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Gesellschaft | Politik, 10.03.2023

Ein Signal für mehr gesellschaftliche Solidarität und Zusammenhalt

Christoph Quarch hält die Wiedereinführung der Vermögenssteuer nicht nur für vertretbar, sondern für notwendig.

Die SPD will sie, die Grünen wollen sie, nur die FDP ist vehement dagegen: An der Vermögenssteuer scheiden sich die Geister der Ampelkoalitionäre. Doch von Tisch ist dieses Thema keineswegs. Angesichts der zunehmend ungleichen Vermögensverteilung in Deutschland hat DGB-Chefin Yasmin Fahimi die Vermögenssteuer neuerlich ins Gespräch gebracht. Argumentationshilfe bekommt sie dabei neuerdings von dem Staatsrechtler Alexander Thiele, der in einem noch unveröffentlichten Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung verfassungsrechtliche Bedenken ausräumt. Aber kann man durch die Besteuerung von Vermögen tatsächlich soziale Ungleichheit bekämpfen? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Herr Quarch, ist es moralisch vertretbar, das Vermögen von sehr wohlhabenden Personen zu besteuern?

© falco, pixabay.com© falco, pixabay.com
Grundsätzlich Ja. Wie immer geht es bei solchen Diskussionen darum, worauf man sein Augenmerk lenkt: auf den einzelnen Menschen oder auf die gesamte Gesellschaft. Anhänger des Liberalismus – wie Christian Lindner – haben immer den Einzelnen im Blick und halten es für unzumutbar, Bürgerinnen und Bürgern eine Steuerlast aufzuerlegen, die diese subjektiv als ungerecht betrachten. Eher sozialdemokratisch denkende Menschen schauen auf das Ganze und fragen sich, was zum Wohle des Gemeinwesens geschehen muss. Wir haben in Deutschland zuletzt eher liberalistisch gedacht und müssen jetzt feststellen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht ist. Deshalb scheint es an der Zeit zu sein, ordnungspolitisch zu intervenieren und die Vermögen zu besteuern.

Bis 1997 gab es in Deutschland die Vermögenssteuer. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung setzte sie mit Verweis auf den sogenannten Halbteilungsgrundsatz aus, wonach der Staat dem Steuerzahler mindestens die Hälfte seiner Einkünfte lassen muss. Gelten diese Bedenken nicht mehr?
Soweit ich weiß, ist dieser Halbteilungsgrundsatz juristisch umstritten. Verfassungsrechtler messen dem jedenfalls keine große Bedeutung mehr zu. Das heißt: Die Sache sollte politisch entschieden werden. Und da leuchtet mir der Vorstoß von Frau Fahimi ein. Es bekommt einer Gesellschaft auf Dauer nicht, wenn die Vermögensverhältnisse zu weit auseinanderklaffen. Es ist Menschen ohne Vermögen nicht erklärbar, warum andere, die oft nicht mehr arbeiten oder leisten als sie selbst, das Hundert- oder Tausendfache besitzen. Da könnte die Vermögenssteuer ein Signal für mehr gesellschaftliche Solidarität und Zusammenhalt sein.

Gegner der Vermögenssteuer weisen darauf hin, dass die Erfassung der Vermögen einen hohen administrativen Aufwand erfordert, der ein Drittel der Mehreinkünfte verzehren würde.
Da liegt wohl wirklich ein Problem, das man aber dadurch lösen könnte, dass man – wie Frau Fahimi vorschlägt – die Steuerzahler auffordert, die Höhe ihres Vermögens eigenständig anzugeben. Natürlich müsste man dann Stichproben machen und falsche Angaben streng sanktionieren, aber grundsätzlich sollte das möglich sein. Ich glaube, dass viele Wohlhabende und Reiche gar nichts dagegen hätte. Es ist bekannt, dass Steuermillionäre Deutschland nicht primär wegen der Höhe der Steuern, sondern wegen des bürokratischen Aufwandes verlassen. Wenn es gelänge, im Rahmen der Reaktivierung der Vermögenssteuer die administrativen Kosten zu verringern, könnte man die Akzeptanz umgehend erhöhen.

Der deutsche Mittelstand ächzt derzeit unter Inflation und Steuerlast. Besteht nicht die Gefahr, dass eine Rückkehr zur Vermögenssteuer noch mehr Unternehmen in den Ruin treibt?
Ich teile diese Sorge. Deshalb würde ich nur Privatvermögen besteuern und Firmenvermögen ausklammern. Es geht ja – um es noch einmal deutlich zu sagen – nicht darum, dem Staat neue Einnahmequellen zu verschaffen, sondern dem ständig wachsenden Riss im Gebäude unserer Gesellschaft gegenzusteuern. Dass Unternehmen Vermögensrücklagen brauchen, wird niemand als ungerecht empfinden. Die staatlichen Mehreinnahmen könnten auch dafür eingesetzt werden, weniger Vermögende an anderen Punkten zu entlasten – z.B. bei der Grunderwerbssteuer. Aber da kenne ich mich zu wenig aus. Wo ich mich auskenne, das sind Gerechtigkeitsfragen, und was das angeht, halte ich die Wiedereinführung der Vermögenssteuer nicht nur für vertretbar, sondern für notwendig.
 

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph QuarchDer Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 


Autor: Christoph Quarch
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