Christoph Quarch

Ohne moralische Werte verliert eine Gesellschaft den inneren Zusammenhalt

Christoph Quarch analysiert die Streichung von Diversität und Geschlechtergerechtigkeit bei SAP

So weit sind wir also schon: Das Softwareunternehmen SAP verabschiedet sich von Diversität und Geschlechtergerechtigkeit. Medien berichten, das Unternehmen habe beschlossen, nicht länger einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent in der Belegschaft erreichen zu wollen. Auch bei der Vorstandsvergütung soll Geschlechtervielfalt als Bewertungsmaßstab gestrichen werden. Und das Büro für Diversität und Inklusion wird seine Eigenständigkeit verlieren. Begründet werden die Maßnahmen mit der starken Präsenz von SAP in den USA. Knickt hier ein großes Unternehmen - in vorauseilendem Gehorsam - vor den neuen Machthabern der Vereinigten Staaten ein? Laufen wir Gefahr, unsere Werte zu verraten? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
 
Herr Quarch, Opportunismus oder wirtschaftliche Rationalität - was treibt SAP?
© Geerd Altmann, pixabayAuf den ersten Blick würde ich sagen: Opportunismus. Aber das ist es nicht allein. Hinter dem Opportunismus steht immer die Angst - und damit der eigentliche Treiber des ökonomischen Denkens, das nicht nur alle Konzerne und Unternehmen beherrscht, sondern unser aller Denken und Handeln: die Angst vor dem ökonomischen Niedergang; die Angst, vom Konkurrenten verdrängt zu werden; die Angst vor Wohlstandsverlust. Diese Angst wird von den US-amerikanischen Neofaschisten - wie überhaupt von allen Rechtspopulisten - erst angeheizt und dann nutzbar gemacht, um die freie Gesellschaft zu zerstören. Wer bei diesem Spiel mitspielt, ist deshalb nicht nur opportunistisch, sondern auch ängstlich.

Aber die Angst ist doch begründet. Ein Unternehmen wie SAP ist ein großer Arbeitgeber. Wenn die Aufträge aus den USA wegbrechen, droht ein enormer wirtschaftlicher Schaden.
Natürlich ist die Angst berechtigt - aber die Frage ist doch, wie man damit umgeht: ob man vorauseilend einknickt oder versucht, den Widerstand zu organisieren. Was ich ethisch - und ökonomisch - fragwürdig finde, ist der Umstand, dass im Falle von SAP davon nichts zu sehen ist; ausgerechnet von SAP, die einmal ihren Mitarbeitern Achtsamkeitstrainings verordnet und sich als wertorientierter Arbeitgeber präsentiert haben. Man ist doch nicht allein auf der Welt. Man ist ein europäisches Unternehmen und könnte den Schulterschluss mit anderen europäischen Unternehmen und der europäischen Politik suchen, um den MAGA-Faschisten deutlich zu machen: „Wir lassen uns von euch nicht unsere Werte zerstören. Und schon mal gar nicht, wenn es um Geschlechtergleichheit geht. Da halten wir es eher mit unserer Verfassung als mit eurer toxischen Männlichkeit."

Vielleicht denken die Verantwortlichen bei SAP so aber gerade NICHT. Könnte es sein, dass Geschlechtergerechtigkeit eigentlich nie ein Herzensanliegen der Unternehmen war und sie sich deshalb auch nicht schwer damit tun, entsprechende Programme zu opfern?
Da könnte etwas dran sein - was die Sache allerdings nicht besser, sondern eher noch schlimmer machen würde. Denn das würde bedeuten, dass wir es als Gesellschaft nicht geschafft haben, unsere Verfassungswerte ernst zu nehmen. Oder noch bedenklicher: Es würde bedeuten, dass wir - gerade in der Wirtschaft - wenn es hart auf hart kommt, überhaupt keine moralischen Werte mehr gelten lassen und lediglich ökonomische Werte zulassen. Bedenklich ist das vor allem deshalb, weil eine Gesellschaft ohne moralische Werte den inneren Zusammenhalt verliert. Jeder denkt dann nur noch an sich selbst - und ist folglich auch unfähig, sich mit anderen zu solidarisieren, um gemeinsam für die eigenen Werte einzutreten; siehe SAP.

Die MAGA-Bewegung in den USA reklamiert für sich doch aber, die Sachwalterin traditioneller christlicher Werte zu sein, etwa der traditionellen Familie.
Das Verhängnisvolle an Werten ist, dass man sie instrumentalisieren und als Werkzeuge von Macht und Gewalt missbrauchen kann. Ausgerechnet der Kronjurist des 3. Reiches, Carl Schmitt, hat in diesem Zusammenhang von der "Tyrannei der Werte" gesprochen. Genau damit arbeitet die neue Rechte. Sie wirft ihren als "Woke" diffamierten Gegnern vor, mit ihren Werten andere zu tyrannisieren - nur um eine echte Tyrannei auf Basis der vermeintlichen eigenen Werte zu errichten. Tatsächlich werden die Rechten aber nicht von Werten bewegt, sondern von blanker Machtgier. Und deshalb kann und muss man ihnen mit echten Werten begegnen - Werten, die aus der Achtung vor dem Menschsein und der Leben erwachsen. Werte wie Geschlechtergerechtigkeit, die Menschen verbinden und Kulturen erblühen lassen. Sie zu verraten heißt am Ende immer, an dem Ast sägen, auf dem man sitzt. 
 
Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
 
 
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org

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