Ralph Thurm

Der T(h)urmblick

Vom ‚integrierten’ zum ‚integralen’ Denken

Die dritte Jahreskonferenz der Reporting 3.0 Plattform hat, beginnend mit einem vorbereiten­den online Thinktank, über die Konferenz bis hin zum Konferenzbericht ein faszinierendes Spektrum zur Weiterentwicklung der nachhaltigen und integrierten Berichterstattung aufgetan.

Foto: © freshidea, fotoliaDie zehn wichtigsten Ergebnisse der Konferenz zeigen Voraussetzungen für ein neues, zukunftsfähiges Berichtssystem.

  1. Für eine zukunftsfähige Berichterstattung muss man ökonomisches und finanztechnisches Systemdenken (Makro-Ebene), Buchführungs- und Datensystemdesign (Meso-Ebene) sowie die Erfolgsmessung unternehmerischer Nachhaltigkeitsprogramme, Transformationsfähigkeit und Führungsverständnis (Mikro-Ebene) kombinieren. Reportingstandards, die Teile dieser Komponenten auslassen oder negieren, führen zu Defiziten und werden der Aufgabe eines (Nachhaltigkeits- oder integrierten)Berichts über den Nachweis der Nachhaltigkeit einer Organisation nicht gerecht.

  2. Reporting, das zukunftsfähig ist, muss Klarheit zum Unternehmenszweck (Purpose) und der Verbindung (Connectedness) der Unternehmung hinsichtlich der Meso- und Makroanforderungen einer Green & Inclusive Economy verschaffen; Klarheit des Unternehmensbeitrags (True Future Value Creation) durch eine multi-kapitalienbasierte Erfolgsmessung (Success) schaffen, um als Lackmus-Test dienen zu können, ob ein Unternehmen Finanzkapital nicht durch Vernichtung anderer Kapitalien aufbaut; Bereiche idenfizieren, in denen durch sinnvolle Produkte, Services, Netzwerkbildung, Positionsnahme und Ausbildung eine Skalierbarkeit (Scalability) geschaffen wird, die die Einwirkungsmöglichkeiten (Size of Impacts) der Unternehmung hinsichtlich einer ‚Wachstumslizenz’ erlauben.

  3. Es gibt bereits Methoden und Tools, um der Zukunft der Berichterstattung Form zu geben. Hierzu liefert der Konferenzbericht genug Beispiele. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Spieler ist nun nötig, um die Teile des Puzzles in eine gemeinsame Vision zusammenzuführen, wie Berichterstattung, Accounting und Datenspektra einer Green & Inclusive Economy dienen können. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Diskussion über ‚tatsächliche’ Wesentlichkeit (True Materiality) und einen auf gemeinsame Einwirkungen fokussierten Stakeholder-Dialog, der Zusammenarbeit möglich macht (Integral Thinking).

  4. Bestende Standards haben keine deutliche Vision, wie sie einer Green & Inclusive Economy dienen können und haben eine zu unternehmensinterne Wahrnehmungswelt. Ein Stakeholder Dialog, wie er konventionell durchgeführt wird, bleibt zu sehr an der Oberfläche. Dies liegt u.a. daran, daß Stakeholder weniger und weniger an den Effekt des Dialogs glauben, auch sind sie z.T. zu wenig informiert über die Gesamtaufgabe, die es zu diskutieren gilt. Auch sind derzeitige Nachhaltigkeitsstrategien oftmals nur an Symptomlinderung orientiert, statt an der Analyse der Einwirkung einer Unternehmung an den Problemen.

  5. Accountants könnten viel mehr Einfluss haben auf die Entwicklung eines multi-kapitalien-orientierten Accounting-Systems. Die dritte Entwicklungswelle des Accountings nach ‚single- und double entry bookkeeping’ greift diese Herausforderung aber im Augenblick noch nicht proaktiv auf. Dies schließt auch ein besseres Verstehen der Zusammenhänge zur Makro- und Mesoebene eines zukunftsfähigen Accountings und Reportings mit ein. Viele Accountants wollen dies nicht als ihre Aufgabe ansehen.

