Wolfgang Kessler
Umwelt | Klima, 31.08.2020
Klimarevolution mit Ökobonus
Nachhaltigere Wirtschaft durch CO2-Abgabe
Die Schweiz führt vor, wie die Wirtschaft durch eine CO2-Abgabe nachhaltiger werden kann. Aber nur, wenn diese konsequent durchgesetzt und wieder als Bonus an die Bürger zurückgezahlt wird.
Jetzt wagt sich auch Deutschland aus der Deckung. Zum 1. Januar 2021 führt die Bundesregierung einen CO2-Preis ein. Er beginnt mit 25 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Bis 2025 soll er auf 55 Euro steigen. Die Schweiz ist da schon weiter. Hier kostet die Tonne CO2 beim Verbrauch von Heizöl und Erdgas für das Heizen umgerechnet knapp 89 Euro pro Tonne. Das hat den Ausstoß von Kohlendioxid beim Heizen erheblich reduziert. Und, was mindestens so wichtig ist: Der hohe Preis wird von den Eidgenossen akzeptiert, weil die Einnahmen wieder an die Bürger zurückfließen.Aber der Reihe nach: Seit 25 Jahren wird in der Alpenrepublik intensiver als in Deutschland über eine marktwirtschaftliche Umweltstrategie diskutiert. Der Grundgedanke: Wir verteuern fossile Produkte durch einen Preis für Kohlendioxid; dann wächst der Anreiz für Konsumenten und Unternehmen, fossile Produkte einzusparen und den Ausstoß des Klimagases zu verringern. Von Anfang an verwiesen Kritiker auf das Problem dieser Strategie: dass nämlich die Reichen weitermachen können wie bisher und die Ärmeren die Zeche zahlen. Die Antwort der Eidgenossen auf dieses Dilemma ist der so genannte Ökobonus: Danach fließen die Einnahmen aus der CO2-Abgabe wieder an die Bürger und an die Unternehmen zurück. Alle erhalten gleich viel.
Erst in Basel, dann in der ganzen Schweiz
Einen ersten Testballon startete das Parlament des Kantons Basel-Stadt am 9. September 1998. Seither verteuert eine Abgabe den Strompreis um etwa zehn Prozent. Die Einnahmen werden als Ökobonus zurückzahlt. Einmal im Jahr erhält jeder Basler Bürger den gleichen Betrag aus den Einnahmen durch die Stromabgabe, die Unternehmen erhalten denselben Betrag pro Arbeitsplatz. Obwohl die Abgabe seit 1998 nicht erhöht wurde, sorgte sie doch dafür, dass der Stromverbrauch der Industriestadt Basel in den vergangenen Jahren deutlich langsamer wuchs als in anderen Schweizer Großstädten. Umso dringlicher wurde die Forderung, dieses Modell auf die ganze Schweiz zu übertragen.
Am 1. Januar 2008 fiel der Startschuss: Die Schweiz führte eine CO2-Abgabe auf Heizöl und Erdgas ein. In den ersten fünf Jahren betrug der Preis für eine Tonne Kohlendioxid umgerechnet elf Euro pro Tonne. In den Jahren 2013, 2015 und 2017 wurde die Abgabe auf derzeit 89 Euro pro Tonne erhöht. Sie macht inzwischen 21 Prozent des Preises für Heizöl und zwölf Prozent des Erdgaspreises aus. Und die Abgabe gilt für Privathaushalte und Betriebe gleichermaßen. Wobei Unternehmen befreit werden können, wenn sie nachweisen, dass sie auf andere Weise CO2-Emissionen in erheblichem Maße einsparen.
Ökobonus oder Umweltdividende für alle
Stolz sind die Eidgenossen darauf, dass die Einnahmen aus der Abgabe wieder den Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen, als Ökobonus. Zum Beispiel 2018. In diesem Jahr floss ein Drittel der 1,1 Milliarden Gesamteinnahmen in ein Programm zur energetischen Sanierung von Gebäuden. Die verbleibenden rund zwei Drittel wurden direkt an die Bürger zurückgezahlt: Alle Eidgenossen, Kinder eingeschlossen, erhielten umgerechnet 65 Euro pro Person. Nach Berechnungen der Schweizer Regierung erhält die Mehrzahl der Privathaushalte mehr Geld zurück als sie über die Abgabe bezahlen. Diese Umweltdividende belohnt jene, die sparsam heizen und in neue Heiztechniken investieren.
