Haustiere

Die Schattenseiten unserer Tierliebe

Früher waren Katzen für die Mäuse- und Rattenjagd zuständig, Hunde wurden als Wach-, Jagd- und Hütehunde eingesetzt. Heute sehen wir hauptsächlich Spür- und Blindenhunde, doch die meisten sind einfach Haustiere ohne besonderen Auftrag. Woher kommt es also, dass wir immer mehr Haustiere halten, besonders in innerstädtischen Bereichen? Warum halten wir immer mehr sogenannte „Exoten" als Haustiere? Warum gilt es auch die CO2-Bilanz von Pferden zu hinterfragen, und wie sehr schaden Katzen der Biodiversität… Teil 3 der Serie „Tierische Geschäfte" gibt Antworten, die für Überraschungen sorgen.
 
Unsere Tierliebe birgt auch Schattenseiten. © Kirgiz03, pixabay.comIm Jahr 2018 lebten 34 Millionen Haustiere in 45 Prozent aller deutschen Haushalte – Tendenz steigend. Unsere Tierliebe, vor allem für Katzen und Hunde, scheint keine Grenzen zu kennen. forum Autorin Inken Rehburg fragt nach, ob dies für Mensch, Tier und Umwelt eine gesunde Entwicklung ist.
 
Haustiere sind gut für uns!
Sind wir gut für unsere Haustiere?
Umfragen zufolge fühlt sich jeder zehnte Deutsche einsam, und so wird ein Haustier schnell zum Ersatz für die fehlenden sozialen Kontakte: als bester Freund, Kindersatz, Therapeut und Mittel gegen die Einsamkeit. Haustiere tun uns gut, behaupten nicht nur die Besitzer, auch zahlreiche wissenschaftliche Studien, Mediziner und Therapeuten bestätigen
die Wirkung der Mensch-Tier-Beziehung. Wer mit Tieren lebt, lebt länger, geht weniger zum Arzt und verursacht weniger Gesundheitskosten – und das nicht nur bei Menschen, die unter dem Alleinsein leiden. Kein Wunder: Haustiere schenken Aufmerksamkeit und Zuneigung, geben einem das Gefühl gebraucht zu werden, schaffen Struktur im Tagesablauf und sorgen für Bewegung (zumindest Hunde).
 
Die positiven Wirkungen sind auch am Arbeitsplatz zu verzeichnen. Bürohunde verringern Stress und erhöhen die Motivation der Mitarbeiter. Das Oxytocinlevel steigt sogar nachweislich durch die Anwesenheit des pelzigen Kollegen. Dadurch sinkt der Blutdruck und die Herzfrequenz, was den Abbau des Stresshormons Cortisol begünstigt.
 
Was für die Besitzer gesteigerte Lebensqualität bedeutet, ist für die Wirtschaft bares Geld. Denn die Deutschen lassen sich ihre Tierliebe einiges kosten: Circa neun Milliarden Euro im Jahr geben sie für ihre 13,4 Millionen Katzen, 8,6 Millionen Hunde und rund 13 Millionen sonstigen Kleintiere aus. Alleine 4,5 Milliarden Euro entfallen auf die Hundehaltung. Laut Angaben der Universität Göttingen sind etwa 185.000 bis 200.000 Arbeitsplätze dem Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung zu verdanken.
 
Für das Wohl des Tieres ist nichts zu teuer!
Angefangen bei den Anschaffungskosten, über Futter- und Tierarztkosten, bis hin zum Hochzeitskleid für Hunde und Friedhöfe für Kleintiere: Den Deutschen sind ihre Lieblinge einiges wert. So kann man für einen reinrassigen Welpen mit Papieren schon mal schnell 1.600 Euro zahlen. Und dann hat das Tier ja noch nichts zu essen oder gar anzuziehen. Die Probleme reichen von Fragen über die richtige, artgerechte Ernährung bis hin zu den nötigen Accessoires für Tier
und Halter. Solange wir Nacktkatzen züchten, müssen wir damit rechnen, dass sie im Winter schnell frieren. Und auch Hunde haben es gar nicht leicht, wenn sie aus der Zimmertemperatur in die Winterkälte kommen. Da kann ein wärmender Pullover schon von Vorteil sein. Hoffentlich weiß der Hund es auch zu schätzen, dass Herrchen den Pulli im Partnerlook, für bis zu 900 Euro, nach Maß anfertigen ließ...
 
