Christoph Quarch

Aufstand der Demokraten

Für Christoph Quarch ist ein "Aufstand der Anständigen" ohne Zivilcourage wertlos

Seit Wochen gehen in Deutschland Menschen auf die Straße, um gegen rechte Stimmungsmache und Politik zu demonstrieren. Damit reagieren sie auf ein publik gewordenes Geheimtreffen in Potsdam, dessen Teilnehmer sich über Pläne zur sogenannten Remigration verständigten – ein Deportationsprogramm, von dem Millionen in Deutschland lebender Menschen und Staatsbürger betroffen wären und das von AfD-Politikern offensiv gefordert wird. In den Medien werden diese Kundgebungen häufig als „Aufstand der Anständigen" tituliert – eine Formulierung, die auf den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder zurückgeht, der nach einem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000 sagte: „Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen. Wegschauen ist nicht mehr erlaubt." Aber was heißt eigentlich „anständig"? Darüber reden wir mit dem Philosophen und Autor Christoph Quarch.

Seit Wochen gehen in Deutschland - wie hier auf dem Münsterplatz in Ulm - Menschen auf die Straße, um gegen rechte Stimmungsmache und Politik zu demonstrieren. © Hans, pixabay.comHerr Quarch, lässt sich die Formel vom Aufstand der Anständigen auf die Situation im Jahre 2024 anwenden?
Ja und nein. Wenn der damals von Gerhard Schröder angehängte Nachsatz zur Erklärung der Formel mitgehört wird, dann kann und sollte man meines Erachtens auch 2024 für einen „Aufstand der Anständigen" votieren. Dann wäre nämlich klar, was mit „anständig" gemeint ist: eine Haltung der Zivilcourage; eine Haltung, die nicht wegschaut, wenn Unrecht geschieht oder sich Tendenzen breit machen, die klar verfassungsfeindlich und undemokratisch sind. Dass es diese Tendenzen bei der AfD und anderen rechten Bewegungen gibt, liegt für mich auf der Hand, nicht erst seit dem Bekanntwerden des Geheimtreffens in Potsdam. Von daher kommen die Proteste zur richtigen Zeit.

Sie sagten „Ja und Nein". Woher rührt Ihre darin anklingende Zurückhaltung gegenüber der Formel vom „Aufstand der Anständigen"?
Ohne den Bezug zum Thema Zivilcourage tue mich schwer mit dem Wort „anständig". Es bedeutet genau genommen nichts anderes als: konform mit den in einer Gesellschaft in Geltung stehenden moralischen Normen und Werten. Man könnte auch sagen: „Anständig" sind alle diejenigen, die sich der Mehrheitsmeinung anschließen – und zwar ungeachtet dessen, was diese Mehrheitsmeinung sagt. So würden sich in Russland vermutlich die Unterstützer von Putins Angriffskrieg als „Anständige" bezeichnen. Deshalb wäre mir eine qualitative Aussage lieber: also etwa: „Aufstand der Demokraten". 

Aber ist das nicht ein wenig spitzfindig. Im Prinzip ist doch klar, dass genau das gemeint ist, wenn in einer Demokratie vom Aufstand der Anständigen gesprochen wird.
Da bin ich mir nicht sicher. Wer sich als Demokrat bezeichnet, gibt zu verstehen, dass er sich zur Verfassung unseres Landes bekennt. Wer sich darüber hinaus als „anständig" tituliert, gibt – vielleicht ohne es zu wollen – zu erkennen, dass er sich moralisch überlegen fühlt; nämlich gegenüber den vermeintlich Unanständigen. Damit kommt ein Zungenschlag in die Debatte, der mir nicht gefällt. Zum einen, weil dadurch ohne Not ein Keil in die Gesellschaft getrieben wird; und zum andern, weil man Gefahr läuft, genau das psychologische Muster zu bedienen, das viele Menschen in die Arme rechter Populisten treibt: eine Kränkungsgefühl, das sie gegen die Mehrheitsgesellschaft aufbringt – das kann die Kränkung sein, die viele Ostdeutsche nach der Wiedervereinigung erlitten haben, oder es kann die Kränkung von Landwirten sein, die nicht damit klar kommen, dass ihre unökologischen Produktionsmethoden aus der Zeit gefallen sind.

Das mag ja sein, aber kann man als demokratischer Bürger darauf Rücksicht nehmen, wenn man den Eindruck hat, dass die Demokratie gefährdet ist?
Ich gestehe, dass ich darauf keine eindeutige Antwort habe. Vielleicht ist es wirklich ein Dilemma. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass die Nationalsozialisten von 100 Jahren gezielt das Kränkungsgefühl adressierten, das viele Deutsche nach dem 1. Weltkrieg hatten – und dass sich gekränkte Menschen gerne denen anschließen, von denen sie so etwas wie Wiedergutmachung erhoffen. Das Fatale ist, dass es dabei völlig egal ist, ob das Gefühl der Kränkung zurecht besteht. Dass die Wiedervereinigung bei manchen Ostdeutschen diesen Eindruck erweckt hat, kann ich verstehen; bei vielen Landwirten scheint mir die Kränkung jedoch herbeigeredet. Aber das macht sie nicht weniger gefährlich. Wir haben es hier also mit Sprengstoff zu tun, den man entschärfen muss, ohne dabei seine eigenen Werte zu verraten. Das ist die Herausforderung, vor der wir Demokraten im Augenblick stehen. 

