Ralph Thurm

Achtsam arbeiten

Facebook, Apple und Google machen es schon. Andere Firmen ziehen nach und schicken ihre Mitarbeiter zu Achtsamkeits-Trainings. Denn die wachsende Anzahl von Burn-out-Fällen ist nicht nur tragisch, sie kostet auch Geld.

Foto: © Claudia Fy, Schloss HeinsheimDass Arbeit gelingt und Freude macht – davon träumen viele. Doch mittlerweile macht Burn-out in jedem Wirtschaftsmagazin Schlagzeilen. Ausgebrannte Manager und Angestellte, wer kennt keinen solchen Fall aus seinem Bekanntenkreis? Neben der menschlichen Tragödie verursachen psychische Belastungserkrankungen höhere Kosten, die Arbeitsleistung sinkt.
Die Integration von Achtsamkeit in Job und Alltag verspricht weniger Stress. Immer mehr Unternehmen bieten jetzt Trainings entweder inner- oder außerhalb der Betriebe an und stellen fest, dass Arbeitgeber und Mitarbeiter profitieren.
Wissenschaftliche Studien unterstützen diese Annahme. Sie zeigen außerdem, dass Achtsamkeit die Entscheidungsfindung erleichtert und die Fähigkeit zu Empathie sowie die soziale Interaktion im Unternehmen verbessert. Wer regelmäßig übt, kann konzentrierter arbeiten, ohne sich schnell überfordert zu fühlen. Außerdem schafft Achtsamkeit ein besseres Gefühl für Verhältnismäßigkeit. Nicht jede E-Mail muss sofort gelesen und beantwortet werden, nicht jede Sitzung muss bis spät in den Abend gehen und nicht jede Internetsuche ist sinnvoll. Angesichts der digitalen und medialen Reizüberflutung müssen wir lernen, auszuwählen und abzuwägen. All das ist bekannt, Achtsamkeit hilft, das Wissen in die Tat umzusetzen. Das betrifft vor allem den Arbeitsalltag von Führungskräften.
Führung durch Selbstführung" erlangt werden. Achtsamkeit gehört zu den Prozessen, die Führungskräfte dabei unterstützen, stärker durch das eigene, authentisch gelebte Vorbild als durch Kontrolle oder Anweisung zu führen. Dass die Effizienz sofort steigt und sich die Produktivität wie auf Knopfdruck erhöht, darf man jedoch selbst bei regelmäßigem Achtsamkeitstraining nicht erwarten. Achtsamkeit wirkt nachhaltig und sollte daher nicht zur kurzlebigen Modeerscheinung verkommen. Daher ist je nach Struktur und Bedarf eine Achtsamkeitsstrategie für Unternehmen zu entwickeln.

In der Wisdom 2.0 Konferenz 2013 haben sich die Gründer von Facebook, Twitter, eBay, Zynga und Paypal sowie Führungskräfte von Apple und Google getroffen, um das Thema Achtsamkeit in Unternehmen näher zu beleuchten.
Der Grund? Die Konferenzteilnehmer wollten zwei für sie entscheidende Fragen klären:

  • Wie können Führungskräfte in dieser schnelllebigen Welt ihre innere Balance halten, ohne an Produktivität zu verlieren?
  • Wie können Führungskräfte bei gleichzeitig geforderter Ergebnisorientierung ganzheitlich handeln (emotional, intelligent und empathisch)?
Schon im Jahr 2007 hatte Google mit dem firmeninternen Meditationsprogramm – Search Inside Yourself – begonnen, das sehr begehrt und stets ausgebucht ist. Auch andere Firmen wollen der besorgniserregenden Zunahme von Burn-out und Stress etwas entgegensetzen, was das Wohlbefinden und damit auch die Belastbarkeit ihrer Mitarbeiter erhält.