Frische Luft, Bewegung und sozialer Bezug, das zeichnet die Mensch-Hund-Beziehung aus. Aus Hundesicht ist der Rucksack für rund 100 Euro fragwürdig, aber dafür freut sich der Handel über das tierisch profitable Geschäft. © Sarah UllmannBeim Durchstöbern von Zoo Zajacs Online-Shop, laut eigener Aussage das größte Zoofachgeschäft der Welt, entdeckt man neben Funktionskleidung für Hunde auch Halstücher, Jeansjacken, Kunstlederhosen oder Jogginganzüge. Diese leuchten fast ein: Laufen ist dem Hund schließlich ein natürliches Bedürfnis…
 
Auch das Wellnessangebot für Tiere sollte nicht zu kurz kommen, denn auch Hunde können eine Massage durchaus genießen. Und wenn Herrchen und Frauchen mal alleine Urlaub machen wollen, warten Pensionen mit einem verlockenden Angebot auf. Im Animal Resort Wesel beispielsweise werden urlaubende Hunde in kleinen Chalets untergebracht, welche laut Webseite nicht nur über eigene Gärten verfügen, mit Fußbodenheizungen und Fenstern bis zum Boden ausgestattet sind, sondern sogar eigene Küchenzeilen bieten. Der Anbieter empfiehlt, dass man heimische Geräusche aufnimmt, damit diese das Chalet beschallen und das Tier beruhigen. Für die Beruhigung der Besitzer sorgt wiederum die Videoüberwachung mit eigener Webcam.
 
Lang lebe das Haustier…
Für das Wohlbefinden der Tiere gibt es etwa Aqua-Jogging gegen Rückenprobleme und Akupunktur gegen Inkontinenz, präventive Yogakurse für Hunde (genannt Doga) oder Antidepressiva für gestresste Katzen. Im Bereich des Gesundheitsmanagements für Vierbeiner hat sich in den letzten Jahrzehnten wirklich viel getan. So gibt es nicht nur die klassischen Tierärzte und –kliniken, sondern auch jeden anderen ganzheitlichen oder schulmedizinischen Zweig, den es sonst für Zweibeiner gibt: Neben spezifischer Fachbehandlung ergänzen Physiotherapie, Akupunktur, Homöopathie, Osteopathie und Ernährungsberatung das Behandlungsspektrum. Viele Haustiere in Deutschland werden mittlerweile besser behandelt als so mancher menschliche Kassenpatient. Lediglich die Organspende für Tiere ist derzeit in Deutschland noch nicht möglich, da gesunden Tieren keine (Spender-) Organe entnommen werden dürfen. In den USA existiert dieses Verbot nicht. Der Organspender ist häufig aus dem Tierheim und bekommt dafür ein Zuhause in dem Haushalt des Empfängertiers. So ist der Deal.
 
…und es ruhe in Frieden!
Damit nicht genug. Wenn das Tierleben auf dieser Erde schließlich beendet ist, wurde der Kadaver früher meist beim Tierarzt gelassen, beziehungsweise im eigenen Garten vergraben. Heute gibt es nicht nur Tierkrematorien, welche die Überreste in einer passenden Urne übergeben, sondern auch eigene Tierfriedhöfe. Der Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, einer der größten Parkfriedhöfe Europas, überlegt derzeit, ob er es Menschen ermöglicht, ihre tierischen Lieblinge neben sich in einer Urne beerdigen zu lassen. Und wenn man sein verstorbenes Tier stets bei sich tragen möchte, lassen sich aus der Asche oder den Haaren des tierischen Mitbewohners Edelsteine pressen.
 
