Christoph Quarch

Großzügigkeit und Wohlwollen

Christoph Quarch wünscht sich einen Relaunch des Nikolaus-Festes

Alle Jahre wieder... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der Nikolaus. Am 6. Dezember ist es wieder so weit. Vielerorts finden die Kinder dann in ihren eigens vor der Tür deponierten Schuhen kleine Geschenke, und in den Kitas und Kindergärten tummeln sich zumeist rot kostümierte, bärtige Gestalten, die den Kids kleine Präsente überreichen. Was es ursprünglich mit dem Nikolausfest auf sich hat, wissen allerdings nur noch die wenigsten. Vielleicht gibt es hier und da eine vage Erinnerung an den legendären Bischof Nikolaus von Myra, der sich im 3. Jahrhundert durch seine Menschenliebe hervorgetan haben soll. Aber der ursprüngliche Sinn des Festes wird durch den ganzen Rummel oft übertönt. Nicht nur beim Nikolaus. Gerade in der Weihnachtszeit fragt sich, ob wir überhaupt noch wissen, was es heißt, ein Fest zu feiern. Haben wir womöglich die Kunst des Feierns verlernt? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Der heilige Nikolaus, der die Mitgift überreicht – Gemälde von Bicci di Lorenzo (MET, 88.3.89) © CC0, via Wikimedia CommonsHerr Quarch, warum wird eigentlich Nikolaus gefeiert?
Ganz ehrlich, da musste ich auch erst mal nachschauen. Und das, obwohl ich vor langer Zeit Theologie studiert und mich mit der Kulturform des Festes ausgiebig beschäftigt habe. Aber das sagt ja schon etwas über dieses Fest. Sein Sinn ist vergessen. Die meisten Zeitgenossen ahnen zwar, dass es dabei um Geschenke - vor allem für Kinder - geht, aber was es eigentlich damit auf sich hat, ist meist unbekannt. Dabei denke ich nicht so sehr an die Legenden um den heiligen Nikolaus oder die Geschichte des Brauchtums, das sein heutiges Gepräge im Mittelalter bekommen hat. Ich denke eher an die Idee, auf die der heilige Nikolaus verweisen soll, deren Repräsentant er ist und die eigentlich im Zentrum dieses Festes steht: die Idee der Großzügigkeit und des Wohlwollens - eigentlich zeitlose Qualitäten, die aber vor lauter roten Kutten und weißen Bärten in Vergessenheit geraten ist.

Naja, aber das Beschenken spielt doch noch immer eine zentrale Rolle am Nikolaustag. Geht es dabei denn nicht um Großzügigkeit?
Das ist schon richtig, aber bei Lichte besehen erscheint mir dieses Schenken als ein sinnentleertes Ritual. Man tut es, weil es nun mal dazu gehört; vielleicht auch, weil man seinen Kindern einen Wunsch erfüllen möchte. Aber das ist etwas anderes als jener Geist der Großzügigkeit und des Wohlwollens, der darin idealerweise seinen Ausdruck findet. Die Idee des Schenkens besteht ja darin, etwas zu tun, bei dem es - anders als in unserem ökonomischen Alltag - einmal nicht darum geht, ein Ziel zu erreichen oder ein Bedürfnis zu befriedigen. Schenken, das seinen Namen verdient, erwartet keine Gegenleistung; auch nicht das Aufsagen von Gedichten. Schenken ist keine Belohnung - etwa für moralisch korrektes Verhalten. Dass die Nikolausgaben im 19. Jahrhundert zu Belohnungen für Wohlverhalten konvertiert wurden, ist ein Indiz dafür, dass der Geist des Festes vergessen und nur die leere Form übriggeblieben ist. Dadurch hat das Fest aufgehört ein Fest zu sein und ist zu einem Event mutiert.

Das müssen Sie genauer erklären. Worin liegt in Ihrem Verständnis der Unterschied zwischen einem Fest und einem Event?
Mein philosophischer Lehrer Hans Georg Gadamer hat das sehr schön erklärt. Er sagte: Ein Fest ist eine erfüllte Zeit. Und zwar deshalb, weil bei einem Fest etwas gefeiert wird, was dem Fest sein Gepräge gibt - etwas, das so bedeutsam ist, dass es jedes Jahr aufs Neue gefeiert werden kann und eine Festgemeinschaft um sich herum zu bilden vermag. Er spricht von einem Geist des Festes, der im Zeremoniell gefeiert wird und an dem sich die Festgemeinschaft erbaut. Zum Beispiel, wenn man sich bei einem religiösen Fest im Namen einer Gottheit versammelt. Ein Event hingegen ist nicht erfüllt, sondern gefüllt. Die Zeit erscheint hier wie in unserem Alltag zunächst einmal als leer. Sie ist eine Ressource, die man wie alles andere auch verwerten und nutzen kann. Das macht dann die Event-Agentur, indem sie die leere Zeit mit Unterhaltung füllt. Unterhaltung aber ist das Gegenteil von Erbauung.

Wie sähe eine Nikolausfeier aus, die ein echtes Fest wäre und nicht einfach nur ein Event ist?
Zunächst mal müsste dieser ganze moralische Ballast weg - vor allem die "schwarze Pädagogik" rund um Knecht Ruprecht. Wo moralisiert wird, ist Erbauung unmöglich. Auch scheint mir, dass die alten Heiligenlegenden ausgedient haben. Das Einzige, was substanziell bleiben kann, wäre die zeremonielle Wertschätzung von Großzügigkeit und Wohlwollen. Wenn erst einmal klar ist, was das bedeutet, würde man auch zeremonielle Formen finden, mit denen diese Tugenden gefeiert werden. Der rein kommerzielle Geschenkerummel hätte dabei keinen Platz mehr. Vielmehr müsste es um menschliche Nähe, Zuwendung, Wohlwollen, Liebe gehen - alles Qualitäten, die in einer Gesellschaft rar geworden sind, die mir mehr und mehr von allen guten Geistern verlassen zu sein scheint. So nötig ein Nikolaus-Relaunch wäre, so unwahrscheinlich erscheint er mir leider auch.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
 
 
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org


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