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 

Weitere Artikel von Christoph Quarch:

Zeit - Ressource oder Kostenfaktor
Christoph Quarchs philosophischer Blick auf Reformstau und notwendige Investitionen in Infrastruktur und Innovationen
Diese Woche wird nach fünfzehn Wochen Vollsperrung der Mont-Blanc-Tunnel wieder freigegeben. Damit ist rechtzeitig zum Winterbeginn eine der wichtigsten Alpenverbindungen wieder passierbar. Aber das wird sich bald schon wieder ändern, denn die Sanierungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen.


Großzügigkeit und Wohlwollen
Christoph Quarch wünscht sich einen Relaunch des Nikolaus-Festes
Alle Jahre wieder... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der Nikolaus. Am 6. Dezember ist es wieder so weit. Vielerorts finden die Kinder dann in ihren eigens vor der Tür deponierten Schuhen kleine Geschenke, und in den Kitas und Kindergärten tummeln sich zumeist rot kostümierte, bärtige Gestalten, die den Kids kleine Präsente überreichen. Was es ursprünglich mit dem Nikolausfest auf sich hat, wissen allerdings nur noch die wenigsten.


"Du sollst konsumieren!"
Für Christoph Quarch ist der Black Friday ein schwarzer Tag
Wenn der Dezember naht, beginnt die schwarze Zeit. Nein, nicht von den trüben ersten Wintertage ist die Rede, sondern von der Black Week, der Woche vor dem Black Friday, in der all überall die Preise purzeln und die Konsumenten darauf hoffen, rechtzeitig vor Weihnachten noch das eine oder andere Schnäppchen zu ergattern.


Selbstgewählte Einsamkeit
Christoph Quarch analysiert den Trend und empfiehlt, Komfortzonen zu verlassen
In dieser Woche sprechen wir über das Thema Einsamkeit. Ein Aspekt, der dabei noch nicht so viel Beachtung gefunden hat, ist die selbstgewählte Einsamkeit bzw. das selbstgewählte Allein-Sein. Und das liegt im Trend: Jüngsten Erhebungen zufolge legen vor allem ältere Frauen immer weniger Wert auf ein Leben zu zweit.


Wenn Klimaschutz nur der Ökonomie schadet...
Christoph Quarchs Überlegungen zur Generationengerechtigkeit
In Belém tagt seit Montag die Weltklimakonferenz COP30. Bei ihren Eröffnungsreden waren sich alle Sprecher einig: Unternimmt die Weltgemeinschaft nicht mehr als bisher gegen den Klimawandel, gerät unser Überleben auf diesem Planeten immer mehr in Gefahr. Ob die angereisten Vertreter und Repräsentanten aus über 190 Ländern zu konstruktiven Ergebnissen kommen, ist allerdings fraglich.




     
        
Cover des aktuellen Hefts

forum future economy

forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy.

  • Zukunft bauen
  • Frieden kultivieren
  • Moor rockt!
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
17
DEZ
2025
Lunch & Learn: Geschichten & Inspirationen zum Mitmachen
Impulse: Katrin Hansmeier, Basil Merk, Tina Teucher
online
17
JAN
2026
INNATEX
Internationale Fachmesse für nachhaltige Textilien
65719 Hofheim-Wallau
05
FEB
2026
Konferenz des guten Wirtschaftens 2026
Veränderung willkommen? Wie Wandel gelingen kann
90475 Nürnberg
Alle Veranstaltungen...
Anzeige

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Megatrends

Wohlstandsverlust - und die Angst vor Veränderung
Christoph Quarch stellt die Frage, welche Art von Wohlstand wir wirklich brauchen
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

FNG-Siegel: 25 Fonds der Erste Asset Management mit Bestnote ausgezeichnet

Vom Öko-Pionier zum chinesischen Familienalltag: SODASAN und Stakunft Home gestalten nachhaltiges Wohnen

So klappt's mit den Weihnachtsgeschenken – ohne Stress und Schulden

Deutschland hat kein Geldproblem, Deutschland hat ein Skill-Problem

Zuversicht und Inspiration schenken

Landesinnungsverband des Maler- und Lackiererhandwerks Berlin-Brandenburg und Zentek halten Kunststoffeimer im Kreislauf

Ab 14.12.2025 gilt der neue Fahrplan der Deutschen Bahn für 2026

Wie verbessern Skibrillen die Sicht und Sicherheit auf den Pisten

  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • NOW Partners Foundation
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • toom Baumarkt GmbH
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Engagement Global gGmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • Global Nature Fund (GNF)
  • circulee GmbH
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften