Wirtschaft? Ja bitte! – aber mal anders :-)

Immer mehr Menschen zweifeln an unserem Wirtschaftssystem.

 „Out of the box" denken, etwas komplett Neues vorstellen, Mut beweisen, Verantwortung zeigen. Das fordern die „jungen Wilden" der alternativen Wirtschaftssysteme. forum stellt spannende Ansätze für eine Neuordnung der Wirtschaft vor.

So wie wir die Wirtschaft kennen, scheint Sie einem Postulat von Wachstum und Profitmaximierung zu unterliegen. Doch reicht dies als Daseinsbegründung? Ist nicht vielmehr die Wirtschaft für das Wohl der Bürger und die Förderung des kollektiven Wohlstandes entstanden? Der zunehmende Imageverlust der Wirtschaft, das Auseinanderklaffen von Arm und Reich, Ressourcenraubbau und die Belastung unserer natürlichen Lebensgrundlagen machen deutlich, dass wir das Raubtier Wirtschaft wieder zum Haustier domestizieren sollten. Für manche Vordenker ist deshalb Wirtschaftswachstum Schnee von gestern und Kooperation zum Wohle der Gemeinschaft das Paradigma von morgen.

Die Gemeinwohl-Ökonomie – ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft?

Schon 300 v.Chr. schreibt Platon in der „Politeia": „Das Gemeinwohl stellt die Funktion und das Ziel der politischen Gemeinschaft dar, in ihm verwirklichen sich die Bedürfnisse, die Interessen und das Glück aller Bürger durch ein tugendhaftes und gerechtes Leben." Und auch Cicero (106-43 v.Chr.) konstatiert, dass das Wohl des Volkes als oberstes Gesetz gelten soll. Damals wie heute war die Idee des Gemeinwohls sehr verbreitet und auch die These, dass das Gemeinwohl der Weg zum Glück für alle Bürger sei, ist nicht neu. Über 2.000 Jahre später heißt es nun seit 1946 in der Bayerischen Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl" (Art. 151). Auch das Grundgesetz erwähnt das Wohl der Allgemeinheit und sagt aus, dass „Eigentum verpflichtet" und sein Gebrauch „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" soll. (Art. 14).

Diese lange Entwicklung von Platon über Cicero und weitere Philosophen bis hin zur Niederschrift im Grundgesetz zeigt, dass das Gemeinwohl sehr präsent und wichtig für eine funktionierende Gesellschaft ist. Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte genau diese Gesetze und die Aussagen der großen Philosophen wörtlich nehmen und in der Praxis von Unternehmen und Gemeinden verankern.

Wächst du noch oder blühst du schon?

Wächst du noch oder blühst du schon? © AndreusK / Fotolia.comSeit ihrer Gründung hat der Gedanke einer Gemeinwohl-Ökonomie viele Anhänger gefunden und eine rasante Entwicklung hingelegt. Christian Felber, Mastermind und einer der Gründungsinitiatoren der Bewegung, hat in den vergangenen vier Jahren bereits mehr als 460 Vorträge über die Gemeinwohl-Ökonomie gehalten. Bis nach Santiago de Chile wird der charismatische Österreicher eingeladen, um die neue Theorie vorzustellen und zur Anwendung und gemeinsamen Weiterentwicklung einzuladen. Sein erstes Buch zur Gemeinwohl-Ökonomie ist in 7 verschiedenen Sprachen erschienen und wurde im deutschsprachigen Raum rund 40.000 Mal verkauft. Sein neuestes Buch „Geld – Die neuen Spielregeln" hat ebenfalls eine beachtliche erste Auflage von 10.000 Exemplaren. Die Veröffentlichungen haben zum Teil heftige Kontroversen ausgelöst, aber noch viel mehr begeisterte Leser gefunden. Gabriele Wander, Geschäftsführerin des Stuhlherstellers Mi Shu und Fan des neuen Wirtschaftsansatzes schwärmt: „Das Beste daran ist, dass jeder einen Beitrag leisten kann, jetzt sofort. Wir brauchen nicht erst darauf zu warten, bis Politiker die Gesetze ändern und damit die Weichen stellen: Wir Unternehmer fangen einfach an." Als Einstieg empfiehlt sie Felbers Buch „Gemeinwohl-Ökonomie".

