Die populärsten Sackgassen ins Neue - forum-Kolumne über die Transformation

Sackgasse #1: Probleme lösen und Krisen bekämpfen

Tiefgreifender Wandel ist dringend notwendig, doch schwierig, anstrengend und kompliziert – angeblich... Die gute Nachricht: Wir sorgen meist selbst dafür, dass die Transformation selten gelingt und alles schön beim Alten bleibt. Gedankliche Sackgassen helfen wenigstens, sich beschäftigt und unterwegs zu fühlen, auch wenn wir in Wahrheit kaum Fortschritte machen. Tragisch, oder? Wie Sie populäre Sackgassen des Wandels rechtzeitig erkennen, zeigt Rainer Peraus in seiner forum-Kolumne „Die populärsten Sackgassen ins Neue". Sackgasse #1 lautet: Probleme lösen und Krisen bekämpfen

© Rainer PerausSich einfach ranhalten, konzentrieren, durchbeißen und keinesfalls den Glauben verlieren, dann wird es wieder. Man will doch nicht den Mitbewerbern das Feld oder den eigenen Kindern einen kaputten Planeten überlassen. Deshalb nicht lange fackeln, Probleme identifizieren, analysieren und lösen und die Krisen in den Griff kriegen. Es ist viel zu tun, packen wir es an!
 
Kennen Sie solche Gedanken?...
Leider gehen viele dieser gut gemeinten Initiativen nach hinten los, ja führen sogar in immer engere, steiler werdende Sackgassen. Gut gemeint ist eben nicht selten das Gegenteil von gut. Doch wie kann es sein, dass redliches Bemühen um Lösung oft nicht ans Ziel, sondern tiefer in die Krise führt? Kommen Sie mit auf einen kleinen Ausflug in eine beliebte Sackgasse ins Neue!
 
Löschen, wenn es brennt
Es brennt vielerorts lichterloh. Corona, Klimakrise, Artensterben, Rohstoffmangel, die Digitalisierung, Globalisierung, Regionalisierung und, und, und. All das wirft bedrohliche Schatten auf die gute alte Normalität, in die wir schnellstmöglich zurück wollen. Das ist auch gut nachvollziehbar, wenn Neues nicht automatisch mehr Wohlstand, Komfort und Sicherheit bedeutet wie bisher.

Daher die Probleme rasch fein säuberlich auflisten und eins nach dem anderen abarbeiten! Denn wenn es brennt, dann löschen wir. Und wenn es Probleme und Krisen gibt, dann lösen wir. Vielleicht auch, um sich nicht ohnmächtig fühlen zu müssen. Noch dazu kennen wir uns mit der Reparatur von Problemen und Krisen bestens aus. Reparieren, anstrengen  und schneller, besser oder effizienter werden, halfen bislang immer aus der Patsche.

Wie schade, dass diese scheinbaren Lösungen, deren Erkennungszeichen meist die Steigerung ist (besser, genauer, schneller, effizienter), überall hinführen, nur nicht zur passen- den Antwort auf die Herausforderungen, denen wir heute, in einer Zeit epochaler Umbrüche, gegenüberstehen.

Können ausgetretene Lösungspfade wirklich Irrwege sein?
Sie können. Noch dazu, da es sich in diesen belebten Promenaden der meist unbewussten Erneuerungsverzögerung bestens aushalten lässt. Gerade weil sie Wandel zuverlässig verhindern und man dabei in bester Gesellschaft ist. Wir haben außerdem keine Eile, in echtes Neuland vorzustoßen, auch wenn wir uns selbst und einander versichern, wie neugierig und abenteuerlustig wir sind. Denn Unbekanntes macht Angst und zuverlässige Straßenkarten ins Neue sind einfach nicht aufzutreiben.

Doch wer versucht, epochale Probleme in der üblichen Weise zu lösen, will die Welt wieder in die bisherige Ordnung zurück- bringen. In Zeiten des Wandels bedeutet das jedoch, in ein nicht mehr tragfähiges System zu investieren.

Problem oder Symptom
Natürlich gilt das nicht für jedes Problem. Viele sind tatsäch- lich nur Fehler, Interessenskonflikte, Unfähigkeit oder Unglück und können mit den üblichen Werkzeugen und innerhalb des bestehenden Systems gelöst werden.

Doch bei tiefgehender Betrachtung entpuppt sich so manches Problem nur als Symptom einer zu Ende gehenden Entwicklungsepoche. Die Chance, um eine Sackgasse zu vermeiden. So ist beispielsweise die im Rahmen der Klimakrise als Problem identifizierte CO2- Emission nur Symptom einer zu Ende gehenden Epoche. Ende? Kein Grund zur Panik! Denn Epochenwechsel finden seit Anbeginn der Zeit statt, sie sind nur für jene lebensgefährlich, die nicht fähig sind, sich zu wandeln.