Was aber bedeutet all das für die Tiere?
Hilfe direkt vor Ort: Tausende Hunde, Katzen und andere Tiere ausländischer Tierheime wurden bereits vom SUST Team kastriert. Nur so kann die Überpopulation von Straßentieren langfristig eingedämmt werden. Solche Aktionen haben Zukunft! © Susy Utzinger Stiftung für TierschutzWie es in der freien Marktwirtschaft nun einmal ist, führt eine steigende Nachfrage, wenn möglich, zu einer erhöhten Produktion, und dies ist beim Handel mit Lebewesen in der Regel zu deren Leid. Britta Lantz, schleswig-holsteinische Hundezüchterin seit 1991, züchtet Labrador-Retriever. Sie weiß sehr genau, wie viel Aufwand es bedeutet, verantwortungsvoll Hunde zu züchten. Die Verantwortung hört nämlich bei der Abgabe der Welpen an die neuen Besitzer nicht auf. Laut Vertrag hat Britta Lantz ein Besuchsrecht wie ein Vorkaufsrecht. Außerdem muss jeder Besitzer seinen Junghund im Alter von einem Jahr einem Gesundheitscheck unterziehen, um erbbedingte Erkrankungen auszuschließen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung übergibt der Tierarzt direkt an den Zuchtverband. So geht verantwortungsvolles Züchten, das eine Herzensangelegenheit sein muss, denn sonderlich lukrativ ist es nicht.
 
Leider gibt es auch in Deutschland immer mehr Züchter, die eher als Vermehrer zu bezeichnen sind. Mit tunlichst geringem Aufwand und möglichst hoher Stückzahl verscherbeln sie die Tiere schnellstmöglich über Online-Portale wie ebay-Kleinanzeigen. Besonders in Osteuropa werden Tiere unter schlimmsten Bedingungen massenweise gezüchtet, im Netz für kleines Geld angeboten und dann als klassische „Kofferraumdeals" auf Autobahnparkplätzen verkauft, mit gefälschten Papieren und leider auch ohne Gesundheitsvorsorge – die im schlimmsten Fall zwar auf dem Papier bestätigt, aber nicht durchgeführt wurde. Meist krank, ob durch Überzüchtung oder aufgrund mangelhafter Haltung und Versorgung, überleben viele nicht einmal den Transport oder versterben kurz darauf. Zudem steigt die Gefahr, dass durch den Schwarzhandel Krankheiten ins Land geschleppt werden.
 
Und was ist mit Tieren aus dem Tierschutzheim?
Selbst die Abnahme aus dem gut organisierten Tierschutz birgt Gefahren. Susy Utzinger setzte sich sehr kritisch mit diesem Thema auseinander und gründete schließlich die SUST, eine Schweizer Tierschutzstiftung mit dem Zweck, das Tierleid wirksam zu bekämpfen und darüber aufzuklären. Utzinger glaubt, dass Mensch und Tier sich persönlich kennen lernen sollten, bevor sie miteinander leben.
 
„Es reicht einfach nicht aus, ein Foto von einem niedlichen Hund zu sehen, um zu wissen, ob man die nächsten Jahre mit ihm verbringen möchte. Daher macht es auch keinerlei Sinn, die Tiere auf Bestellung aus dem Ausland in die Schweiz beziehungsweise nach Österreich oder Deutschland zu bringen, damit sie hier nach kurzer Zeit den Besitzer wechseln müssen oder aber doch wieder im Tierheim landen. Deswegen setzen wir uns in erster Linie für Hilfe im Herkunftsland der Tiere ein – aus unserer Sicht die nachhaltigste Art des Tierschutzes.
 
Ein weiteres Problem ist die Vielzahl der Tierschutzorganisationen. Woran erkennt man, welche Organisation verantwortungsvoll handelt und welche nicht? Und mit nicht verantwortungsvoll meine ich nicht nur die Organisationen, die tatsächlich kriminell handeln, sondern auch jene Organisationen, bei denen der Tierschutz unprofessionell ausgeführt wird und daher das Tier nicht ausreichend schützt." Der Verband „Arbeitswelt Tierschutz Schweiz" hat daher folgendes Ziel: eine Professionalisierung des Berufsbildes der „Tierschutzfachperson". Man möchte hierbei den Tierschützer zum Ausbildungsberuf machen, um damit den Anforderungen des Tierschutzes gerecht zu werden.
 