Die Brücke in die Zukunft

Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene einen „dritten" Weg aufzeigen und reiht sich somit weder bei der kapitalistischen Marktwirtschaft noch bei der kommunistischen Wirtschaftstheorie ein. Vielmehr beruht ihr Ansatz auf ethischen Grundwerten wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie. In einem für die Wirtschaft verbindlichen Rechtsrahmen möchte die Gemeinwohl-Ökonomie somit ihre Wirkung entfalten. Die tragenden Säulen sind keinesfalls neu, sondern sie passen die neue Wirtschaftsordnung den Zielen und Werten der Verfassung demokratischer Staaten an: Geld, Gewinn und Kapital werden vom Zweck zu Mitteln des Wirtschaftens. Es gibt derzeit keine Verfassung, die besagt, dass Geld oder die Mehrung des Kapitals der Zweck des Wirtschaftens seien.

Kooperation ist das Schlüsselwort und gilt statt Konkurrenz als neues Paradigma. Die einfache Grundthese: Wenn die Menschen mehr zusammenarbeiten führt das zum Erfolg aller. Das Umfeld dafür sind gute zwischenmenschliche Beziehungen.

Das „Herzstück" – die Gemeinwohl-Bilanz

Die Gemeinwohl-Bilanz eines Unternehmens oder einer Gemeinde ist das „Herzstück" der Gemeinwohl-Ökonomie. Sie zeigt auf, wie human, wertschätzend, kooperativ, solidarisch, ökologisch und demokratisch sich eine Organisation verhält. Gemessen wird das Ergebnis in Punkten. Jedes Unternehmen kann maximal 1.000 Punkte erreichen und seine Position in einer farblich unterscheidbaren Ampel darstellen, die auf Produkten und Dienstleistungen abgebildet werden kann. Streicht der Konsument mit dem Handy über den QR-Code, erscheint auf dem Display die gesamte Gemeinwohl-Bilanz. Damit liefert die Gemeinwohl-Ökonomie transparente, vergleichbare Informationen. Eine ordnungspolitische Konsequenz und Belohnung für den Gemeinwohl-Einsatz sollte dann sein: Je besser das Ergebnis eines Unternehmens, desto mehr rechtliche Vorteile sollte es erhalten. Beispiele wären ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz, Zoll- und Tarifvorteile oder günstigere Zinssätze bei Krediten. Mithilfe dieser Anreizinstrumente würde die verkehrte Situation von heute zurechtgerückt: Nicht die Profitmaximierer, sondern die Ethischsten, Nachhaltigsten und Verfassungstreuesten werden belohnt. Gemeinwohl-Akteure könnten damit Kostenentlastungen erhalten und ihre Produkte zu einem attraktiven Preis anbieten. Andere, die noch nicht gemeinwohlorientiert handeln, müssten sich umorientieren oder würden gar vom Markt verschwinden. Die „Gesetze" des Marktes würden mit den Werten der Gesellschaft übereinstimmen. Bereits 2011 erstellte Sonnentor als eines der ersten Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz.

„Für uns ist die Gemeinwohl-Ökonomie eine Form des Wirtschaftens, die nicht den Gewinn, sondern das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt" erklärt Johannes Gutmann, der Gründer des Unternehmens, „das unterstützen wir, denn nur so kann die Freude wachsen" (siehe dazu auch unseren Beitrag „Die Kräuterbarone" aus der Reihe „Die Bio-Pioniere").

Eine von oben gesteuerte Zwangswirtschaft?

Neben diesen Fragen gibt es auch kritische Stimmen zur Gemeinwohl-Ökonomie. So heißt es z.B. auf der Seite der Julius Raab Stiftung: „Was für manche auf den ersten Blick nach sympathischen Vorschlägen für eine bessere Welt klingen mag, entpuppt sich bei Detailanalyse als Neuauflage einer von oben gesteuerten Zwangswirtschaft." Das liberal-konservative österreichische Tagesblatt DiePresse wirft Christian Felber „ein geschlossenes Weltbild und hermetische Argumentation" vor. Weiter schreibt sie, „Kritik ist nicht erwünscht und alle, die seine Thesen für Unsinn halten, haben falsche Werte. Hinter den demokratischen Überlegungen lugt das böse Antlitz der Diktatur hervor. Die Kenner der Geschichte ökonomischer Modellversuche bleiben mit Gänsehaut zurück. Felbers Gemeinwohl-Ökonomie geht von einem ebenso schlichten, rein ökonomischen Menschenbild aus, wie der von ihm zu Recht bekämpfte Neoliberalismus. Beide Systeme tendieren zu autoritären Entartungen."

