Christina Ruchel

1.500 „Sitzplätze“ und einen Kilometer „Stehplätze“ …

… bietet das größte Volksfest der Welt den knapp 6,4 Millionen Besuchern in ­München an.

Die Rede ist von Toiletten. Irgendwo müssen die 7,7 Millionen ­konsumierten Maß Bier auch wieder raus. Die Bereitstellung von sanitären Anlagen auf Großevents und Festivals ist im wahrsten Sinne des Wortes ein dringendes Bedürfnis. Auch hier gibt es neue Lösungen.

Das Münchner Oktoberfest aus der Vogelperspektive. Irgendwo müssen die 7,7 Millionen ­konsumierten Maß Bier auch wieder raus. Die Bereitstellung von sanitären Anlagen auf Großevents und Festivals ist im wahrsten Sinne des Wortes ein dringendes Bedürfnis. Foto: © Karl Stuelpner, pixelio.deHerkömmliche Chemie-Klos sind bei 30 Grad Celsius wahrlich kein Fest für die Nase. Die Idee mobile Komposttoiletten auf Events zu betreiben kam mit dem Australier Hamish Skermer nach England. Skermers Firma Natural Event hat beim diesjährigen Glastonbury Festival mit insgesamt ca. 240.000 Besuchern mehr als 900 Komposttoiletten erfolgreich betrieben. Das Konzept kommt nun auch in Deutschland zum Einsatz. Die Öko-Toiletten sind dabei die Lösung mehrerer Probleme zugleich. Sägemehl in den Toilettenhäuschen oder gar ganze Strohballen verhindern, dass sich unangenehmer Geruch ausbreitet. Besonders findig sind die Franzosen der Firma Faltazi: Sie befestigen einfach ein Kunststoffurinal an einem Strohballen. Ein kleines Rohr wird tief in den Ballen gesteckt und leitet die Flüssigkeit ins Balleninnere. Dort beginnt eine chemische Reaktion zwischen dem im Urin enthaltenen Stickstoff und dem Kohlenstoff des Strohballens. Nach 6 bis 12 Monaten entsteht daraus ein Komposthaufen, der beim Anpflanzen im nächsten Jahr gebraucht werden kann. Das Urinal aus Stroh hat mehrere Vorteile gegenüber den traditionellen chemischen Toiletten – es mindert den Wasserverbrauch, senkt die Transport- und Bedienungskosten der Sanitäranlagen und lässt sich schnell vor Ort montieren. In Deutschland gibt es auch schon die ersten Nachahmer-Projekte, wie zum Beispiel den „Goldeimer" von einer Gruppe Kieler Studenten. Sie sagen den Chemie-Toiletten den Kampf an und „touren" mit ihren „Goldeimern" durch ganz Europa zu angesagten Festivals. Malte Schremmer, einer der Leiter des Projekts, ist der Meinung, dass Klos mehr Aufmerksamkeit verdienen. Weiter sagt er: „In Deutschland und den westlichen Ländern benutzen wir Spültoiletten und verschwenden damit Trinkwasser. Mit dem Wegspülen der Fäkalien verlieren wir wichtige Wertstoffe, die eigentlich genutzt werden könnten, um Böden zu düngen und Nahrungsmittel herzustellen."

Die EcoToiletten, die aktuell vor allem in Berlin und Brandenburg vermietet und verkauft werden, gehen über den reinen Nachhaltigkeitsaspekt hinaus: Die hochwertige Verarbeitung der Ein-Quadratmeter-Häuschen und die geruchsabsorbierenden Eigenschaften des Streumaterials verhelfen den Öko-Klos zu einem ansprechenden inneren und äußeren Erscheinungsbild. Die mobilen Toiletten verfügen über komfortable Sitze aus Holz, das von Natur aus keim- und bakterienhemmend wirkt. Unangenehme Gerüche werden durch das Streumaterial gebunden, das nach jedem Toilettengang nachgeworfen wird. Nach der Benutzung wird das Material kompostiert und dient anschließend als Bodenverbesserer. Neben dem Benefit, den ihre „Grünen Örtchen" für Benutzer und Natur schaffen, punkten die Gründer von EcoToiletten außerdem mit sozialem Engagement: Zusammen mit dem Verein Non-Water Sanitation e.V. und der German Toilet Organization setzen sie sich für den Bau von Trocken-Trenn-Toi­letten in Indien und anderen Ländern ein.
 

Festivals und Großveranstaltungen werden grün

Doch nur mit Öko-Toiletten ist es nicht getan. Insgesamt wollen Großveranstaltungen und Festivals grüner, sozialer und engagierter sein. Mit Angeboten wie „Green Camping" oder Slogans wie „Grüne Energie rockt" werben die Veranstalter über die Musik hinaus für ein umweltbewussteres Erlebnis. „Wir verstehen Nachhaltigkeit mehrdimensional", sagt der Sprecher des „MS Dockville", Jean Rehders. Auf dem Hamburger Stadtfestival würden nicht nur Pfandbecher aus nachwachsenden Rohstoffen ausgegeben und Müll getrennt. „Wir nutzen unsere Gewinne, um kulturelle Projekte zu unterstützen", sagt Rehders. Eine Ferienfreizeit für 150 Kinder solle die Lücke des lokalen Freizeitangebots in den Sommerferien schließen. Glücklich sind die Veranstalter ebenfalls über die umweltfreundliche Anreise: „Unserem Standort ist geschuldet, dass viele per Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln statt mit dem Auto anreisen." Im vergangenen Jahr seien rund 4000 Fahrräder gezählt worden.

Auch das „Wacken Open Air" kümmert sich um die Nachhaltigkeit: Ein mit der Universität Osnabrück entwickeltes Konzept sorgt dafür, dass Grünflächen sich nach dem Festival schnell regenerieren könnten. „Außerdem wird der Müll getrennt von der Fläche gesammelt", berichtet die Sprecherin des ICS Festival Services, Britta Kock. Gemeinsam mit den Behindertenwerkstätten aus der Region sei organisiert worden, dass während des Festivals Müllautos unterwegs sind. „Die Mentalität der Besucher in Bezug auf Müll hat sich auf jeden Fall verändert", meint Kock. Dieses Jahr war auch zum ersten Mal ein E-Scooter vor Ort. Er sorgte für Aufmerksamkeit und stand den Veranstaltern für Transporte zur Verfügung.
 

Die Bewahrung der Schöpfung

 „Der Deutsche Evangelische Kirchentag möchte der Vorreiter für ökologische Großveranstaltungen in Deutschland sein", so Christof Hertel von der Stabsstelle Umwelt der Stuttgarter Geschäftsstelle. „Wir bemühen uns unter anderem in folgenden Bereichen um die Bewahrung der Schöpfung: Anreise und Mobilität der Teilnehmenden vor Ort, Verpflegung mit ökologischen, saisonalen und regionalen Produkten und darüber hinaus mit einer bewussten Fleischreduktion nicht nur durch vegetarische Angebote." Auch in zahlreichen weiteren Maßnahmenfeldern, wie z.B. Beschaffung und Abfallvermeidung, kann der Kirchentag auf den Datenfundus des seit über 10 Jahren existierenden Umweltcontrollings zurückgreifen. Stets werden Umweltinnovationen getestet, um daraus auch Konzepte für andere Großveranstaltungen zu entwickeln.
 

Das Festival Tollwood in München steht für einen verantwortungsvollen und sorgsamen Umgang mit unserer Umwelt. Neben zahlreichen Konzerten gibt es auch leckere internationale Bio-Gerichte und kreatives Kunsthandwerk. Foto: © Sigi MuellerEin Vorreiter war auch das Münchner Tollwood: Bereits zum Start des Festivals 1988 hat es als erste Großveranstaltung in München Mehrweggeschirr vorgeschrieben. Damit nicht genug, wird seit vierzehn Jahren Grüner Strom eingesetzt und die Festivalgastronomie ist seit 2003 bio-zertifiziert. Nachhaltigkeit – das umfasst auf Tollwood zweierlei: Die umweltfreundliche Gestaltung sämtlicher Organisationsprozesse und die programmatische Verankerung ökologischer und sozialer Themen im kulturellen Programm andererseits. „Wir handeln aus Überzeugung", bekennt Christiane Stenzel, die Sprecherin des Festivals, „deshalb haben wir auch einen speziellen „Welt-Salon" eingeführt, in dem wir Nachhaltigkeitsthemen vorstellen, zusätzlich engagieren wir uns für Projekte wie Bio-Schulverpflegung oder artgerechte Tierhaltung."

Grün rocken und beten klappt demnach immer besser und vielleicht können wir auf der Wiesn auch bald „grüner" anstoßen, denn blau werden die Meisten ja von alleine.
Wem die Wiesn zu laut ist, der kann ab dem 25.11. bis 31.12. über das Wintertollwood schlendern, das ebenso auf der Münchner Theresienwiese stattfindet.

von Christina Ruchel 
  

Weitere Infos

 

Infos zu den Ökotoiletten:


Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2014 - Green Tech als Retter der Erde erschienen.

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