  6. © Ralph ThurmDaten spielen eine immer wichtigere Rolle, um ein substantielles Set an Informationen zu einem ‚globalen Puls’ zusammenzutragen, der auch Unternehmen hilft, ihre Rolle und Positionierung in den bestehenden und zukünftigen Systemkonditionen zu finden. Diese Daten sind nötig, um eine ‚Wachstumslizenz’ zu er- oder behalten. Unternehmen und Nachhaltigkeitsabteilungen engagieren sich hier erstaunlicherweise noch kaum, z.T. verleugnet man die Existenz und Validität solcher Datensätze sogar; dies kann drastische Folgen haben für die ‚License to Operate’ (siehe VW, Exxon).

  7. Die Sustainable Development Goals sind ein Schritt, um Unternehmen an die Idee von ‚Schwellenwerten’ heranzuführen. Datenpartnerschaften werden gegründet, um das Umfeld zur Setzung von Indikatoren, Zielen und Grenzen zu ermöglichen. Initiativen, die sich zu sehr auf nationale Schwerpunkte konzentrieren, beinhalten die Gefahr des kreativen Chaos. Es braucht hierzu eine klare und bindende Beaufsichtigung, wie diese Datenumgebungen zur Problemlösung global beitragen und wie die Datenarchitektur hierzu aufgebaut werden muss. Letztlich verhelfen die SDGs bei Erfolg nur zur Verminderung negativer Effekte, ihre Innovationswirkung ist derzeit noch fraglich.

  8. Es gibt bisher keine sichtbare Plattform, die sich auf das Zusammenbringen von Makro- und Mikroanforderungen durch das Einziehen einer Meso-Ebene konzentriert. Hier kann die Reporting 3.0 Plattform durch das Design sogenannter ‚Blueprint-Projekte’ im Rahmen eines wettbewerbsneutralen Ansatzes Wissen zusammentragen und strukturieren. Die Plattform muss agnostisch, anti-lobbyistisch und als ‚safe space’ sowie als Non-for-Profit-Organisation wirken.

  9. Der Ansatz der ThriveAbility Foundation, der einen drei-dimensionalen Index, einen Entwicklungspfad, eine Innovationsroadmap und eine neue Gleichung zur Ermittlung von ‚ThriveAbility’ vorsieht, bietet einen integrativen und prägnanten Ansatz zur Einung von Mikro-, Meso- und Makro-Ebene. Ein Dreijahresprogramm von 2016 bis 2019 sieht vor, den Index in 10 Industrieclustern mithilfe von Unternehmen und Finanzmarktakteuren zu entwickeln. In 2020 soll der ThriveAbility Index valide Informationen zur Zukunftsfähigkeit von Unternehmen bereithalten.

  10. Sustainability und/oder ThriveAbility werden nicht zu bewerkstelligen sein und Datensätze hierzu werden unter den derzeitig bestehenden ökonomischen Systemgrenzen,dessen Incentives und Markterfolgskriterien nicht nachhaltig sind, nicht effektiv sein. Ein regenerativer Ökonomieansatz (Makro-Ebene) und die Realisierung dazu kompatibler Meso- und Mikrosystembedingungen sind voneinander abhängig.

Letztlich muss ein neuer und systemischer Ansatz der Berichterstattung zur Herstellung von Vertrauen (Trust), Innovation und Widerstandsfähigkeit (Resilience) beitragen, sonst kann eine Green & Inclusive Economy weder geplant, noch realisert oder fortentwickelt werden. Zukunftsfähige Berichterstattung hat also eine direkte Aufbaufunktion zur Zielerreichung. Dies schließt den Kreis zur anfänglichen Darstellung. www.reporting3.org  

Ralph Thurm ist Gründer und Managing Director von A|HEAD|ahead. Für forum schreibt er regelmäßig die Kolumne „Der T(h)urmblick" und lädt ein zur Diskussion aktueller Themen. Schreiben Sie an: ralph.thurm@kpnmail.nl


Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.

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