Doch Christian Felber zeigt sich unbeeindruckt und weist Vorwürfe, eine Diktatur aufbauen zu wollen, vehement zurück. Es gehe ihm nicht darum, jemandem ein neues System aufzuzwingen, sondern eine praktisch anwendbare Alternative zu entwickeln, bei der jeder zur Mitgestaltung eingeladen ist. Damit legt er seinen Kritikern das Handwerk. Jeder kann den neuen Ansatz mitgestalten, und deswegen sind konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge ausdrücklich erwünscht.

Ausblick

© Severin GroeverDie Zukunft der Gemeinwohl-Ökonomie sieht gut aus. Die Homepage der Bewegung ecogood.org verzeichnet 1.686 Unternehmen aus 27 Staaten. Hinzu kommen 62 PolitikerInnen, 214 Vereine, Gemeinden, Universitäten und über 5.791 Personen. Fast täglich wächst die Community und kommt bis dato auf eine Gesamtanzahl von 7.753 Unterstützern. An die 100 Gemeinden und Städte in Europa und Amerika zeigen Interesse und organisieren „kommunale Wirtschaftskonvente". In Österreich gibt es bereits besonders viele Gemeinwohl-Unternehmen und in Zusammenarbeit mit der Universität Salzburg wird ein Masterstudiengang zur Gemeinwohl-Ökonomie erarbeitet. Südtirol überlegt, eine „Gemeinwohl-Ökonomie-Modellregion" zu werden. In Deutschland und der Schweiz sind Regionalgruppen entstanden, die gut zusammenarbeiten und ihr „Energiefeld" fortlaufend erweitern. Das langfristige Ziel ist nicht die Durchsetzung eigener Inhalte, sondern die demokratische Diskussion und Entwicklung einer zukunftsfähigen Wirtschaftsverfassung. Ein historisch würdiges Datum dafür könnten die Jahre 2019 und 2020 sein: 100 Jahre Demokratie in Deutschland und Österreich. Die Ziele sind weit gesteckt und mit einer verbesserten Kommunikation erhoffen sich die Vorantreiber der Gemeinwohl-Ökonomie weitere Erfolge. Eines ist für die Gründer und Pioniere klar: Die Bewegung steht erst am Anfang!

Wie Postwachstumsökonomie – kann sie den Wachstumswahn stoppen?

Die Postwachstumsökonomie beschäftigt sich mit einer umfassenden Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen, die uns vom Wachstumszwang befreien soll. Der Volkswirt Nico Paech, Professor an der Uni Oldenburg und konsequenter Vordenker der Postwachstumstheorie, stellt mit seinem Ansatz die bisherigen Strukturen der Gesellschaft sowie deren Organisation auf den Kopf. Er verlangt eine radikale Transformation von Institutionen und kulturellen Mustern sowie die Neugestaltung von Produktion und Konsum. Die Verfechter dieser Wirtschaftsrichtung fordern eine – für viele befremdliche – Reduzierung der Arbeitszeit, eine Einschränkung von Werbung durch Besteuerung oder sogar eine Geld- und Bodenreform. Postwachstumsaktivisten engagieren sich in alternativen Projekten, die eine Zukunft ohne Wachstumsdiktat vorbereiten sollen und entwickeln auf diese Weise ein alternatives gesellschaftliches Modell. An der Vision einer Postwachstumsgesellschaft beteiligen sich viele soziale Bewegungen und Initiativen mit dem Ziel, konkrete Räume für alternative Lebensweisen zu schaffen. Überall in Europa lassen sich bereits zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung des postwachstumsökonomischen Ansatzes finden, wie etwa die Commons- und Transition Town-Bewegung oder das Solidarische Ökonomie-Netzwerk. Dabei entstehen lokal verankerte Produktions- und Dienstleistungsgenossenschaften. Den Protagonisten geht es um die langsame Befreiung aus der Wachstumssucht, die tief in unsere kollektive Vorstellungswelt eingedrungen ist und alle Aspekte unseres Lebens durchdringt. Die Einführung einer Grundsicherung (bedingungsloses Grundeinkommen) oder ein allgemeiner und kostenloser Zugang zu wesentlichen Dienstleistungen wie Bildung, Transport, Wohnen und gesundheitlicher Vorsorge wird verlangt. Einen weiteren Vorschlag stellt auch die Stärkung von lokalen Selbstverwaltungsprojekten sowie mehr Basisdemokratie dar.

