Sarah Ullmann
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.03.2019
Vom Blaumann bis zum Etuikleid
Über die Erfolgsgeschichte der Berufsbekleidung
Arbeitskleidung hat eine lange Tradition und viele Zwecke. Sie gibt Aufschluss über sozialen Stand und Branchenzugehörigkeit, dient dem Schutz des Trägers und ist ein zunehmend wichtiger Bestandteil der Corporate Identity. Der Markt wächst und zwar ordentlich. Durch die zunehmend nachhaltigere Produktionsweise und die marktspezifischen Geschäftsmodelle kann dieser Wirtschaftszweig eine Leuchtturmfunktion für die gesamte Textilindustrie einnehmen.
Die Berufsbekleidungsbranche erlebt einen wahren Boom. 2017 erreichte das Marktvolumen des Berufsbekleidung-Sektors in Deutschland 1,05 Milliarden Euro. Mit einer Wachstumsrate von 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erzielte der Markt einer der höchsten Umsatzsteigerungen aller Handelsbranchen. Internet-Pure-Player – also reine Online-Händler – bauten ihren Anteil am stärksten aus, die dominierende Vertriebsform ist mit 29 Prozent Marktanteil nach wie vor der Mietservice, dicht gefolgt von Direktvertrieb. Die Nachfrage nach nachhaltig produzierten Kleidungsstücken steigt und viele Hersteller haben ihr Angebot entsprechend angepasst und umgestellt.Durch die Langlebigkeit von Arbeitsbekleidung setzt sich die Branche signifikant von der (Fast) Fashion-Industrie ab. Erstens, weil der Großteil der Kollektionen nicht saisonellen Trends unterliegt und zweitens, weil die Stoffe und die Verarbeitungen im Einsatz maximalen Belastungen standhalten müssen. Ähnlich wie Sport- und Funktionskleidung als Alltagsoutfit immer beliebter wird und zum Lifestyle-Produkt geworden ist, kaufen mittlerweile auch Privatpersonen Produkte von Workwear-Herstellern anstatt von teuren Outdoormarken. Entweder, weil sie auf deren funktionalen Look oder auf die verlässliche Strapazierfähigkeit und Funktionalität setzen.
Aber wie und wann begann diese Erfolgsgeschichte?
Von der ritterlichen Rüstung zum royal-blauen Blaumann
Seinen Ursprung hat der Blaumann bereits im frühen Mittelalter. Schon seit Jahrhunderten tragen Menschen Arbeitskleidung. Die Farbe spielte zwar noch keine große Rolle, aber Hemd, Hose oder Hut waren ein individuelles Merkmal der jeweiligen Zunft und gaben Aufschluss über den sozialen Stand seines Trägers. So auch bei der mittelalterlichen Ritterrüstung. Mit Kettenhemd und Metallplatten behangen, ritt der Krieger nur dann auf das Schlachtfeld, wenn er einen gewissen sozialen Status hatte. Schwer und unbequem wie die Rüstung war, sollte sie vor allem gegen Verwundungen und Waffeneinwirkungen schützen.Arbeitskleidung die allein dem Schutz dient, ist bereits aus dem 17. Jahrhundert bekannt. Zum Beispiel Holz-Clogs, die die Alltagsschuhe der Bauern vor der schmutzigen Arbeitsumgebung schützten, oder auch die von Bergleuten verwendeten Schutzschürzen. Durch die industrielle Revolution wuchs die Wirtschaft rasant, und mit ihr die neuen Herausforderungen der einzelnen Arbeitsplätze. Entsprechend wurde besonders robuste Kleidung entwickelt, um der Verletzungsgefahr entgegenzuwirken, die der Alltag (zum Beispiel) der Minen-, Berg- und Bauarbeiter mit sich brachte. Sie musste besonders strapazierfähig und leicht zu reinigen sein. Daraus ging auch die Jeans hervor. Anfangs noch aus Hanf, später aus Baumwolle produziert, wurde sie im 19. Jahrhundert zu der am häufigsten eingesetzten Arbeitshose. Ein Allrounder, der bei Bauern, Handwerkern, Bergleuten und vielen mehr zum Einsatz kam.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts spezialisierten und differenzierten sich die einzelnen Industriezweige und Branchen zunehmend und somit kam Farbe ins Spiel. Die Farbe wurde zum Indikator eines bestimmten Arbeitsbereichs. Grau assoziiert man mit der Konstruktionsbranche, Braun und Grün mit der Land- und Forstwirtschaft, Rot mit der Feuerwehr und das traditionelle Blaumann-Blau mit der Handwerksbranche der Kfz-Mechaniker, Heizungsbauer und Elektroinstallateure.
Feinschliff für die Corporate Identity
Mittlerweile gibt es Gesetze zur Arbeitskleidung, Gesetze, die auf die Sicherheit und Hygiene des Trägers und seines Umfeldes abzielen. Somit muss die Kleidung hohen Qualitätskriterien bestimmter Normen entsprechen. Zu Anfang kauften die Arbeiter ihre Kleidung noch selbst. Ende des letzten Jahrhunderts fiel der Schutz der Arbeiter dann zunehmend in die Verantwortung des Arbeitgebers. Für viele Unternehmen ein ganz neuer Kostenpunkt, aber auch eine Chance, das Marken-Image neu zu denken.
