Christoph Quarch

Es ist Volksfest-Zeit

Christoph Quarch erklärt, warum sich Volksfeste hierzulande trotz Inflation und steigender Preise großer Popularität erfreuen

In München ist's mal wieder o'zapft, in Stuttgart tummeln sich die Mengen auf dem Cannstatter Wasen, in den Weinbauregionen werden Weinfeste gefeiert und so manches Dorf hat seine eigenen Lustbarkeiten. Der Zuspruch ist groß: Das Oktoberfest meldete schon am ersten Wochenende knapp eine Million Besucher, und in Stuttgart rechnet man mit neuen Besucherrekorden. Auch die Weinfeste verzeichnen trotz rückläufigen Weinkonsum vielerorts Rekordbesuche, insbesondere in klassischen Weinregionen wie der Pfalz, Rheinhessen und Baden. Kein Zweifel: Trotz Inflation und steigender Getränkepreise erfreuen sich Volksfeste hierzulande einer großen Popularität. Was steckt dahinter? Darüber unterhält forum mit dem Philosophen und Bestseller-Autor Christoph Quarch. 

© pexels; Pixabay.comHerr Quarch, Volksfest und Philosophie - das scheint sich auf den ersten Blick nicht zu vertragen. Gibt es überhaupt Philosophen, die sich darüber Gedanken gemacht haben?
Viel gibt es nicht zu dem Thema. Am ehesten wird man bei den alten Griechen fündig, deren Kultur eine der festfreudigsten aller Zeiten war. Das liegt an der altgriechischen Religion mit ihren vielen Göttern und Göttinnen, die alle gebührend gefeiert werden wollten. Eine besondere Rolle spielt dabei der Gott Dionysos, den die meisten in seiner römischen Gestalt als Bachus, Gott des Weines, kennen. Aber Dionysos war mehr. Strenggenommen ist er der Gott der Transformation oder auch der Disruption - der radikalen Veränderung. Man feierte ihn im Theater, aber auch bei Trinkgelagen und wilden Umzügen, von denen der Karneval ein schwaches Echo ist. Genauso lebt in den Oktoberfesten und Weinfesten viel Dionysischen weiter. Und genau über dieses Dionysische haben sich Sokrates und Co. Gedanken gemacht; wobei gerade Sokrates sich sehr positiv darüber äußert. Ich denke, er hätte am Oktoberfest seine helle Freude.

Aber haben sich die griechischen Philosophen nicht wiederholt gegen Alkoholkonsum, Ekstase und Sinnesfreuden ausgesprochen?
Natürlich gab es auch bei den alten Griechen Spaßbremsen - vor allem die Stoiker hatten wenig Sinn für feuchtfröhliche Lustbarkeiten. Sokrates war anderer Meinung. Er stand noch auf dem Boden der alten Religion, für die der Rausch etwas Heiliges war - etwas, das Ehrfurcht verdiente, weil der Mensch im berauschten Zustand dem Göttlichen begegnen kann. Kann, nicht muss. Denn dafür braucht es ein gewisses Setting: einen kultischen Rahmens, der klar macht: Wir sind hier nicht, um uns wegzubeamen, sondern um unser Alltagsbewusstsein auszublenden und eine andere Dimension der Wirklichkeit zu erschließen. Für Sokrates war klar: Solange Rausch und Lustbarkeit kultisch eingefasst sind, steigern sie die Lebendigkeit. Im rechten Maß gehören sie zu einem guten Leben unbedingt dazu.

Diesen kultischen Kontext gibt es heute nicht mehr. Wer zum Volksfest geht, möchte sich einfach nur vergnügen oder für ein paar Stunden den Alltag vergessen. Ist das aus Philosophensicht weniger respektabel?
Dem Alltag zu entkommen und sich zu vergnügen, ist aller Ehren wert. Zumal eine weitere Komponente dazukommt, die mir erst klar wurde, als ich beim Oktoberfest in einem dieser riesigen Festzelte saß: Solche Feste - und da spielt der Alkohol natürlich eine nicht unerhebliche Rolle - helfen uns dabei, unsere alltägliche Ego-Bubble zu sprengen und uns aus der üblichen Selbstbezüglichkeit zu befreien. Auf den Biergartenbänken rücken die Leute enger zusammen. Man lacht miteinander, man trinkt miteinander, man stößt mit wildfremden Leuten an. Wenn dann auch noch diese dionysische Blasmusik dazukommt, dann hast du nach einer Stunde das Gefühl in einer großen Woge aus Lachen, Schwitzen, Trinken mitzuschwimmen, in der du dich nicht mehr so furchtbar wichtig nimmst. Das war übrigens für Nietzsche der Inbegriff des Dionysischen: die Selbstentäußerung des menschlichen Subjektes.