Einige Fragen bleiben offen

Diese Ansätze stehen noch vor vielen Herausforderungen. Ein unkritisches Vertrauen in traditionelle soziale Netzwerke führt unter Umständen zu einer einseitigen Idealisierung von vorindustriellen Modellen des Zusammenlebens und der Güterherstellung. Gerade in diesen Modellen lauern jedoch schwerwiegende Formen von Unterdrückung und Ausbeutung, denen vor allem Frauen (und Kinder) ausgeliefert sind. In vielen Postwachstumsentwürfen versteckt sich ebenso das Risiko eines radikalen Lokalpatriotismus. Das Ideal einer Gesellschaft jenseits des Wachstums würde dann nur kleine lokale Gemeinden betreffen, die zueinander in Wettbewerb stehen. Ihre Grenzen sichern sie durch Isolierung und Ausschließung. Nach Ansicht von Barbara Muraca, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Kolleg „Postwachstumsgesellschaften" der Friedrich-Schiller-Universität Jena, „kann Relokalisierung nur dann gelingen, wenn neue Modelle von Gemeinschaften entwickelt werden, die emanzipatorisch, kulturell offen und weltweit vernetzt sind" und die Frage klären, „wie die vielen lokalen und regionalen Gemeinden gesamtgesellschaftlich koordiniert werden sollten". Nach Ihrer Ansicht kann „die Idee einer umfassenden Arbeitszeitverkürzung nur dann gerecht sein, wenn sie die Trennung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit in Frage stellt. Alle für die Gesellschaft notwendigen Tätigkeiten – vor allem aber Sorge- und Pflegetätigkeiten – müssten strukturell neu organisiert werden".

Die Solidarische Ökonomie – Sinn vor Gewinn und ­Kooperation statt Konkurrenz

Die Zutaten der Solidarischen Ökonomie (SÖ) passen auf jeden Einkaufszettel: Es geht um Sinn vor Gewinn und um Kooperation statt Konkurrenz. Solidarität wird beim Ansatz der Solidarischen Ökonomie großgeschrieben; als Verbundenheit mit der lokalen Gemeinschaft, aber auch global und mit kommenden Generationen. Die SÖ hat viele Wurzeln, zum Beispiel indigene und traditionelle Wirtschaftsformen inklusive der Genossenschaftsbewegung. In den 1980er-Jahren brachte Luis Razeto (Chile) erstmals die scheinbar gegensätzlichen Begriffe „Solidarität" und „Ökonomie" zusammen. Populär wurde sie als Antwort auf die neoliberale Globalisierung und die damit zusammenhängenden Wirtschaftskrisen in Lateinamerika. In Brasilien erreichte die Solidarische Ökonomie 2003 die Einrichtung eines Nationalen Sekretariates für SÖ (SENAES) mit einem Staatssekretär aus der Bewegung. Auch hierzulande gibt es vielfältige Formen alternativen Wirtschaftens. Die Bewegung ist allerdings in verschiedene Szenen zersplittert und fortwährend entstehen weitere Ansätze und Begriffe. Am Beispiel Brasilien lassen sich die Möglichkeiten einer breiten politischen Vernetzung über soziale und kulturelle Grenzen hinweg aufzeigen. Auch Universitäten, kirchliche Einrichtungen und Gewerkschaften haben sich angeschlossen. Die Vernetzung ermöglicht umfassenden Wissenstransfer, politische Kampagnen sowie wachsende ökonomische Kooperationsstrukturen. Rechte und Entscheidungen werden nicht nach der Größe des Geldbeutels vergeben. Betriebe und Projekte der Solidarischen Ökonomie sind immer selbst organisiert, das heißt, sie (er)finden angepasste demokratische Entscheidungsstrukturen und kollektive Eigentums- beziehungsweise Nutzungsformen für sich. Die Grundlage der Entscheidungen bei der SÖ ist das Konsensprinzip. So können die Bedürfnisse aller Betroffenen wahrgenommen und tragfähige Entscheidungen erreicht werden.