Podenco oder Pudel?
Und dann ist da auch noch die generelle Frage, nach welchen Kriterien wir uns für ein Haustier entscheiden. Selbst wenn wir wissen, dass es ein Hund sein soll, steht man als künftiger Hundebesitzer vor dem nächsten Rätsel: Was für ein Hund soll es sein, was erwarten wir von dem Tier? Häufig genug wird nach Optik gewählt, oder nach Trend. Ob nun Richard Gere in einem Film von einem Hund der Rasse Akita bedingungslos geliebt wird, ob Walt Disney mit einem Zeichentrickfilm die Dalmatiner berühmt macht oder ob die Obamas sich für einen portugiesischen Wasserhund entscheiden, all dies hat Einfluss auf den Absatz bestimmter Hunderassen. Nicht selten wird eine Rasse über Nacht so berühmt, dass das Angebot der rasch wachsenden Nachfrage nicht nachkommt.
 
Ein Beispiel: Esther Günther, heute Geschäftsführerin eines großen Schweizer Fachgeschäftes für Hundebedarf, kommt aus einer Züchterfamilie und hat bis vor einigen Jahren Rhodesien Ridgebacks gezüchtet. Als der Ridgeback auf einmal zu einem elitären Modehund verkam, stellte sie die Zucht ein. „Mein letzter Wurf hatte zwölf Welpen und ich hatte mehr als 60 ernsthafte Interessenten. Dennoch musste ich zwei Welpen erheblich länger als gewünscht behalten. Die Interessenten genügten meinen Anforderungen einfach nicht. Der Ridgeback ist kein Hund, den man in Familien mit kleinen Kindern führt. Denn er ist ein ungestümes Tier und braucht Auslastung. Das Tier wächst zwar körperlich rasend schnell, ist aber geistig erst mit circa drei Jahren erwachsen. Man muss also sehr ausdauernd und konsequent sein. Als der Ridgeback in Europa auf einmal bekannt wurde, wollten sehr viele Menschen so ein Tier haben. Das ist erstens nicht gut für den Genpool, da viel zu schnell zu viele Hunde gezüchtet werden, und zweitens nicht gut für die Tiere, denn es gibt vergleichsweise wenige Menschen, die all den Ansprüchen gerecht werden können, die so ein Hund stellt. Somit habe ich die Zucht dann schweren Herzens eingestellt."
 
Sollten wir also keine Haustiere haben?
Im Gegenteil, denn wenn wir uns richtig informieren und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, auch im Sinne der Tiere, können sowohl Hund wie auch Herrchen auf vielen Ebenen von dieser Beziehung profitieren. Dafür ist es elementar wichtig, sich mit den Bedürfnissen und Anforderungen des jeweiligen Tieres auseinanderzusetzen und kritisch abzuwägen, wie diese in den Alltag integriert werden können. „Bevor wir uns eine neue Waschmaschine kaufen, machen wir uns häufig schlauer als vor der Anschaffung eines Haustieres. Dabei gibt es heute so viele Möglichkeiten, sich einfach zu informieren", sagt Susy Utzinger. Viele Organisationen und Verbände, Tierärzte und Trainer stehen dem zukünftigen Besitzer gerne zur Seite.
 
Inken Rehburg arbeitete lange in der IT Branche. Der Neuanfang als Tierhomöopathin und -ernährungsberaterin gab ihrer beruflichen Tätigkeit einen für sie sinnstiftenden Inhalt. Mit Begeisterung beschäftigt sie sich seitdem mit weiteren Formen der ganzheitlichen Medizin. Nebenher arbeitet sie als freie Journalistin.

Lifestyle | LOHAS & Ethischer Konsum, 01.03.2019
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
     
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