Heute vertritt die Kleidung nicht nur die Branche, sondern das Unternehmen selbst – als Teil der individuellen und einheitlichen Corporate Identity. Was in der Unternehmenskultur mancher Länder, wie zum Bespiel UK, schon längst als Selbstverständlichkeit galt und zum guten Ton gehörte, wird nun auch hierzulande immer prominenter. Der deutsche Markt für Berufsbekleidung hat sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt und floriert. Berufsbekleidung findet nicht nur in Handwerksbetrieben oder im öffentlichen Dienst ihren Einsatz, auch Versicherungen, Hotellerie, Gastronomie und Einzelhandel setzen zunehmend auf Corporate Fashion.
Ob Arbeitskleidung, Teamwear oder Messeoutfits – alle haben eine Gemeinsamkeit: Menschen durch ihre Bekleidung mit einer Gruppe oder einem Unternehmen zu identifizieren und durch Funktionalität bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zu unterstützen.
Leasing-Etuikleid erobert das Büro
Ganz gleich ob Arztkittel, Blaumann oder der drei-teilige Anzug – heute wird nicht mehr nur der Firmenwagen geleast. Die Gründe dafür sind einleuchtend: Durch die professionelle Auslagerung von Waschen, Bügeln und Instandhaltung der Kleidung hat der Träger und somit das Unternehmen eine Sorge weniger. Der Träger bekommt seine Kleidung termingenau geliefert und muss sich lediglich noch ankleiden. Zwar hat dieser Service seinen Preis, ist aber aus Kundensicht wirtschaftlich sehr attraktiv, da im Gegensatz zum Kauf kein Kapital gebunden wird. Die Mietservice-Konzerne freuen sich über diese Entwicklung, durch die sie mittlerweile fast 3,5 Milliarden Euro umsetzen. Diese Zahlen setzen sich nicht nur aus dem Vermieten von Bekleidung zusammen, sondern umfassen auch andere gewerblich genutzte Textilien, wie zum Beispiel Bettwäsche, Tischdecken, Handtücher und Bademäntel.
Der Erfolg dieses Geschäftsmodells basiert auf einem ausgeklügelten Logistiksystem und auf der Strapazierfähigkeit der Textilie selbst. Erst nach dem positiven Ergebnis zahlreicher Tests, die bestätigen, dass ein Kleidungsstück eine Mindestzahl von Waschzyklen überdauert, wird es in das Produktportfolio des Mietservice aufgenommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mietservice die Kleidung selbst herstellt oder von einem Hersteller einkauft – Kleidung à la Fast Fashion würde hier kläglich versagen. Die geforderte Langlebigkeit zwingt Hersteller zu der Fertigung von Produkten mit hohen Qualitätsstandards und fördert somit automatisch die Nachhaltigkeit der Branche.
Strapazierfähig und azyklisch – das textile Zukunftsmodell
Der Berufsbekleidungs-Sektor glänzt als Nachhaltigkeits-Wunderkind der Textilbranche. Zum einem durch den hohen Anspruch an die Beständigkeit der Kleidung und zum anderen durch die verlangsamten Kollektionszyklen. Die Hersteller verpflichten sich häufig zur längerfristigen Verfügbarkeit der Modelle und vor allem der Stoffe der jeweiligen Kollektionen.
Noch bevor ein Unternehmen seine Mitarbeiter mit Kleidung ausstattet, stellt es sicher, dass im Fall von Verschleiß, Neuzugang im Team oder auch bei Gewichtsschwankungen des Trägers die Kollektion stets lieferbar ist. Zumindest über einen bestimmten Zeitraum, schließlich soll das Erscheinungsbild einheitlich bleiben. Selbst wenn Modelle einer Kollektion überarbeitet oder ergänzt werden, bleibt der Stoff über längere Zeit der gleiche. Selbst wenn die Ausstattung der Stoffe weiterentwickelt wird, optisch darf sich nichts merklich ändern. Damit steht und fällt die Kaufentscheidung des Kunden.
Auch in dieser Branche gibt es Hersteller, die sich dem starken Preisdruck potentieller Kunden anpassen, weil sie ein gutes Geschäft wittern. Gut ist das allerdings nur für den kurzfristigen Umsatz. Den tatsächlichen Preis zahlen dann die Umwelt und die Menschen in den Produktionsstätten der Bekleidungshersteller.
Und ein weiteres Merkmal der Fast Fashion-Industrie zeichnet sich hier immer stärker ab: Hersteller wollen sich von ihren Mitbewerbern mit modischeren Kollektionen absetzen und verkürzen die Kollektionszyklen. Dadurch werden gleich ganze Kollektionen aus dem Sortiment genommen, weil nicht mehr in die Nachproduktion der „alten" Linie investiert wird und Platz im Lager geschaffen werden muss, für die neuen Teile. Der zunehmend schnelle Kollektionswechsel wird zudem indirekt vorangetrieben, bedingt durch ständige Innovationen in der Gewebeentwicklung, wie beispielsweise die Optimierung von Schutzfunktionen.
Abgesehen von der eventuellen Notwendigkeit der Optimierung der Schutzausrüstung ließe sich durch stärkeren Druck der Öffentlichkeit und straffere Gesetzgebung diesem Trend entgegenwirken, wenn es um die gewerbliche oder öffentliche Beschaffung von Kleidung geht. Hier gehen einige Akteure der Branche als gutes Beispiel voran und animieren zum Nachahmen. Ein paar davon stellen wir Ihnen auf den kommenden Seiten vor.
von Sarah Ullmann
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
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