Depression ist die neue Volkskrankheit
Um den Trend zu stoppen empfiehlt Christoph Quarch einen Kommunikations- und Perspektivenwechsel - auch der Medien
Neuneinhalb Millionen Menschen, das sind 12,5 Prozent der deutschen Bevölkerung, sind laut einer jüngst veröffentlichten Studie der AOK davon betroffen. Tendenz steigend. Vor allem bei jungen Menschen schnellt die Zahl der Depressionserkrankungen nach oben. Die Krankenversicherer schlagen Alarm und weisen auf den volkswirtschaftlichen Schaden hin: 2,2 Prozent aller Krankheitskosten werden inzwischen durch Depressionen verursacht. Hinzu kommt eine hohe Zahl von Fehltagen bei Werktätigen. Was ist hier los? Und kann man diesem Trend etwas entgegensetzen? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, aus Sicht des Philosophen: Wie kann es sein, dass in einem relativ wohlhabenden Land wie Deutschland so viele Menschen unter Depressionen leiden?

Wollen Sie damit sagen: Wer depressiv wird, ist selbst schuld daran, weil er nicht genügend mit anderen Menschen kommuniziert?
Nein, das wäre zu leicht; vor allem deshalb, weil es hier keine einfachen Verursachungen oder Schuldzuweisungen gibt. In meinem Verständnis werden Menschen depressiv, wenn sie keine Sinnperspektiven mehr haben – wenn sie nichts mehr finden, wofür sie brennen oder was sie begeistert; ja, wenn es nichts mehr gibt, das sie bejahen können. Begeisterung und Leidenschaft aber sind etwas, das im Raum zwischen den Menschen entsteht: wo sie etwas gemeinsam tun, wo sie sich in etwas Gemeinsamen finden können. Das wird aber nur dann geschehen, wenn man sich für die Welt und andere öffnet – genau das, was depressiven Menschen schwer fällt. Wenn man einmal in der Spirale der Selbstbezüglichkeit gefangen ist, wird es verdammt schwer, wieder rauszukommen. Das kann man niemandem ankreiden.
Frauen sind der AOK-Studie zufolge in allen Altersklassen häufiger von Depressionen betroffen als Männer. Hat das damit zu tun, dass Frauen sozialer veranlagt sind als Männer und dementsprechend auch mehr unter Einsamkeit leiden.
Vielleicht, gravierender aber scheint mir zu sein, dass sich in den letzten 50 Jahren ein Frauenbild durchgesetzt hat, das Frauen in hohem Maße dazu hält, sich stärker um sich selbst zu kümmern, Karriere zu machen, erfolgreich zu sein und dergleichen. Das heißt: Sie sind häufig anfällig, den Verführungen des allgegenwärtigen Menschenbildes des Homo Oeconomicus zu erliegen, das uns einreden will, der Mensch sei allem voran ein rationaler Egoist, der bei allem, was er tut, seinen eigenen Interessen folgt. De facto aber ist der Homo Oeconomicus ein Soziopath: einer, der keine Beziehungen mehr einzugehen vermag. Deshalb muss es niemanden überraschen, wenn eine von ihm geprägte Gesellschaft soziopathisch wird. Und wenn sie erst soziopathisch ist, dann ist die Depression nicht mehr weit, weil Sinn und Erfüllung nur zwischen den Menschen wachsen.
Was müsste Ihrer Ansicht nach geschehen, um die Depressionsrate zu drosseln?
Ich glaube, wir müssen einiges daran ändern, wie wir in Deutschland miteinander umgehen. Es tut uns nicht gut, wenn wir nur um unsere eigenen Interessen und Befindlichkeiten kreisen; wenn wir im öffentlichen Diskurs nur noch darauf schauen, dass wir uns durchsetzen und um Gottes willen nicht zu kurz kommen; wenn wir uns bei jeder Gelegenheit gekränkt oder nicht wertgeschätzt fühlen – und uns nicht scheuen, andere zu kränken und geringzuschätzen. Hier sind auch die Exponenten im Öffentlichen Raum gefragt. Das ewige Rumgenörgele und Gejammere von Lobbyisten und Oppositionspolitikern ist mentales Gift. Ebenso das Aufeinander-Rum-Gehacke. Dem sollten wir keine Aufmerksamkeit schenken, sondern der Fokus auf all das Gute und all die Potenziale richten, die es nach wie vor gibt. Hier sehe ich auch uns in den Medien in der Pflicht, mehr für den Gemeinsinn zu tun.

Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Megatrends, 28.10.2024

Pioniere der Hoffnung
forum 01/2025 ist erschienen
- Bodendegradation
- ESG-Ratings
- Nachhaltige Awards
- Next-Gen Materialien
Kaufen...
Abonnieren...
07
MÄR
2025
MÄR
2025
Energiewende – Stand und Perspektiven
32. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Solar-Initiativen (ABSI)
87499 Wildpoldsried
32. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Solar-Initiativen (ABSI)
87499 Wildpoldsried
12
MÄR
2025
MÄR
2025
Circular Valley Convention 2025
Entdecken Sie die Zukunft der Kreislaufwirtschaft - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
40474 Düsseldorf
Entdecken Sie die Zukunft der Kreislaufwirtschaft - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
40474 Düsseldorf
20
MAI
2025
MAI
2025
Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol
Digitalisierung

Christoph Quarch empfiehlt allen seriösen Kräften den Rückzug von X
Jetzt auf forum:
Mit diesen Maßnahmen feilen Unternehmen an ihrem ökologischen Image
Sonnenenergie: Die Zukunft der nachhaltigen Stromerzeugung entdecken
Inspirierende Events & spannende Themen
Fast 800.000 Tote und 4,2 Billionen US-Dollar Schäden durch Wetterextreme in 30 Jahren
Leuphana stellt berufsbegleitende Online-Zertifikate im Nachhaltigkeitsmanagement vor
Lässt sich KI politisch einfangen?
Porsche kooperiert mit der Norman Foster Foundation im Rahmen von „The Art of Dreams“