Zivilgesellschaft und Politik auf Augenhöhe

Luisa Neubauer im Interview über Verantwortung, Angriffe und Hoffnungen

Sie ist erst 27, ist eine der großen Aktivisten unserer Gesellschaft und hat gerade ihr drittes Buch veröffentlicht: Luisa Neubauer, Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland.

Luisa, Du sagtest mal "Kein Politiker traut sich zu sagen, wie sehr wir am Arsch sind".
Wie sehr sind wir denn "am Arsch"?
Ihr drittes Buch 'Gegen die Ohnmacht' schrieb Luisa Neubauer zusammen mit ihrer Großmutter. Zuletzt engagierte sich Luisa tatkräftig im Protest gegen den geplanten Abbau der Braunkohle in Lützerath. © Karol Roller / FlickrSehr.

Kümmert sich unsere Regierung deiner Einschätzung nach darum, das zu ändern?
Nein. Seit es in der Bundesrepublik Klimaziele gibt, werden diese auch missachtet. Wir beobachten immer wieder ein Handeln entgegen dem, was ökologisch dringend für den Erhalt von intakten Lebensgrundlagen und einer stabilen Gesellschaft notwendig ist. Damit beziehe ich mich insbesondere auf die treibenden Kräfte in den Regierungen, die wir bisher erlebt haben.

Ist die neue Regierung, die ja immerhin einen grünen Koalitionspartner und einen grünen Wirtschaftsminister hat, nun endlich auf dem richtigen Weg oder zumindest wesentlich engagierter?
Ich würde vielleicht sagen, das ist die klimabewussteste Regierung, die wir je hatten. Dennoch reicht es nicht, nur etwas engagierter zu sein als die GROKO. Der politische Einsatz muss vielmehr daran gemessen werden, was ökologisch und menschenrechtlich dringend notwendig ist. Genau an dieser Stelle sehen wir leider, dass auch die Pläne unserer vermeintlich grünen Regierung vorne und hinten nicht aufgehen. Es ist völlig absurd, dass Christian Lindner näher dran ist, den Temporausch auf Autobahnen zu beschützen, als die Grünen Lützerath.

Gibt es für Dich überhaupt eine andere Wahl, als in die Politik zu gehen?
Klar, diese andere Wahl lebe ich ja!
Ich glaube, die meisten Menschen und auch die meisten Mitglieder der Politik sind sich einig darüber, dass ohne eine aufgeweckte, engagierte, selbstbewusste und auch widerständige Zivilgesellschaft keine politischen Taten vollbracht werden können. Ich sehe Zivilgesellschaft und Politik sehr auf Augenhöhe. Das eine ohne das andere ist fruchtlos.

Die Implikation, politische Arbeit sei zwangsläufig mit einem Art Aufstieg verbunden, halte ich für problematisch. Denn jeden Tag übernehmen so viele Menschen in diesem Land eine gewaltige Verantwortung, unmittelbar aus der Gesellschaft heraus. Darauf kommt es mindestens genauso an.

Hast Du das Gefühl, dass hier ganz viel Last auf Euren (FFF) und Deinen Schultern liegt? Und dass diese Last im Vergleich zu gutverdienenden LobbyistInnen und PolitikerInnen ungerecht verteilt ist?

Ja. Wir haben Fridays for Future nicht gestartet, weil wir keine anderen Hobbys hatten, sondern aus einer existenziellen Not heraus. Aus einer Betrugserfahrung, die wir mit der Regierung erlebt haben, und einer Verantwortungsflucht, die wir tagtäglich beobachten.

Aber am schlimmsten finde ich, dass man meint, man könnte uns jetzt auch noch die Aufgabe, alle Klimaprobleme zu lösen, einfach so vor die Füße legen. So nach dem Motto: Wenn ihr das mit dem Klima so schlimm findet, dann könnt ihr die Sache ja auch selber geradebiegen.