Aus der Sicht des Schweizerischen Bundesamtes für Umwelt ist die Abgabe ein voller Erfolg. Mit ihrer Hilfe wurden die CO2-Emissionen beim Heizen in den vergangenen fünf Jahren um etwa ein Viertel reduziert. Durch den Preisanreiz investierten Privathaushalte und Unternehmen kräftig in die Dämmung von Gebäuden und in neue Technologien. 80 Prozent der Neubauten würden inzwischen ohne jeden CO2-Ausstoß beheizt, sagen die Experten vom Bundesamt. „Da die Einnahmen wieder ökologisch verwendet oder an die Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt werden, ist die CO2-Lenkungsabgabe ein allgemein akzeptiertes Instrument in der Klimapolitik", sagt Reto Burkard vom Bundesamt für Umwelt.
Die Angst vor der Autolobby
Andererseits verweisen Klimaschützer auch auf die Schwäche des Modells: Die Abgabe wird nur auf Heizöl und Erdgas erhoben, nicht jedoch auf Benzin oder Diesel. Im Verkehrsbereich konnte oder wollte sich die Schweizer Regierung – ein Dauerbündnis aus Konservativen, Liberalen, Christdemokraten und Sozialdemokraten – nicht gegen die Lobby von Autohändlern und Ölimporteuren durchsetzen. Statt der CO2-Abgabe führten sie nur einen so genannten Klimarappen von umgerechnet 1,2 bis 1,8 Eurocent für einen Liter Treibstoff ein. Der gegenwärtige Preis von 89 Euro pro Tonne Kohlendioxid würde jeden Liter Treibstoff dagegen um rund 30 Cent verteuern.
Klimaschützer plädieren deshalb dafür, das Abgabenmodell auch auf den Verkehr zu übertragen. Denn dort entsteht rund ein Drittel aller CO2-Emissionen. Und dies, obwohl die Alternative zu Auto und Flugzeug vor der Haustür liegt. Keine Schweizerin, kein Schweizer wohnt mehr als zwei Kilometer von einer Haltestelle für Bus oder Bahn entfernt – das ist einmalig in Europa. Also: Warum nicht jene belohnen, die auf Bus, Bahn und Fahrrad umsteigen? Zudem ist der Lebensstandard vieler Eidgenossen so hoch, dass für sie auch der schnelle Umstieg auf Autos mit alternativen Antrieben realistisch wäre.
Lernen von der Schweiz
Können Länder wie Deutschland vom Schweizer Modell einer CO2-Abgabe lernen? Die Antwort: Ja. Es zeigt, dass man mit einem Preis für Kohlendioxid eine nachhaltige Revolution des Lebens und des Wirtschaftens auslösen kann. Aber nur unter zwei Bedingungen:
Erstens lenkt die CO2-Abgabe nur dann wirkungsvoll, wenn sie – ohne Ausnahmen – auf alle fossilen Produkte erhoben wird, und dies auch von Großunternehmen. Sie muss zudem kalkulierbar verteuert werden. Erst wenn Unternehmen und Privathaushalte wissen, dass der Preis für Kohlendioxid jedes Jahr um einen bestimmten Satz steigt, achten sie bei allen langfristigen Investitionen auf einen möglichst geringen Verbrauch fossiler Energie. Zudem werden die Rückzahlungen an die Bürger erst ab einem bestimmten Preisniveau so hoch, dass sie als Belohnung für klimaverträgliches Wirtschaften und Konsumieren wahrgenommen werden. Erst wenn wirklich Gelder von klimaschädlichem Fliegen, Autofahren und Wegwerfkonsum hin zu einem klimaverträglichen Lebensstil des Bahn- und Radfahrens, des Wiederverwertens und Vermeidens umverteilt werden, wird Klimaschutz zum integralen Bestandteil des Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens.
Zweitens führt eine CO2-Abgabe umso schneller zu einer klimaverträglichen Wirtschaft, je stärker der Staat gleichzeitig fossile Techniken beschränkt und in klimaverträgliche Alternativen investiert: Würde die Schweizer Regierung Ölheizungen ab einem bestimmten Zeitraum verbieten, dann wäre der Anreiz für Hausbesitzer schon jetzt größer, in eine Heizversorgung mit einem möglichst geringen Ausstoß von Kohlendioxid zu investieren. Oder auf den Verkehr bezogen: Je dichter der öffentliche Verkehr wird, je mehr Raum Radfahrer und Fußgänger in den Städten erhalten, desto mehr Menschen werden (und können) das Autofahren einschränken, wenn es jährlich teurer wird.
Eine CO2-Abgabe mit Ökobonus kann die Strukturen einer fossilen Wirtschafts- und Lebensweise grundlegend verändern, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dann öffnet die neue Preispolitik langsam, aber sicher immer mehr Räume für ein klimaverträgliches Arbeiten und Leben. Die Klimarevolution hat begonnen.
Wolfgang Kessler ist Ökonom und Wirtschaftspublizist sowie Autor des Buches „Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern".
Dieser Artikel ist in forum 03/2020 - Digitalisierung und Marketing 4 Future erschienen.
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