie
  • Global Nature Fund (GNF)
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • circulee GmbH
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • toom Baumarkt GmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • NOW Partners Foundation
  • TÜV SÜD Akademie
  • Global Nature Fund (GNF)
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • circulee GmbH
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • toom Baumarkt GmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • NOW Partners Foundation