Christoph Quarch
Umwelt | Klima, 10.07.2023

Verschwiegene Wahrheiten werden giftig!

Christoph Quarch plädiert zum 2. Jahrestag der Flutnacht im Ahrtal für die Schaffung öffentlicher Gedenkorte

Mehr als 130 Menschen verloren ihr Leben, als in der Nacht vom 14. zum 15. Juli 2021 infolge extremer Niederschläge die Ahr über die Ufer trat. Zwei Jahre sind die betroffenen Menschen noch immer damit zugange, die Ereignisse der Flutkatastrophe zu verarbeiten. Eine Möglichkeit dazu sind Gedenkorte oder Denkmäler, die an die Ereignisse erinnern sollen. Auch ein „Weg der Erinnerung" ist im Ahrtal geplant. Doch nicht alle Einheimischen sind damit einverstanden. Manche der Betroffenen sträuben sich dagegen, fortwährend an die Schrecken der Flutnacht erinnert zu werden. Braucht es gleichwohl solche Orte des kollektiven Gedenkens? Darüber reden wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
 
Herr Quarch, wieso gibt es eigentlich Denkmäler und Gedenkorte?
Stören öffentliche Gedenkorte das landschaftliche Idyll? © noher, pixabay.comDie Worte verraten es: Denkmäler und Gedenkorte sollen zu denken geben. Sie wollen nachdenklich machen und dazu einladen, besonderer Ereignisse zu gedenken. Oder sie wollen zu bedenken geben, was geschehen muss, damit sich bestimmte Ereignisse nicht wiederholen. In diesem Fall handelt es sich dann eher um Mahnmale. Und dann gibt es natürlich noch die Denkmäler, die dem Andenken an die Verstorbenen gewidmet sind. All das ist wichtig, weil auf diese Weise eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft gebaut wird: Das Geschehene wird vergegenwärtigt, um Impulse für das künftige Handeln zu geben.

Nun wollen aber manche Menschen nicht permanent an die Vergangenheit erinnert werden. Gibt es nicht auch ein Recht auf Vergessen – gerade, wenn Menschen darunter leiden, was geschehen ist?
Natürlich kann man niemanden dazu zwingen, sich den Schrecken der Vergangenheit auszusetzen. Manche Menschen sind so traumatisiert, dass sie dazu schlechterdings nicht in der Lage sind. Gleichwohl scheint es mir richtig, auch ihnen immer wieder neu das Angebot zu unterbreiten, sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen, auch oder gerade wenn es weh tut. Es ist nun einmal geschehen und Teil der Wirklichkeit. Es zu verleugnen oder auszublenden, führt in der Regel nur dazu, dass Schmerz und Leid in die tieferen Schichten der Seele auswandern und dort ein Eigenleben führen: Verbitterung, Depression oder Krankheit sind die Folge. Nietzsche hat einmal gesagt: Alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig.

Manche Menschen ziehen es vor, sich mit der Vergangenheit eher im Privaten auseinanderzusetzen. Müssen dafür wirklich öffentliche Gedenkorte geschaffen werden?
Das hängt vom konkreten Fall ab. Im Ahrtal halte ich es für richtig und wichtig: Die Katastrophe hat die gesamte Gesellschaft betroffen und muss folglich auch von der gesamten Gesellschaft verarbeitet werden. Dabei steht es natürlich jedem frei, sich von den öffentlichen Gedenkorten fernzuhalten und seiner Erinnerungsarbeit in den eigenen vier Wänden nachzugehen. Aber das öffentliche Gedenken ist im Ahrtal auch deshalb wichtig, weil im Falle der Flutkatastrophe jedes Denkmal auch ein Mahnmal sein muss. Wir wissen, dass die Katastrophe dem Klimawandel geschuldet ist. An sie zu erinnern, sollte deshalb immer von dem Appell begleitet sein, das eigene Verhalten zu ändern und zum Klimaschutz beizutragen. Was auf keinen Fall geschehen sollte, ist, dass Denkmäler dazu führen, dass sich die Menschen in einer Opferrolle einrichten oder in Selbstmitleid zerfließen. Heilung geschieht nur, wo man Ja zum Geschehenen sagt und einen Neuanfang wagt.

Wie sollten denn Ihrer Ansicht nach Gedenkorte konzipiert werden, damit sie eine heilsame Wirkung auf die Menschen ausüben können?
Ich halte es für wichtig, dass sie den Menschen viel Freiraum gewähren und sich darauf beschränken, einen Gedankenanstoß zu geben. Das ideale Medium dafür ist die Kunst. Nicht zufällig erzählten die alten Griechen, die Mutter der für die Künste zuständigen Musen sei die Titanin Mnemosyne – ein Name, der wörtlich übersetzt „Erinnerung" oder „Gedächtnis" bedeutet. Damit brachten sie zum Ausdruck, dass es die wichtigste Aufgabe der Erinnerung ist, die Kreativität der Menschen zu beflügeln und sie dazu einzuladen, das Geschehene durch einen schöpferischen Prozess in die Zukunft zu übersetzen. Von daher würde ich den Bewohnern des Ahrtals empfehlen, von überall her Kunstschaffende einzuladen, um Gedenkorte zu schaffen.
 
Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 

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