Fit für die Zukunft?
Christoph Quarch sieht im Koalitionsmarathon eine Sternstunde der Demokratie
Es war ein Verhandlungsmarathon von über 30 Stunden, doch am Ende zeigten sich alle Beteiligten zufrieden: Die Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP präsentierten am Dienstag ein Maßnahmenbündel, das Deutschland in den Bereichen Infrastruktur, Klimaschutz und Verkehrswege fit für die Zukunft machen soll. Der Bundeskanzler lobte die Einigung als „großes Werkstück". Die Opposition hingegen gibt sich entsetzt und kritisiert die Beschlüsse als „dürftig", „nebulös" und „blamabel". Wer hat Recht? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, Zeichen der Stärke oder Zeichen der Schwäche – was sagt der Philosoph zum Maßnahmenpaket des Koalitionsausschusses?
In aller Offenheit: Ich bin begeistert. Im Ernst. Denn was die Ampelkoalitionäre dort geleistet haben, hat Angela Merkel in 16 Jahren nicht geschafft: Politik machen. Oder wenn ich es etwas philosophischer formulieren darf: Sie haben zu erkennen gegeben, was das Politische ist: Diskutieren, miteinander Ringen, Kompromisse schließen – und dann den Mut aufbringen, Entscheidungen zu treffen, von denen man weiß, dass sie nicht allen schmecken werden; auch nicht den eigenen Wählergruppen. Wo das geschieht, erleben wir eine Sternstunde der Demokratie. Und das hat die viel gescholtene Ampel tatsächlich geschafft. Hut ab.
Viele Kommentatoren werfen den Koalitionären vor, sie hätten strittige Fragen wie die Zukunft des Heizens durch windelweiche Formulierungen ausgeblendet und nur Konflikte nur scheinbar beigelegt.
Die Frage ist, ob man das wirklich kritisieren muss. Solche Kritiker meinen, die Stärke einer Koalition liege darin, immer geschlossen zu sein und einstimmig getroffene Beschlüsse konsequent zu exekutieren. Das ist aber nicht das Ideal einer Demokratie. Deren Sinn besteht vielmehr darin, kontroverse Positionen zu Wort kommen zu lassen, sie miteinander abzugleichen und zu vermitteln. Zumal dann, wenn es um Themen geht, die in der Breite der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden. Es ist eine große Stärke der Ampelkoalition, dass sie auf vielleicht noch nie dagewesene Weise konkurrierende Gesellschaftsgruppen repräsentiert. Das macht die Zusammenarbeit mühsam, führt aber zu Ergebnissen, die bei der Bevölkerung mit breiter Akzeptanz rechnen dürfen.
Das ist aber nicht der Fall. Die Umweltverbände werfen vor allem den Grünen vor, mit ihrer Zustimmung zu einer künftigen „sektorübergreifenden" Berechnung von Umweltdaten den Klimaschutz verraten zu haben.
Ich persönlich würde mir auch mehr Klimaschutz wünschen, aber ich bin Realist genug, um einzusehen, dass man dafür die Menschen in diesem Land mitnehmen muss. Zumal dann, wenn im Vorfeld des Koalitionsausschusses durch große mediale Aufregung viele Menschen verunsichert wurden. Überhaupt bin ich ziemlich unglücklich mit der Berichterstattung und Kommentierung dieser Ereignisse. Immer ist nur die Rede davon, dass die eine Partei „Kröten schlucken" musste, dass die anderen sich mehr durchgesetzt hätten – und dass der Streit sowieso weitergeht. Warum fällt es uns so schwer, einfach einmal zu sagen: Gut gemacht, weiter so? Ich würde mir etwas mehr Fairness seitens der Kommentatoren wünschen.
Tatsache ist doch, dass die Grünen das Maßnahmenpaket schon am nächsten Tag in Frage gestellt haben und weitere Verhandlungen wünschen. Angesichts dessen scheinen Zweifel an der Haltbarkeit der Beschlüsse angebracht.
Ja, wenn man den Erfolg von Politik daran misst, dass die Beschlüsse einer Regierung nicht mehr in Frage gestellt werden – so wie Autokraten sich das wünschen. Nein, wenn man Politik als ein nie abgeschlossenes Geschehen interpretiert, bei dem es bestenfalls Zwischenresultate, aber niemals Endergebnisse geben kann – so wie es die Demokratie vorsieht. Die Philosophin Hannah Arendt hat immer wieder betont: Politik ist keine Technik, bei der finale Ergebnisse produziert werden. Politik ist vielmehr eine never ending story, bei der immer neu, situativ, gemeinsame Lösungen ausgehandelt werden. Deshalb ist völlig klar: Nach dem Koalitionsausschuss ist vor dem Koalitionsausschuss. Aber etwas Besseres kann man als Demokrat darüber gar nicht sagen.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Politik, 28.03.2023
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