Teil einer politischen Bewegung

Die Solidarische Ökonomie lädt ein, aus der passiven Rolle des Konsumierens sowie der Abhängigkeit von anonymen, globalen und undemokratischen Märkten herauszutreten. Nicht aus Not, sondern verbunden mit Selbstbestimmung entsteht eine nachhaltige Alternative. Trotzdem kann die Solidarische Ökonomie allein nicht die klaffende gesellschaftliche Spaltung in Arm und Reich lösen. Denn dies darf nicht von der Schenk- und Teil-Laune Einzelner abhängig bleiben. Daher ist die Solidarische Ökonomie Teil einer politischen Bewegung: Ihr Part besteht darin, konkrete Fenster in die Welt von morgen zu öffnen. Ihre Förderung wurde bereits in einzelne Koalitionsprogramme aufgenommen (NRW, Niedersachsen), allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die konkrete Umsetzung gestalten wird. In der Zukunft muss sich die Bewegung vernetzen und hörbar machen, um politische Forderungen – wie z.B. den Abbau von Subventionierungen der „unsolidarischen Ökonomie" – stellen zu können.

Shareconomy – sind wir bereit zu teilen?

Früher bedeutete Mobilität, ein eigenes Auto zu besitzen. Heute gibt es mehr Gestaltungsfreiheit: Via App kann in der Nähe schnell ein Auto kommerzieller Anbieter ausgeliehen werden. Ebenso lässt sich über das Netz in Erfahrung bringen, welche Nachbarin ihr Fahrzeug anbietet. Oder man wählt eine Mitfahrgelegenheit oder bietet selbst Plätze an. Teilen gab es schon immer – doch nie war es leichter als heute, über das Internet Angebot und Nachfrage zu verknüpfen. Das Teilen ist wohl die ursprünglichste Form des Wirtschaftens – als elementare Überlebensstrategie und wichtiges Bindemittel sozialen Zusammenhalts. Das Faszinierende an der sich ausbreitenden „Share Economy" ist eine damit verbundene Veränderung der Lebensweise und Selbstwahrnehmung: Der Mensch rückt wieder in den Mittelpunkt. Bahnt sich das Teilen wieder seinen Weg an die Oberfläche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens? Wird der Homo oeconomicus zum Homo collaborans? Um Dinge oder Dienstleistungen zu teilen, muss man miteinander kommunizieren und interagieren. Das schafft Vertrauen und Verbundenheit – zumindest in der Regel.

Web 2.0 macht es möglich

Der Wert des Teilens geht meist mit ökonomischen und ökologischen Vorteilen einher. In Zeiten ökologischer Überbeanspruchung des Planeten etablieren sich Formen ressourcenschonenden Wirtschaftens. Die meisten Menschen beginnen zu teilen, weil sie einen ökonomischen Vorteil sehen. Der Wert des Teilens geht jedoch weit darüber hinaus: Das Soziale daran erzeugt Verbundenheit, macht Freude und stiftet Sinn. Geld verliert an Wichtigkeit, und statt dem üblichen Misstrauen entsteht Vertrauen. Im Internet hat sich seit der Jahrtausendwende eine neue Kultur des Teilens herausgebildet. Diese baut auf die sozialen Medien, die sich überall bildenden Communities, die technischen wie partizipativen Möglichkeiten des Web 2.0 und die rasante Verbreitung von Mobiltelefonen und Smartphones. Die Staatsbürokratie begegnet diesen Phänomenen bislang noch mit Unverständnis. Politiker ignorieren die Share Economy daher weitgehend, halten lieber an Altbekanntem fest oder schränken sie unter dem Einfluss bestimmter Lobbygruppen ein. Doch die Gesellschaft wird, in Zeiten von immer knapper werdenden Ressourcen, zwangsläufig auf eine auf Teilen und Kollaboration basierende Ökonomie 2.0 herauslaufen. Hier steckt großes Veränderungspotenzial hin zu einer neuen, nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Commonsbasierte Peer-Produktion – wie gemeinsam produzieren?