Auf den ersten Blick erscheint es trivial, sich auf den gegenwärtigen Augenblick zu konzentrieren – achtsam zu sein – doch es bedarf dafür einer bestimmten Lebenshaltung. Mit Hilfe körperorientierter Bewusstseinsübungen kann man diese erlernen und systematisch trainieren. Bewährt hat sich das von dem amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn entwickelte und standardisierte Programm der Achtsamkeitsmeditation. Es soll helfen, besser mit Stress, Angst und Krankheiten umzugehen. Vor mehr als zwanzig Jahren hat er den weltanschaulichen buddhistischen Hintergrund aufgelöst und mit verschiedenen Meditationsformen angereichert (BodyScan, formelle Meditation im Sitzen oder Gehen, Yoga-Übungen). Die Übungen können Praktizierende sowohl vor Ort als auch extern durchführen.
Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt das von der Kalapa Leadership Academy in Schloss Heinsheim durchgeführte Unternehmenstraining. Das Schulungsprogramm sieht zwei ganztägige sowie sechs bis acht kurze Termine von zweieinhalb Stunden vor, die bei den Firmen stattfinden. Wissenschaftlich begleitet es die Generation Research GmbH in Kooperation mit dem Generation Research Program (GRP) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Projekt wurde Ende 2012 vorgestellt und im Frühjahr 2013 mit den ersten sieben Firmen durchgeführt. Dazu gehören eine Handelskette mit über 40.000 Mitarbeitern, ein Automobilzulieferer mit 1.400 Mitarbeitern und ein Architekturbüro mit 100 Mitarbeitern. Die anfängliche Skepsis, ob sich das im privaten Gebrauch bewährte Programm auch für Unternehmen eignet, ist angesichts der positiven Rückmeldungen und anhaltenden Stressminderung gewichen.
 

Die Herrschaft über den Augenblickist die Herrschaft über das Leben.
Marie von Ebner-Eschenbach


Die Hinwendung zur Achtsamkeit verspricht eine umfassende und nachhaltige Veränderung des Lebensstils. Was ist damit gemeint? Die Übersetzung des aus der buddhistischen Weisheitslehre stammenden Begriffs „Mindfulness" in „Achtsamkeit" ist eine Hilfskonstruktion. Sie vernachlässigt den „Geist" und die „Fülle", führt jedoch eine neue Komponente, die Sorgfalt, ein. Beide Begriffe meinen einen Bewusstseinszustand, der auf das direkte und nicht-wertende Gewahrsein dessen abzielt, was in jedem Augenblick geschieht. Auf dieser ersten Stufe betrifft es das Individuum selbst, es nimmt aufmerksam wahr, erlebt die Fülle des gegenwärtigen Moments, ohne von weiteren, störenden Einflüssen abgelenkt zu werden. Esse ich eine Rosine und bin dabei achtsam, bemerke ich den Geschmack, ihre Beschaffenheit, ohne zugleich an eine Banane oder etwas anderes zu denken. Auch lasse ich mich nicht beeinflussen von dem, was ich über Rosinen weiß, um so offen für etwas gänzlich Neues oder noch nie Geschmecktes zu sein. Achtsamkeit kann deshalb auch als Versuch beschrieben werden, partiell angeborene oder individuell erlernte Stereotypen und Vorurteile bewusst unter Kontrolle zu halten. Dies führt zu einer weniger individualistischen Sichtweise. Es verhindert, dass sich Wahrnehmungen zu stark subjektiv einfärben. Um die Fülle des Augenblicks zu erleben, schließe ich anderes aus: Das scheint das Geheimnis von Achtsamkeit und Mindfulness zu sein.

Abschließend sei an die amerikanische Dichterin Gertrude Stein verwiesen, die bereits vor knapp 100 Jahren die Bedeutung von Achtsamkeit erkannte und die berühmte Zeile schrieb: „a rose is a rose is a rose is a rose" – nicht mehr und nicht weniger als das. 
 


Prof. Dr. Niko Kohls
Achtsamkeit und Spiritualität als potenzielle Gesundheitsressource" beschäftigt.
niko.kohls@hs-coburg.de

Karin Andert M.A.
ist Autorin und Literaturwissenschaftlerin.

Chris Tamjidi
Gladbach.
chris@kalapaacademy.org.
 

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2014 - Tooooor! 3:0 für Nachhaltigkeit erschienen.

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