Aber so funktioniert das Ganze nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass sich alle Generationen anschließen. Dass Menschen aus allen Parteien, aus allen Institutionen und Sektoren ihre Verantwortung anerkennen. Es gibt in der Klimakrise keine neutrale Position, es gibt keine Seitenlinie, an der man stehen kann und sagen kann "ich guck mal zu, was hier passiert". Denn alle sind Teil einer Gesellschaft. Wir alle sind emittierende Menschen. Wir alle haben eine politische Stimme. Und wenn wir sie nicht nutzen, dann geben wir auch unsere Stimme ab: Für den fossilen Status Quo, für Ausbeutung und für Klimazerstörung.

Nochmal zurück: Siehst Du einen systemischen Fehler in dieser ungerecht verteilten Last?
Ja, schon. Wir kämpfen für eine Art Systemwandel in der Hinsicht, dass es selbstverständlich wird, dass Menschen im Supermarkt keine Produkte einkaufen können, die Menschenrechtsverletzungen mit sich tragen. Dass keine Autobahn-Baufirma – egal wie viel Geld sie hat, egal wie viel Lobbyerfahrung sie hat – über ökologische Schutzflächen und Trinkwasserversorgung entscheidet oder Wohngegenden niederwalzen darf. Das sind alles keine großen Gedanken einer anderen Galaxie, sondern lediglich die Vorstellung, dass ein SUV in der Stadt nicht mehr Rechte haben sollte als ein Kleinkind.
 
"Energieeinsparung, Energieeffizienz und ein radikaler Ausbau erneuerbarer Energien. Das am besten in den Händen der BürgerInnen und so schnell es geht."
Luisa Neubauer

Wie geht es Dir mit den vielen Angriffen auf Deine Person, seltsamen Unterstellungen und gefakten News?
Da kann ich nichts schönreden, es ist sehr aufwendig, die ganze Zeit damit umzugehen. Dennoch beschäftigt sich der Großteil meiner Arbeit nicht mit meinen "Anfeindern", sondern mit Menschen, die ebenfalls aktiv sein wollen. Das heißt, ich lerne auch einen unglaublich warmen, intelligenten und empathischen Teil dieser Gesellschaft kennen. Menschen aus allen Ecken dieser Republik, die entschieden haben, dass sie nicht nur zugucken wollen, die sich eben nicht dieser Ohnmacht hingeben wollen. Das ist ein wichtiger Reality Check, denn den Unterschied machen diejenigen, die etwas tun, die einen positiven Beitrag leisten. Nicht diejenigen, die nachmittags um 16:00 Uhr nichts anderes zu tun haben, als irgendwelche Hate-Kommentare bei Facebook rumzuschreiben.

Haben die Widrigkeiten um Corona, Krieg und Krisenangst der FFF-Bewegung den Wind aus den Segeln genommen?
Es gibt dieses Sprichwort: "In jeder Krise steckt eine Chance". Das ist mittlerweile jedoch völlig obsolet, denn aus jeder Krise folgt aktuell vor allem die nächste Krise und noch eine Krise und noch eine Krise.

Wir werden politisch weniger durch die Krisen geführt, als vielmehr von der letzten Krise durch die nächste Krise gescheucht. Ich glaube, das Dramatischste an dem Ganzen ist die Perspektive, dass es immer nur schlimmer und krisenbehafteter wird, wenn wir jetzt nicht massiv etwas verändern.

 Bei den jetzigen Krisen handelt es sich nicht um einen vorübergehenden Ausrutscher der Gegenwart und im Jahr 2024 hat sich alles wieder eingependelt. Denken wir an das Jahr 2020 zurück, da dachten alle: "Naja, im nächsten Jahr wird‘s besser werden". Dann kam das Jahr 2021 und das Jahr 2022… Die großen Erlösungshoffnungen zerschellen gerade an dieser neuen Wirklichkeit. An einer Wirklichkeit, die nicht für Scherze aufgelegt ist.

Trotzdem steckt darin auch eine wichtige Botschaft. Nämlich, dass wir uns richtig, richtig reinhängen müssen, um endlich Auswege zu skizzieren. Diese Auswege gibt es, aber die fallen nicht vom Himmel. Sie werden nicht automatisch kommen und vor allem nicht von denjenigen initiiert werden, die uns in diese ganzen Krisen reingebracht haben: die größten fossilen Konzerne, die dreckigsten Lobbys und deren politische Unterstützer.