Also doch wegbeamen... Aber brauche ich dafür wirklich ein Volksfest? Kann ich das nicht auch zuhause oder mit ein paar Freunden beim Grillabend?
Eben nicht. Das können wir von den griechischen Philosophen lernen. Damit so ein rauschhaftes Sich-Gehen-Lassen nicht zum verkaterten Fluch, sondern zum heiteren Segen gerät, braucht es einen klaren Rahmen. In der Antike war das der Kult, heute ist es die immer noch kulthafte Inszenierung der Feste und Festzelte. Dort ist man für eine bestimmte Zeit in einer Art Anderswelt, in der man mal anders sein darf als sonst. Das funktioniert aber nur in Gesellschaft mit Anderen, vorzugsweise Fremden. Sich im stillen Kämmerlein betrinken ist nicht dionysisch, sondern dumm. Geselligkeit ist das A und O - was übrigens auch einen politischen Aspekt hat, weil durch ein solches Bad im Volksfestrummel eine Ahnung aufsteigen könnte, dass man eben doch nicht alleine auf der Welt ist, sondern dass da auch noch ein paar andere sind, mit denen wir nicht nur auskommen müssen, sondern auch auskommen können - wenn wir demokratisch denken. 

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
 
 
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org


Weitere Artikel von Christoph Quarch:

Großzügigkeit und Wohlwollen
Christoph Quarch wünscht sich einen Relaunch des Nikolaus-Festes
Alle Jahre wieder... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der Nikolaus. Am 6. Dezember ist es wieder so weit. Vielerorts finden die Kinder dann in ihren eigens vor der Tür deponierten Schuhen kleine Geschenke, und in den Kitas und Kindergärten tummeln sich zumeist rot kostümierte, bärtige Gestalten, die den Kids kleine Präsente überreichen. Was es ursprünglich mit dem Nikolausfest auf sich hat, wissen allerdings nur noch die wenigsten.


"Du sollst konsumieren!"
Für Christoph Quarch ist der Black Friday ein schwarzer Tag
Wenn der Dezember naht, beginnt die schwarze Zeit. Nein, nicht von den trüben ersten Wintertage ist die Rede, sondern von der Black Week, der Woche vor dem Black Friday, in der all überall die Preise purzeln und die Konsumenten darauf hoffen, rechtzeitig vor Weihnachten noch das eine oder andere Schnäppchen zu ergattern.


Selbstgewählte Einsamkeit
Christoph Quarch analysiert den Trend und empfiehlt, Komfortzonen zu verlassen
In dieser Woche sprechen wir über das Thema Einsamkeit. Ein Aspekt, der dabei noch nicht so viel Beachtung gefunden hat, ist die selbstgewählte Einsamkeit bzw. das selbstgewählte Allein-Sein. Und das liegt im Trend: Jüngsten Erhebungen zufolge legen vor allem ältere Frauen immer weniger Wert auf ein Leben zu zweit.


Wenn Klimaschutz nur der Ökonomie schadet...
Christoph Quarchs Überlegungen zur Generationengerechtigkeit
In Belém tagt seit Montag die Weltklimakonferenz COP30. Bei ihren Eröffnungsreden waren sich alle Sprecher einig: Unternimmt die Weltgemeinschaft nicht mehr als bisher gegen den Klimawandel, gerät unser Überleben auf diesem Planeten immer mehr in Gefahr. Ob die angereisten Vertreter und Repräsentanten aus über 190 Ländern zu konstruktiven Ergebnissen kommen, ist allerdings fraglich.


Die Wahrheit in der Politik
Christoph Quarch betrachtet die aktuellen Realitätsverweigerungen mit Sorge
Der Außenminister war sichtlich geschockt. Unter dem Eindruck eines völlig zerstörten Vororts der syrischen Hauptstadt Damaskus, sagte Johann Wadephul, eine kurzfristige Rückkehr dorthin sei nicht möglich. Kaum waren seine Worte verklungen, brach ein Sturm der Entrüstung los - vor allem bei Wadephuls Parteifreunden in CDU und CSU.




     
        
Cover des aktuellen Hefts

forum future economy

forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy.

  • Mit diesem Schritt markiert der Verlag bewusst eine Zeitenwende – hin zu einer Wirtschaft, die Zukunft schafft, statt nur Probleme zu verwalten.
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
09
DEZ
2025
Club of Rome Salon: Building the City of the Future (in English)
Cities, World Expos, and Stakeholders Driving Sustainability
10178 Berlin
Alle Veranstaltungen...
Anzeige

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Megatrends

Wohlstandsverlust - und die Angst vor Veränderung
Christoph Quarch stellt die Frage, welche Art von Wohlstand wir wirklich brauchen
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

EMAS-Validierung für ein transparentes, europäisches Umweltmanagement der LaSelva Bio-Feinkost Unternehmensgruppe

Schulen stärken Bildung für nachhaltige Entwicklung

Seit 15 Jahren: faire und umweltbewusste Beschaffung mit dem Kompass Nachhaltigkeit

Blue Green FUTUREventura

Nachhaltigkeit in der Cloud

The GREEN MONARCH Awards 2025 Verleihung in Berlin

forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy

Wie Unternehmen mit regionaler Aufforstung ihre ESG-Ziele stärken

  • circulee GmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • NOW Partners Foundation
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • toom Baumarkt GmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen