Memento Mori

Was Menschen jeder künstlichen Intelligenz voraus haben, ist die Sterblichkeit

„Die Gefahr, dass Computer werden wie Menschen, ist nicht so groß wie die Gefahr, dass Menschen werden wie Computer." Die mahnenden Worte von Konrad Zuse, dem eigentlichen Erfinder des Computers, verdienen, neuerlich Gehör zu finden. Die rasante Entwicklung generativer Algorithmen, die Texte aufsetzen, Musik komponieren oder Bilder erzeugen, zeigt deutlich, zu welchem Grad sich Computer bereits menschlichen Fertigkeiten angenähert haben.
 
Weniger klar erkennbar ist, wie sehr die von Zuse beschriebene sehr viel größere Gefahr digitaler Technologien die Menschheit bedroht: Wir sind dabei, uns den Computern anzugleichen. Fasziniert von der beispiellosen Steigerung der Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz und Robotik dem Menschen verheißen, wuchert in den Köpfen der Entwickler und Vermarkter digitaler Technologien das Projekt der Transformation des Menschen nach Maßgabe der von ihnen entwickelten Maschinen. Die dieses Programm voranbringende Ideologie nennt sich nicht zufällig Transhumanismus, ist es doch ihr erklärtes Ziel, den Menschen, wie wir ihn kannten, durch ein Mensch-Maschine-Mischwesen zu ersetzen, dessen vornehmste Eigenschaft das sein wird, was Maschinen uns Menschen in der Tat voraus haben: Unsterblichkeit.

© Alexandra Koch; pixabay.comDieser von Yuval Noah Harari in seinem Weltbestseller Homo Deus identifizierte Omega-Punkt der technologischen Entwicklung sollte hellhörig machen. Denn mit dem Projekt Unsterblichkeit steht mehr auf dem Spiel als nur der Tod: Auf dem Spiel steht nicht mehr und nicht weniger als unsere Humanität.

Es ist ein im europäischen Kulturraum von Dichtern und Denkern gleichermaßen beschriebenes Faktum, dass die Sterblichkeit zu den fundamentalen Grundsignaturen des Menschseins gehört. Für die griechischen Pioniere des europäischen Humanismus war das eine Selbstverständlichkeit. Wenn sie dem delphischen Imperativ Erkenne dich selbst! das damals gebräuchliche Synonym für Mensch anzeigte: Er ist brótos – ein Sterblicher.

Sterblichkeit, auch das wussten die Griechen, gründet in der unhintergehbaren Leiblichkeit des Menschen. Unser Leib ist sterblich, und das Wissen um die Sterblichkeit ist jeder unserer Zellen eingeschrieben. Sterblichkeit ist deshalb mehr als das kognitive Wissen um das unausweichliche Ende. Es ist ein fundamentales „Sein zum Tode" (Martin Heidegger), das in jedem Augenblick unserer physischen Existenz gegenwärtig ist; gänzlich ungeachtet der Frage, ob der Tod ein finales Ende oder eine Transformation bedeutet – eine Frage, die sich überhaupt nur vor dem Horizont des Sterbens stellt. So oder so: Sterblichkeit ist eine Qualität, die Maschinen oder Algorithmen grundsätzlich verschlossen bleibt. Sie können kaputt gehen oder abgeschaltet werden und auch darum wissen, aber das ist etwas grundlegend anderes als die kontinuierliche, physische Präsenz der eigenen Fragilität, die jeden Atemzug des Menschen begleitet.

Das ist bedeutungsvoll, weil die Sterblichkeit bzw. das (bewusste oder unbewusste) kontinuierliche Bemühen, dem Tod auszuweichen, unser gesamtes Verhalten bestimmt. Der Philosoph und Biologe Andreas Weber hat zu zeigen vermocht, dass alle Lebewesen von einer fühlenden Intelligenz gesteuert werden, deren Ziel es ist, am Leben zu bleiben. Aber damit nicht genug: Menschliche Intelligenz operiert ebenfalls vor dem Horizont des Sterbens – nicht nur, sofern sie – unbewusst – fortwährend für das Fortleben des Leibes sorgt, sondern vor allem, sofern in ihr, wie der Wiener Psychiater Viktor E. Frankl nachweisen konnte, ein unauslöschlicher „Wille zum Sinn" waltet, der uns dazu veranlasst (oder doch veranlassen könnte), jedem Augenblick unseres Lebens Sinn und Wert zu verleihen. Lebten wir hingegen nicht vor dem Horizont des Todes und passten uns zunehmend den unsterblichen Algorithmen der KI an, erläge dieser Wille zum Sinn und wiche einer grauen Gleichgültigkeit; denn auch die avanciertesten generativen Algorithmen werden niemals in der Lage sein, menschliche Sinnfragen und Sinnstiftungen nachzuvollziehen. Sie können sie allenfalls simulieren, eine echte existenzielle Semantik wird ihnen aufgrund ihres Mangels an Leiblichkeit aber niemals zugänglich sein. Simulierter Sinn kann Menschen nicht mit Geist erfüllen – er kann sie nicht begeistern, wohl aber entgeistern, sobald die Simulation als solche durchschaut ist.

Unsterblichkeit – zumindest im Sinne der vom Transhumanismus in Aussicht gestellten endlosen Fortdauer des Lebens – zerstört den Raum menschlicher Sinnstiftung und Sinnfindung; und eine nichtleibliche „Intelligenz" vernichtet sowohl den Spielraum als auch die Spielzeit menschlichen Kulturschaffens, das von jeher der Sinnstiftung oder Sinnvermittlung diente. Diese Erosion des Humus, auf dem die Humanität zu wachsen und das Humanum zu erblühen vermag, ist das eigentlich Furchtbare an der von Zuse prognostizierten Gefahr der Computertechnik: der Angleichung des Menschen an Computer bzw. Algorithmen.

Wie weit diese Gefahr schon gediehen ist, verrät der Umstand, dass immer mehr Wissenschaftler einem neuen Reduktionismus erliegen, dessen Credo von Harari treffend auf den Punkt gebracht wurde: Menschen sind nichts anderes als biochemische Nutzenoptimierungsalgorithmen. Dieser Mindset wird das Humanum töten und mit ihr die menschliche Kultur zum Erliegen bringen. Was dann bleibt, sei den Science-Fiction-gesättigten, pubertären Fantasien eines Ray Kurzweil oder Elon Musk überlassen.

Für die Bewahrung des Menschen – mit all seinen Schwächen und Stärken – braucht es keinen Transhumanismus, sondern einen neuen Humanismus: einen Humanismus, der mit aller Klarheit neuerlich die alte delphischen Frage aufwirft, die den ersten Humanismus entfesselte: Was heißt es, ein Mensch zu sein; ein Humanismus, der die Humilitas – Demut – aufbringt, die eigene Endlichkeit nicht nur anzuerkennen, sondern als das zu schätzen, was sie ist: ein Segen; ein Humanismus, der sich nicht scheut, den Versuchungen des Transhumanismus zu widerstehen und deren Menschenverachtung zu entlarven.
 
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit "Platons Meisterdialogen" in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen.
 
Christoph Quarch hat gemeinsam mit Prof. Jan Teunen für forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2023 den Artikel "Die Macht der Schönheit - Kunst und Ästhetik für die Nachhaltigkeitsrevolution" verfasst.

Technik | Digitalisierung, 06.08.2023

     
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