Du sagst, es gibt Auswege. Welche Schritte können wir zeitnah, schnell und einfach umsetzen?
Wo siehst Du die "low-hanging-fruits" im Klimaschutz?

Energieeinsparung, Energieeffizienz und ein radikaler Ausbau erneuerbarer Energien. Das am besten in den Händen der BürgerInnen und so schnell es geht. Das muss auf allen Ebenen vorangetrieben werden. Von den Städten über die Kommunen, bis hin zu den Nachbarschaften, Schulen und Wohngemeinschaften. Gleichzeitig sind all diejenigen, die größere Infrastruktur aufbauen können, gefragt dies auch zu tun.
 
"Die euphorische und hochengagierte Art und Weise, wie Klimaschutz­versprechungen gemacht werden, entspricht keineswegs dem politischen Engagement, diese Vorhaben auch umzusetzen."
Luisa Neubauer
 
Und was können wir noch tun?
Unsere Lebensweise beruht größtenteils auf Verschwendung und Unverhältnismäßigkeit. Als hätten wir verlernt Emotionen zu spüren und zu verarbeiten und müssten sie stattdessen wegessen, wegkaufen, wegkonsumieren. Die Regierung tut allenfalls ihr Bestes daran, diesen Status-Quo aufrechtzuerhalten und zerhäckselt weiterhin Lebens- und Klimagrundlagen.

Und das wird uns teuer zu stehen kommen: Die Belastung, welche durch das Zerstören von Klimagrundlagen entstehen wird, ist weitaus höher als der Ertrag aus der fossilen Energieerzeugung. Deshalb gibt es kein Recht auf Energieverschwendung!

Warum tun wir Menschen uns so hart, uns zu verändern, obwohl doch alle Informationen da sind?
Ich denke etwas zu wissen heißt nicht, es auch wahrhaben zu wollen. Dahinter steht ja ein Wille. Ich glaube viele Menschen entscheiden sich Dinge nicht wahrhaben zu wollen, weil sie das Gefühl haben, das würde so viel in Frage stellen, dass man dem gar nicht entsprechen kann. Deswegen ist es so entscheidend Wissen und Handeln zusammenzudenken, wie wir es auch bei Fridays for Future versuchen. Natürlich verstört die Tatsache, dass Wissen in der Klimakatastrophe nicht sofort mehr Macht ist.

Dass Wissen eigentlich erstmal Ohnmacht bedeutet und wir aus dieser Ohnmacht heraus wieder die Ermächtigung schaffen müssen. Durch unser Handeln, durch die Möglichkeitsfenster, die wir aufstoßen und durch das "Selber-in-die-Hand-nehmen". Genau hierfür habe ich mit meiner Oma unser Buch "Gegen die Ohnmacht" geschrieben.

Das letzte Kapitel Deines aktuell veröffentlichten Buchs behandelt die Frage nach Regeneration. Können wir und wie können wir eigentlich das, was wir bereits zerstört haben, regenerieren?

Das Erste wäre glaube ich, bei uns selbst anzufangen. Also anfangen, sich als Teil eines großen Ganzen zu begreifen. Dieser Ansatz liegt auch dem Konzept der Gaia zugrunde: Die Welt ist ein großer lebender Organismus und wir existieren als Teil dessen. Es gibt keine Umwelt und uns, es gibt nicht Mensch und Natur. Es gibt lediglich diesen einen, zusammenhängenden Organismus, der im Fluss ist und sich kontinuierlich verändert, von dem wir uns nicht trennen können, nicht weg bauen können und auch nicht rausinnovieren können. Ich glaube von diesem Gedanken heraus lässt sich ganz anders über Wirtschaft, Gesellschaft und Miteinander nachdenken.

Luisa, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen viel Kraft und Erfolg bei Deinem Engagement.

Von Fritz Lietsch


Gegen die Ohnmacht
3. Druckaufl., 2022, 240 Seiten,
Gebunden mit Schutzumschlag,
diverse farbige Fotos
ISBN: 978-3-608-50163-6

Gesellschaft | Politik, 01.03.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2023 mit dem Schwerpunkt: Zukunft gestalten - Krieg & Klimakatastrophe erschienen.
     
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