Christoph Quarch
Gesellschaft | Politik, 04.11.2025
Die Wahrheit in der Politik
Christoph Quarch betrachtet die aktuellen Realitätsverweigerungen mit Sorge
Der Außenminister war sichtlich geschockt. Unter dem Eindruck eines völlig zerstörten Vororts der syrischen Hauptstadt Damaskus, sagte Johann Wadephul, eine kurzfristige Rückkehr dorthin sei nicht möglich. Kaum waren seine Worte verklungen, brach ein Sturm der Entrüstung los - vor allem bei Wadephuls Parteifreunden in CDU und CSU. Natürlich werde man Rückführungen vornehmen, der Bürgerkrieg in Syrien sei vorbei und es gebe keinen Grund mehr für politisches Asyl, ließ sich Friedrich Merz vernehmen. Und wenig später ruderte der Außenminister zurück und erklärte, er sehe keine Differenz zum Bundeskanzler. Man könnte es dabei bewenden lassen, wäre da nicht diese bohrende Frage: Woran nehmen unsere Regierenden eigentlich Maß - an den objektiven Fakten, wie sie sich dem Augenschein darbieten, oder an subjektiven Meinungen? Diese Fragen treiben auch den Philosophen Christoph Quarch um. Wir haben ihn gefragt, wie es um die Wahrheit in der Politik bestellt ist.
Herr Quarch, wie haben Sie den Rummel um die Äußerungen des Außenministers wahrgenommen?
An diesem Vorgang wird etwas sichtbar, was sonst nicht so deutlich zutage tritt - eine zunehmende Realitätsverweigerung bzw. Ideologisierung, die besonders in konservativen und populistischen Kreisen um sich greift. Das Schema ist immer das gleiche: Da gibt es Fakten, die einem aus meist ideologischen Gründen nicht passen: zum Beispiel das Ausmaß der Zerstörung in Syrien, zum Beispiel die globale Erwärmung, zum Beispiel das Nein der Energieversorger zur Atomenergie. Aber man tut dann so, als gäbe es das alles nicht. Stattdessen ergreift man Maßnahmen oder macht Versprechungen, die an der Realität vorbeigehen. Hartgesottene Diktatoren gehen noch viel weiter und versuchen offensiv, ihre eigenen "alternativen Fakten" durchzusetzen. Donald Trump ist nur ein Beispiel von vielen. Oder Elon Musk, der gerade dabei ist, sein Konkurrenz-Wikipedia zu launchen.
An diesem Vorgang wird etwas sichtbar, was sonst nicht so deutlich zutage tritt - eine zunehmende Realitätsverweigerung bzw. Ideologisierung, die besonders in konservativen und populistischen Kreisen um sich greift. Das Schema ist immer das gleiche: Da gibt es Fakten, die einem aus meist ideologischen Gründen nicht passen: zum Beispiel das Ausmaß der Zerstörung in Syrien, zum Beispiel die globale Erwärmung, zum Beispiel das Nein der Energieversorger zur Atomenergie. Aber man tut dann so, als gäbe es das alles nicht. Stattdessen ergreift man Maßnahmen oder macht Versprechungen, die an der Realität vorbeigehen. Hartgesottene Diktatoren gehen noch viel weiter und versuchen offensiv, ihre eigenen "alternativen Fakten" durchzusetzen. Donald Trump ist nur ein Beispiel von vielen. Oder Elon Musk, der gerade dabei ist, sein Konkurrenz-Wikipedia zu launchen.Im Falle Wadephul geht es aber doch eher um eine Deutung der Fakten als um die Fakten selbst. Dass es in Syrien große Zerstörungen gibt, bestreitet ja niemand. Die Frage ist nur, ob das ein Grund ist, die geplanten Rückführungen zu verschieben.
Daran erkennt man, dass wir in Deutschland eben nicht in einer Diktatur leben. Trotzdem ist der Vorgang interessant, weil er erkennbar macht, wie es kommt, dass Diktatoren mit ihren Verdrehungen der Wahrheit so oft erfolgreich sind. Der Mensch neigt dazu, nur das gelten zu lassen, was sich in sein Weltbild fügt. Wenn er etwas wahrnimmt, das seinen Wünschen und Erwartungen widerspricht, wird er es ignorieren, bestreiten oder bekämpfen. Und je enger sein Weltbild ist, desto weniger wird er bereit sein, etwas als wahr anzuerkennen, was seinen Denkgewohnheiten widerspricht. So war es schon bei der mittelalterlichen Inquisition, und so erleben wir es heute im populistischen und konservativen Spektrum: Irgendwann ist das, was man mit eigenen Augen sehen kann, nicht so relevant, wie das, woran man glaubt. Dann zählen die vielen gut ausgebildeten Migranten, die bei uns die Arbeit machen, weniger als das ideologische Mantra, dass man Flüchtlinge zurückführen müsse.
Wollen Sie damit sagen, dass Fakten in politischen Debatten grundsätzlich einen schweren Stand haben - weil sie immer durch die Optik bestimmter Meinungen und Ideologien verzerrt werden?
Ich glaube nicht, dass das zwangsläufig so sein muss. Natürlich ist jeder Beitrag zu einer politischen Debatte subjektiv. Jeder Mensch hat seine eigene Perspektive, seine eigene Biographie, seine eigenen Interessen. Das darf uns aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass es keine objektive Wahrheit gibt - und dass es nur eine Frage der Macht ist, wer seine Sichtweise als DIE Wahrheit oder DIE Fakten durchsetzen kann. Diese Sichtweise - die auch von zahlreichen Philosophen vertreten wird - halte ich für äußerst gefährlich. Nicht nur, weil sie jeder wissenschaftlichen Fundierung abschwört und unweigerlich zu Inquisitionen, Hexenverfolgung und Brainwashing führt; sondern vor allem, weil wir eigentlich alles wissen könnten, dass man sich am Ende immer selber schadet, wenn man systematisch in der Unwahrheit lebt.
Wieso könnten wir das wissen?
Wir können es am eigenen Leib erfahren. Wenn Sie Ihrem Körper permanent etwas abverlangen, was er nicht leisten kann, werden Sie krank. Wenn Sie permanent Ihr Trinkwasser vergiften, werden Sie daran sterben. Das sind Beispiele dafür, dass es so etwas wie ein Seinsordnung gibt, die unserem Wünschen und Wollen entzogen ist und die wir nicht ignorieren sollten, wenn wir unser Dasein nicht gefährden wollen. Die alten Griechen gingen sogar so weit zu sagen: Ein glückliches und gesundes Leben ist nur möglich, wenn wir im Einklang mit dieser Seinsordnung leben – deshalb sollten wir diese Seinsordnung durch Wahrnehmung und Wissenschaft erkunden. In der Politik ist es aber zunehmend schick, Wahrnehmung und Wissenschaft zu verleugnen und zu glauben, man könne die Welt nach seinen eigenen Wünschen umgestalten. Wahr sei nicht, was ist, sondern was der Mächtige will. Wenn sich diese Denkweise durchsetzt, dann, fürchte ich, ist es um uns geschehen.

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
Aktuelle Bücher von ihm sind „Wacher Geist und fester Schritt. The Donkey School for Leadership" (2024), „Schönheit rettet die Welt” (2024) und "Der Club der alten Weisen" (2023).
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org
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