Raus aus der Kuschelecke

Was sind "wirklich nachhaltige" Innovationen? - Der T(h)urmblick

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hielt beim World Economic Forum 2011 eine Rede vor Hunderten von CEOs, bei der er einige Sätze sagte, die mich aufhorchen ließen: "Our current economic model is a global suicide pact. We mined our way to growth. We burned our way to prosperity. We believed in consumption without consequences. Those days are gone".


Foto: © freshidea, Fotolia.com
Damit zeigte Ki-Moon eindrücklich auf, wie wichtig ihm ein neues Wirtschaftsmodell ist. Dafür wären neue Rahmenbedingungen nötig, aber auch eine radikalere Sichtweise auf nachhaltige Innovationen. Denn was lesen wir nicht alles über die sogenannte "Green & Inclusive Economy", die politische Absichtserklärung der Rio+20 Konferenz aus dem vergangenen Jahr? Wie oft hören wir von der marktverändernden Innovation, mit der Firma XY eine neue Epoche einleitet? Was aber ist eigentlich eine "wirklich nachhaltige" Innovation? Welche Maßstäbe muss man anlegen, um sich ein qualifiziertes Urteil zu bilden? Mit diesen drei Aspekten kommen wir der Antwort näher:
  1. Innovationen, die die Effizienz erhöhen:
    Dies sind meistens sogenannte Prozessverbesserungen, die durch höhere Spezialisierungsgrade in Beschaffung, Produktion, Transport und Logistik zustandekommen. Was oftmals zu Kostensenkungen pro Produkteinheit beim Endproduzenten führt und einen Wettbewerbsvorteil bringt, verbraucht meist mehr Ressourcen und Energie, wofür letztlich die Umwelt zahlt. Weltweit gesehen haben Effizienzprogramme den absoluten Ressourcen- und Energieverbrauch beschleunigt. Die zusätzliche Überbrückung von Raum und Zeit, die durch Outsourcing und Lean Management, also Dezentralisierung und Simultanisierung von Prozessen, en vogue war und ist, ist ein Sargnagel für unser Fortbestehen und alles andere als eine "nachhaltige" Innovation.
  2. Innovationswellen seit Beginn der Industrialisierung:
    Wir bejubeln bahnbrechende Innovationen und sind gemäß Kondratieffs Zyklen nun bei der sechsten Innovationswelle angelangt. Jeder der Zyklen propagierte ein bestimmtes Technikparadigma, der letzte die Digitalisierung. Nun hat das Zeitalter der Biotechnologie begonnen. Man mag konstatieren, wir hätten eigentlich alles erfunden, was wir brauchen, um das Überleben der Menschheit zu sichern, wie z.B. Erneuerbare Energien, Nanotechnologie, genetische Modifizierung. Aber die Beharrlichkeit der bestehenden Wirtschaftsstrukturen verlangsamt deren Einführung, so dass der Fortschritt zu lange dauert. Dadurch sind die Produktionsanlagen und Produkte vorheriger Zyklen weiterhin in großem Maße im Einsatz und tragen noch immer zu einer absoluten Zunahme von Ressourcen- und Energieverbrauch bei. Materialien sind durch die Vermischung von Stoffen, das Anreichern mit Giften und die ungebrochene Wegwerfmentalität zum Teil auch nicht mehr sinnvoll zurückzugewinnen. Ein Mutantenstadel an "Stranded Assets" und - solange noch in Gebrauch - ein weiterer Sargnagel für unser Fortbestehen. "Wirklich nachhaltig innovativ" ist nur, was Altes komplett abschafft oder neutralisiert.
  3. Rebound-Effekte:
    "Wirklich nachhaltig" wird weiterhin nur das sein können, was sogenannte Rebound-Effekte ausschaltet. Diese bestehen in vielerlei Hinsicht, zum Beispiel materiell: Wir machen unser Leben immer mehr von Maschinen abhängig. Was früher von Hand erledigt werden konnte, soll nun elektrisch geschehen und verbraucht Energie. Warum eigentlich sind wir zu solchen Energiejunkies geworden? Demografisch: Wir werden immer mehr Menschen auf dieser Welt und häufen immer mehr materielle Besitztümer an; finanziell: Billigere Produkte führen zu Mehrkonsum, ebensolche Effekte haben Einkommenserhöhungen; psychologisch: Eigentlich paradox, aber umweltfreundliche Produkte führen zu Mehrbenutzung (man muss ja kein schlechtes Gewissen mehr haben); politisch: Wachstum ist der Notnagel kollabierender Staatsfinanzen und Sozialsysteme und überdeckt die Unfähigkeit der Politiker zu "wirklich nachhaltigen" Budgets; und schließlich Investitionsverständnis: Wir glauben noch immer, dass alle Investionen durch Schulden finanziert werden müssen. Somit müssen wir zusätzlich Zinsen zurückverdienen. Die sogenannte optimale Kapitalallokation, die Schuldenmachen oftmals als sinnvoll suggeriert, hat die Rechnung halt auch ohne den Planeten gemacht. Nun ja, noch ein Sargnagel mehr.
Wirklich nachhaltig kann also nur agieren, wer minimal folgende Punkte berücksichtigt:
  • "Wirklich nachhaltige" Innovationen beziehen in ihrer Planung die Internalisierung externer Kosten wie den Verbrauch natürlicher Ressourcen mit ein und reflektieren die "wahren" Preise. Ein Unternehmen, das sich dieser Kalkulation verweigert, nimmt sich Zukunftschancen. Puma, das als erstes Unternehmen eine ökologische Gewinn- und Verlustrechnung durchgeführt hat, zeigt uns, welche Innovationsanreize dies auslösen kann.
  • Unternehmer sollten auch Wort ergreifen für den Umbau des Steuersystems. Es ist "wirklich nachhaltig" innovativ, wenn Ressourcenverbrauch anstelle von Arbeitskraft besteuert wird, so dass der Bürger bei steigenden Preisen durch internalisierte externe Kosten bei den Produkten eine ausgleichende Steuerentlastung durch verminderte Lohnsteuer bekommt. Der Marktmechanismus beginnt dann, seine Blüte in die richtige Richtung zu öffnen, ohne den Bürger zusätzlich zu belasten. Nachhaltigkeit darf und muss dann auch nicht mehr kosten.
  • Produkte, die aus der Kreislaufwirtschaft kommen, werden letztlich günstiger für den Gebraucher, wenn der Rohstoffwert beim Hersteller verbleibt und er nur für die Nutzung bezahlt. So kann Nachhaltigkeit sogar für den Bürger und Gebraucher billiger werden.
  • "Wirklich nachhaltig" ist dann auch eine Rechnungslegung, die externe Kosten internalisiert, Abschreibungen auf bestimmte Produkte nicht mehr kennt; auch die Bilanzierung verändert sich, wenn beispielsweise aufgrund des Verbleibs des Rohstoffwertes beim Produzenten das Produktionskapital ansteigt oder durch Leasing von einer Rohstoffbank ein neuer Kostenposten entsteht.
  • Unternehmer müssen in ihrer Firma eine Kultur aufbauen, die den Stolz auf die Langfristigkeit bei der Nachhaltigkeitsleistung voranstellt. Wer redet in Unternehmen noch über "intergenerationale" Gerechtigkeit? Dazu gehört, ein Systemverständnis zu schaffen. Ich bin regelmässig schockiert, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsstrategien auf Symptombasis erstellen, ohne ihre eigentlichen Gründe zu kennen. Es ist erstaunlich, wie wenig Unternehmen mit Langfristszenarios arbeiten.
Die "Green & Inclusive Economy" kann es nur durch das Zusammenspiel vieler Lösungsansätze und daraus resultierendem Verständnis gegenseitiger Abhängigkeiten der Wirtschaft, Politik und Zivigesellschaft geben. Die Wiederentdeckung der "Austauschwirtschaft", der "Gemeinwohl-Ökonomie" und der "Zirkulären Ökonomie" sind nur die Vorboten einer Zeit von "wirklich nachhaltigen Innovationen".

Im Profil
Ralph Thurm ist Gründer und Managing Director von A|HEAD|ahead. Für forum schreibt er regelmäßig die Kolumne "Der T(h)urmblick". 

 


Quelle:
Gesellschaft | Politik, 23.10.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2013 - Hallo Klimawandel erschienen.
     
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