Tauchgang zur Titanic: Traumurlaub oder touristische Perversion?
Christoph Quarch sieht diesen Risiko-Tourismus für Superreiche als Metapher für jede Form des Tourismus
Es ist eine der größten Rettungsaktionen der jüngeren Seefahrtsgeschichte. Teams aus Kanada, Frankreich und den USA suchen seit Sonntag vergeblich nach dem Tauchboot „Titan", das bei einem Tauchgang zum Wrack der Titanic verschwunden ist. An Bord befinden sich vier Touristen und der Chef der Betreiberfirma Ocean Gate, die seit 2021 mit Erfolg die extrem kostspieligen Exkursionen zum Titanic-Wrack anbietet. Nun wirft die Havarie der „Titan" Fragen auf: Ist ein Risiko-Tourismus für Superreiche vertretbar, für dessen Folgen im Notfall die Allgemeinheit herhalten muss. Darüber reden wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, ein Tauchgang zur Titanic: Traumurlaub oder touristische Perversion?
Das eine schließt das andere nicht aus, aber ich tendiere eher zur „touristischen Perversion". Und das gar nicht so sehr wegen der 250.000 Euro, die man für den Tauch-Tripp zur Titanic berappen muss, sondern vor allem, weil Menschen an diesem Massengrab in der Tiefsee nichts verloren haben. Es zeugt von mangelndem Respekt, wenn Leute glauben, es stünde ihnen zu, alle Limits hinter sich zu lassen und in Bereiche vorzudringen, die man allenfalls mit Scheu und Ehrfurcht, keinesfalls aber mit rein touristischer Sensationsgier betreten sollte.
Aber es hat doch immer schon Leute gegeben, die das Extreme suchen: Bergsteiger, Entdecker, Abenteurer. Der Wunsch, über Limits zu gehen, scheint sehr menschlich zu sein.
Ja, aber es ist etwas anderes, ob man dafür jahrzehntelang trainiert und aus seiner Komfortzone ausbricht, oder ob man die Komfortzone mitnimmt. Eben das ist ja das Neue an diesem Superreichen-Tourismus. Für viel Geld kann man untrainiert auf den Everest gehievt, in einer gut geheizten Kapsel in den Orbit geschossen oder per Tauchboot zur Titanic befördert werden. All das ist riskant, ja. Das wissen die Kunden. Aber sie bleiben in ihrer Bubble. Das ist der springende Punkt. Sie lassen sich von dem, was ihnen begegnet, nicht angehen. Sie setzen sich der Wirklichkeit nicht aus, verharren gleichsam hinter der Panoramascheibe im vermeintlich sicheren Raum. Sie konsumieren auch dann noch, wenn sie in die Todeszone eintreten. Sie kommen von dort auch unverändert zurück. Das finde ich pervers.
Aber wer sagt ihnen, dass diese Menschen unverändert zurückkommen? Richard Branson war nach seinem touristischen Trip ins Weltall völlig aus dem Häuschen.
Klar, ich kann mir vorstellen, dass auch Touristen so sehr vom Anblick der Erde aus dem All ergriffen sind, dass sie daraufhin ihr Leben ändern. Aber ich halte es für unwahrscheinlich. Das ganze Setting dieses Superreichen-Tourismus steht dem im Wege. Die Botschaft der Anbieter ist klar: Für viel Geld bekommst du alles. Damit wird bei den Kunden eine Haltung erzeugt, die ich für verderblich halte: Mir steht alles zu! Ich kann alles haben! Verderblich ist das, weil es zu einer gefährlichen Selbsttäuschung führt – für einen selbst, wie die „Titan"-Havarie zeigt, aber auch gefährlich für andere, wie das Beispiel Elon Musk lehrt – auch ein Superreicher, der zur Selbstvergottung neigt.
Bedient der Superreichen-Tourismus aber nicht zugleich die Sehnsucht von Millionen, die sich auch einmal ein solches Abenteuer wünschen würden?
Einverstanden. Wäre es anders, hätten wir wohl nichts von dieser Havarie in den Nachrichten zu hören bekommen. Aber gerade das muss uns zu denken geben. Es könnte ja sein, dass der Superreichen-Tourismus nur die Spitze des Eisberges ist: dass an ihm etwas sichtbar wird, was bei jeder Form des Tourismus problematisch ist: nämlich diese Haltung des „Ich schaue es mir an, aber ich lasse mich davon nicht berühren!" Tatsächlich laufen wir fast alle mit dieser Einstellung durch die Gegend, wenn wir touristisch unterwegs sind. Wir machen Fotos und haben am Abend vergessen, was wir mittags angeschaut haben. Würden wir wirklich hinschauen und uns von der Welt berühren lassen, bräuchten wir nicht auf den Everest zu steigen oder zur Titanic zu tauchen. Das Leben böte uns genug, was uns in Begeisterung versetzen kann – ohne Adrenalin-Kick, ohne High-Tech und ohne Unsummen zu verschlingen.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
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