Die commonsbasierte Peer-Produktion impliziert eine Ökonomie der Gegenseitigkeit. Ein Geben und Nehmen bei dem alle gewinnen können. Dies bezieht sich sowohl auf immaterielle Ressourcen wie Wissen, Softwarecode oder Baupläne, als auch auf die Produktionsmittel, welche gemeinschaftlich und in wechselseitigem Interesse genutzt werden. Jeder Prozess, bei dem Individuen aus freier Entscheidung und offen zu einem gemeinsamen Pool an Wissen, Software oder Bauplänen beitragen, kann als commonsbasierte Peer-Produktion bezeichnet werden. Dabei kann niemand einem anderen etwas vorschreiben, und somit müssen Entscheidungen zwangsläufig gemeinsam getroffen werden. In Analogie zur Zirkulation von Kapital bildet sich also ein Kreislauf von Commons, die sich miteinander vernetzen und immer wieder selbst reproduzieren.

Eine Reaktion auf die Industrialisierung der Landwirtschaft

Die Projekte der Commons entstanden als Reaktion auf die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft. Sie vereint das Interesse, bedarfsgerechte landwirtschaftliche Produktionstechnik und Hilfsmittel für kleine Bewirtschaftungseinheiten zu entwickeln, die sie selbst (nach)bauen und reparieren können. Beispiele dafür sind Plattformen für den landwirtschaftlichen Maschinenbau wie der Zusammenschluss von französischen Biobauern und Ingenieuren, das Slow Tools-Project und Farm Hack. Beim Open Design wird darauf geachtet, dass die Produkte robust und langlebig sind. Die commonsbasierte Peer-Produktion kann auch gut mit der Infrastruktur der Shareconomy kombiniert werden. Das bildet die Grundlage für eine Wirtschaft ohne Wachstumszwang: Statt immer mehr Dinge herstellen zu müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und damit immer mehr Energie und Ressourcen zu verschlingen, soll mehr mit ein und demselben Ding produziert werden. Noch ist Peer-Produktion eine Art Prototyp und wird unter die politische Ökonomie des Kapitals subsummiert – so wie es immer wieder in der Geschichte geschah, wenn eine neue Produktionsweise innerhalb einer noch dominierenden entstanden ist. Die gemeinsame Abstimmung und Vernetzung unter den Produzenten könnte schrittweise den Markt ersetzen und die Planung dezentralisieren. Damit Peer-Produktion aus den Labors und Nischen von heute herauskommt, braucht es drei Elemente: 1. ein neues Selbstverständnis von Zivilgesellschaft als freie Bürgerinnen und Bürger, die an Commons teilhaben, 2. eine ethische Ökonomie, die commonsorientiert produziert und 3. einen „Partner Staat". Dieser ermöglicht und fördert die neue Bewegung durch Infrastruktur und einen Rechtsrahmen. Dies kann nur auf politischem Weg erreicht werden, durch Kämpfe und Forderungen der neuen sozialen Bewegungen rund um diese solidarischen Produktionsverhältnisse.

In der kommenden Ausgabe starten wir mit den Partnerseiten zur Gemeinwohlökonomie. Darüber hinaus stellen wir Ihnen Theorie und Ausprägungen der Öko-Sozialen Marktwirtschaft vor und laden Sie ein, Ihre Ansichten und Erfahrungen an uns zu senden oder direkt telefonisch Kontakt mit uns aufzunehmen.

Von Christina Ruchel
 

CHRISTINA RUCHEL
studiert Internationale Betriebswirtschaftslehre an der Otto-­Friedrich-Universität Bamberg und beschäftigt sich mit alternativen Wirtschaftssystemen. Sie organisiert Veranstaltungen, um Menschen zum aktiven Handeln für ein neues Wirtschaften zu begeistern. 

Obiger Beitrag beruht auf Auszügen aus dem Magazin „Seitenwechsel – Die Ökonomien des Gemeinsamen" der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir bedanken uns bei den Autoren Barbara Muraca, Dagmar Embshoff, Thomas Dönnebrink, Michael Bauwens und Christian Felber.

Die Broschüre kann kostenlos als Download oder Heft unter www.boell.de bezogen werden.

 

 

 


Wirtschaft | CSR & Strategie, 01.10.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2014 - Green Tech als Retter der Erde erschienen.
     
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