Die Wirklichkeit ist immer eine Geschichte
Eine Epoche geht immer mit einer impliziten kollektiven Erzählung von Wirklichkeit und Wahrheit einher. Im Mittelalter war klar: Missernten sind Ergebnis von mangelnder Gottesfurcht und sündhaftem Lebenswandel. Heute „wissen" wir, gemäß unserer gültigen Wahrheitsbrille, dass technologisch-industrieller Fortschritt, wie genmodifiziertes Saatgut und monokulturelle Landwirtschaft, für gute Erträge sorgt. Aber das stimmt doch wirklich! Oder?

Unser heutiges, epochales Narrativ, das einerseits Grundlage einer beispiellosen Erfolgsgeschichte und anderseits Ursache der meisten Umweltprobleme ist, reicht mehr als 250 Jahren zurück. Die implizite Glücksformel: Unaufhörliche materielle Fülle sichert Lebensglück. Wie gut, dass durch das unerschütterliche Vertrauen in die unendliche Innovationskraft der Technik und das Prinzip der industriellen Produktion unendliches Wachstum trotz endlicher Ressourcen möglich ist. Zumindest in unserer Epochenfantasie.

Zeit nehmen, um dann das Richtige zu tun
Den Klimawandel als hilfreiches Symptom zu nutzen, bedeutet also, die gegenwärtige Wirklichkeitserzählung und die damit verbundenen Werte, gedanklichen Grenzen und beschränkte Alternativen hinter uns zu lassen und so die Welt radikal neu denken, erzählen und damit sehen zu lernen. Was also tun? Lernen wir, dem Problemlösungsreflex zu widerstehen und vor einer potenziellen Sackgasse innezuhalten und Raum für neue Gedanken zu gewinnen.

Vorbeifahren ins Neue
  1. Beim nächsten „Problem in Sicht!" bleiben Sie provokant unbeeindruckt. Atmen Sie tief durch, ja lächeln Sie dem Problem genüsslich entgegen und lassen Sie sich so vom nach Aufmerksamkeit bettelnden Problem nicht gefangen nehmen.
  2. Halten Sie verstohlen nach einem vielleicht versteckten Sackgassenschild Ausschau, indem Sie das zu reparierende Problem auf seinen möglichen Symptomcharakter untersuchen. Vielleicht bemerken Sie sogar, dass das mit dem Problem verbundene Ziel und die dafür erforderlichen Anstrengungen nicht mehr nötig sind.
  3. Gehen Sie dem Symptom auf den Grund. Entlarven Sie dazu die „epochalen Wahrheiten" die sich im Problem beziehungsweise der Krise widerspiegeln und spielen Sie mit lustvollen, alternativen Wirklichkeitsgeschichten.
  4. Vergrößern Sie frech Ihren Gedanken- und damit Handlungsspielraum, indem Sie sich gedanklich die Freiheit nehmen, das Problem zu ignorieren oder nur notdürftig zu flicken! Welches Risiko würde diese Vorgehensweise bedeuten? Könnten Sie das vor sich oder anderen vertreten?
  5. Gönnen Sie sich eine Ausflucht! Was würden Sie deutlich lieber tun, als diese Probleme zu lösen und Brände zu löschen? Welcher Idee würden Sie viel lieber Ihre Aufmerksamkeit schenken und welche persönliche Befürchtung hält Sie ab? Und: Passt das wirklich noch zu Ihnen?
Wenn Sie ab jetzt an dieser populären Sackgasse vorbeifahren, wer weiß, was Sie mit der freigewordenen Zeit und Energie tun werden und wohin Sie der neue Weg noch bringt, vielleicht sogar auf paradigmatische Abwege.

Gute Fahrt und bis bald vor der nächsten populären Sackgasse ins Neue, Ihr Rainer Peraus
 
Mag. Rainer Peraus ist seit mehr als 20 Jahren im Bereich der Transformation aktiv. Als Unternehmensberater, Zukunftsrevolutionär, Transformations-Empowerment-Aktivist und bekennender Utopist kennt er viele Sackgassen aus nächster Nähe. In seinen Texten und als Keynote-Speaker lädt er dazu ein, Wandel aus einer anderen Perspektive zu betrachten und ermutigt zur Dehnung der angeblichen Wirklichkeit ebenso, wie das Potenzial neuer Epochen durch utopische Zumutungen zu entfesseln. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Youtopia Group und Leiter der Transformation-Academy von CEOs FOR FUTURE.

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.03.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2022 ist erschienen. Schwerpunkt: Energiewende - Was wäre, wenn? erschienen.
     
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