Christoph Quarch
Gesellschaft | Megatrends, 20.11.2025
Selbstgewählte Einsamkeit
Christoph Quarch analysiert den Trend und empfiehlt, Komfortzonen zu verlassen
In dieser Woche sprechen wir über das Thema Einsamkeit. Ein Aspekt, der dabei noch nicht so viel Beachtung gefunden hat, ist die selbstgewählte Einsamkeit bzw. das selbstgewählte Allein-Sein. Und das liegt im Trend: Jüngsten Erhebungen zufolge legen vor allem ältere Frauen immer weniger Wert auf ein Leben zu zweit. So gaben der Studie einer Partnervermittlungsagentur zufolge drei Viertel der befragten Frauen ab Mitte 50 an, lieber alleine zu wohnen. Sicher steckt hinter jeder dieser Antworten eine persönliche Geschichte. Die hohe Zahl lässt jedoch vermuten, dass sich dahinter auch ein gesellschaftliches Thema verbirgt. Haben die Menschen ihre Bindungsfähigkeit verloren? Und warum sind gerade ältere Frauen beziehungsmüde? Darüber reden wir mit dem Philosophen und Bestseller-Autoren Christoph Quarch.
Herr Quarch, hat die Philosophie eine Erklärung dafür, warum das selbst-gewählte Alleinsein im Trend liegt?Mir fällt dazu der Titel eines Buches meines Kollegen Byung Chul Han ein. Er lautet: Die Agonie des Eros. Byung Chul Han zeigt darin, dass wir Menschen der Gegenwart verlernt haben, uns auf andere einzulassen - und zwar auf andere als andere. Man könnte auch sagen: dass wir verlernt haben, die Andersheit anderer Menschen als etwas Liebenswertes oder gar Begehrenswertes zu schätzen. Statt uns daran zu erfreuen, dass an anderen immer etwas Unauflösliches, Rätselhaftes, Unverständliches und Unverfügbares bleibt, neigen wir dazu, sie als Konsumgüter zu betrachten, die nur so lange von Interesse sind, wie sie unsere Bedürfnisse befriedigen oder uns nützlich sind. Diese Haltung, so Byung Chul Han, macht uns beziehungsuntauglich - ja schlimmer noch, sie erstickt in uns die Vitalenergie des Eros - und mit ihm die Fähigkeit, sich zu begeistern, zusammenzuleben, hinzugeben.
Taucht diese Haltung öfter bei Frauen als bei Männern auf?
Nein, bei Männern führt die Agonie des Eros eher zum Partnerwechsel, bei Frauen zum Alleinleben. Vielleicht, weil Frauen früher ökonomisch gar nicht in der Lage dazu waren.
Haben Sie oder ihr Kollege eine Erklärung dafür, wie es zu der „Agonie des Eros" gekommen ist?
Byung Chul Han erklärt den Schwund des Eros durch die Dominanz der ökonomischen Rationalität, die alles unter den Gesichtspunkten von Nützlichkeit und Verwertbarkeit sieht. Ich denke, er hat recht, sehe den Hauptgrund aber eher im Triumphzug von Internet und Social-Media. Vermittelt durch das digitale Medium erscheint alles, was man - buchstäblich - auf den Schirm bekommt, als konsumierbare Ware. Alles ist zu haben, alles ist verfügbar. Als User kann man sich in seiner Komfortzone einrichten. Es ist nicht mehr nötig, sich auf das Andere, Unbekannte, Rätselhafte einzulassen. Wieso sich verlieben, wenn man seine Bedürfnisse auch weniger aufwendig befriedigen kann? Vor der digitalen Revolution war das noch anders. Ich denke an meine Jugend in den 70er und 80er Jahren, als die Popkultur vor lauter Romantik überkochte. Damals war der Eros sicher nicht in Agonie verfallen.
Könnte es sein, dass sich viele - gerade unter dem Einfluss der Romantik der 70er und 80er Jahre - voller Hoffnung in die Liebe stürzten und dann enttäuscht wurden? Das würde erklären, warum so viele Menschen im fortgeschrittenen Alter keine Partnerschaft mehr wollen.
Vielleicht, aber gewichtiger scheint mir, dass wir es versäumt haben, eine "erotische Kultur" zu pflegen - "erotisch" im Sinne von Byung Chul Han. Also eine Kultur, die Andersheit wertschätzt - gerade auch die Andersheit und Besonderheit der Geschlechter. Frauen haben seit über hundert Jahren viel Energie darauf verwendet, die weibliche Identität neu zu definieren. Das hat unsere Gesellschaft enorm vorangebracht. Dummerweise haben wir Männer jedoch versäumt, es ihnen gleichzutun. Die Konsequenzen sehen wir heute. Plötzlich haben überholte Männerbilder Konjunktur, die Frauen als Konsumgüter missverstehen und keinen Blick für das andere, rätselhafte und zugleich inspirierende Weibliche haben - vor allem nicht für die Frau im fortgeschrittenen Alter. Angesichts dieser männlichen Ignoranz kann ich ältere Frauen verstehen, die keinen Bock mehr auf Männer haben.
Wie würde das Verhältnis der Geschlechter Ihrer Ansicht nach aussehen, wenn es nicht die "Agonie des Eros" gäbe? Gäbe es weniger selbstgewähltes Alleine-Sein?
Wenn Männer und Frauen sich wirklich füreinander interessieren würden - und zwar jenseits sexueller Bedürfnisse oder subjektiver Interessen - dann sollten auch im Alter erfüllte Partnerschaften möglich sein. Aber das setzt voraus, dass ich bereit bin, meine Komfortzone zu verlassen und zu akzeptieren, dass das Leben im Fluss ist und sich die Menschen verändern. Meine Partnerin ist nicht mehr dieselbe wie vor dreißig Jahren, aber das heißt nicht, dass ich nicht mehr neugierig auf sie wäre - nicht immer noch Neues an ihr entdecken könnte; vor allem, dass sie mich nicht immer noch aus der Komfortzone locken kann. Der Eros lebt - und daraus resultiert enorm viel Lebendigkeit.

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
Aktuelle Bücher von ihm sind „Wacher Geist und fester Schritt. The Donkey School for Leadership" (2024), „Schönheit rettet die Welt” (2024) und "Der Club der alten Weisen" (2023).
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org
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