Starke Frauen - Marli Hoppe-Ritter
Kakao aus dem Kaffeeland - Die Initiatorin von Cacaonica in Nicaragua.
Die Idee von Marli Hoppe-Ritter klingt simpel: „Wenn wir den Bauern helfen, ihren Kakaoanbau weiterzuentwickeln und die Qualität ihres Kakaos zu steigern, werden sie damit mehr Geld verdienen und langfristig ihre Lebensumstände verbessern können." Genau diesen Ansatz verfolgt die Mitinhaberin des Schokoladeherstellers Ritter Sport seit 25 Jahren mit dem Projekt Cacaonica in Nicaragua. Mit Erfolg, wie Dr. Pedro Morazán, der im Auftrag des Südwind-Instituts eine unabhängige Evaluierung vorgenommen hat, bestätigt: „Cacaonica hat einen großen Beitrag zur Förderung des nachhaltigen Kakaoanbaus in Nicaragua geleistet. Die Bauern darin zu unterstützen, durch eine Professionalisierung des Anbaus die Qualität zu optimieren und so gute Preise für ihren Kakao zu erzielen, hat zu einer deutlichen Verbesserung ihrer Lebensumstände geführt."
High Noon in Nicaragua
Rund 25 Jahre ist es her, dass Marli
Hoppe-Ritter das erste Mal in Waslala war. „Die Stadt sah ein wenig so
aus, wie man es sonst nur aus Westernfilmen kennt", erinnert sie sich.
„Es gab nur einstöckige Häuser aus Holz, keine befestigten Straßen, ganz
zu schweigen von Straßenbeleuchtung. Und das in einer Gegend, wo es von
18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens stockdunkel ist." Auch ein Hotel oder
ähnliches gab es nicht, und so wurde der Besuch aus Deutschland
kurzerhand im Pfarrhaus untergebracht – im Bett, das eigentlich dem
Bischof bei seinen Besuchen vorbehalten war.
Bereits in den Achtzigerjahren war in Marli Hoppe-Ritter und ihrem Bruder Alfred T. Ritter der Wunsch gereift, einen direkten Kontakt zu Kakaobauern zu entwickeln. „Wir wollten die Menschen kennen lernen, die unseren wichtigsten Rohstoff anbauen und etwas über den Kakaoanbau lernen." Westafrika als das Hauptanbaugebiet für Kakao erschien den Geschwistern zu groß, und so fiel die Wahl auf Nicaragua.
„Dass das Land sehr arm und durch den Bürgerkrieg gebeutelt war, war uns klar", betont Marli Hoppe-Ritter, „aber wir gingen davon aus, dass der Kakaoanbau einen gewissen Stellenwert für die Wirtschaft des Landes habe. Was wir dann aber vorfanden, war etwas ganz anderes: Viele Bauern hatten ihre Plantagen aufgegeben. Was der Bürgerkrieg nicht zerstört hatte, hatte vielerorts die Pilzkrankheit Monilia vernichtet. Die meisten lebten in einfachen Hütten zusammen mit ihrem Vieh und bauten auf Kleinstfeldern Bohnen und Mais für den Eigenbedarf an."
Kakao als Schlüssel für ein besseres Leben
„Nicaragua galt vielen als klassisches
Kaffeeland. Und so wirkte meine Idee, gerade hier den nachhaltigen Anbau
von Kakao zu fördern, für viele in der Branche – vorsichtig formuliert –
ungewöhnlich", erinnert sich Hoppe-Ritter. Ihre Vision jedoch war klar:
die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bauern, ein schonender
Umgang mit der Natur und hochwertiger, nachhaltig angebauter Kakao. Die
Situation in Nicaragua Anfang der Neunzigerjahre war jedoch das genaue
Gegenteil. „Viele der kleinbäuerlichen Familien lebten in extremer Armut
und befanden sich in einem Teufelskreis. Die Bevölkerung wuchs rasant.
Um ihre Kinder zu ernähren, mussten die Bauern die Viehzucht ausdehnen
und den Ackerbau immer intensiver betreiben, wodurch die Fruchtbarkeit
der Böden schnell nachließ und die Bauern gezwungen waren, immer weitere
tropische Wälder abzuholzen. Gleichzeitig schritt die Verarmung voran."
Gemeinsam mit ihrem Bruder gründete Marli Hoppe-Ritter 1990 das Projekt Cacaonica, und was mit der Förderung einer einzelnen Kooperative mit rund 170 Bauern begann, ist heute eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit über 3.500 Bauern in mehr als 20 Kooperativen.
Mischkultur statt Monokultur
Eine zentrale Rolle im Projekt spielt der
Anbau von Kakao im Agro-Forst-System, das land- und forstwirtschaftliche
Methoden kombiniert. Kakao wird dabei in Mischkulturen mit anderen
Nutzpflanzen angebaut. Die Erosionsgefahr wird so verringert, die Böden
vor Austrocknung und Nährstoffverlust geschützt, und die Bauern können
bei gleicher Anbaufläche höhere Erträge erzielen, was zu einer
Verbesserung ihrer Lebensbedingen beiträgt und die fortschreitende
Abholzung der Wälder stoppt. Mit Partnern wie der Gesellschaft für
internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder der ADAAC, einer
nicaraguanischen NGO, wurden Bauern geschult, nicht nur das
Agro-Forst-System als ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternative zu
nutzen, sondern auch ihre Ernte selbst zu vermarkten. Zehn Jahre hat es
gedauert, bis die erste Kakaolieferung aus Nicaragua in Waldenbuch beim
Schokoladenhersteller mit den quadratischen Tafeln eintraf. Der Einsatz
hat sich gelohnt, die Qualität des Kakaos ist heute absolut hochwertig,
wie die Empfehlung der International Cocoa Organization (ICCO),
Nicaragua zum Herkunftsland für Edel-Kakao zu erklären, belegt.
Aller Anfang ist schwer
Wie jede Erfolgsgeschichte ist auch Cacaonica
von Rückschlägen nicht verschont geblieben. Die Gründung von
Kooperativen gestaltete sich durchaus schwierig. Infolge des
Bürgerkriegs waren viele Bauern vor allem darauf bedacht, ihre
Selbstversorgung sicherzustellen und nur langsam davon zu überzeugen, in
ihre Kakaoplantagen und damit in ihre Zukunft zu investieren. Es hat
allein zehn Jahre gedauert, bis mit Cacaonica die erste Kooperative
gegründet werden konnte, die schließlich dem ganzen Engagement ihren
Namen gab. „Zum Glück hatten wir mit dem Entwicklungshelfer Hans Grebe
und der Organisation Pro Mundo Humano erfahrene Partner vor Ort, die als
Wegbereiter echte Basisarbeit geleistet haben", erzählt Ritter-Hoppe.
„Man darf nicht vergessen, dass viele Bauern weder lesen, schreiben,
noch rechnen konnten. Das nutzten einige Presidentes der Kooperativen
aus, um in die eigene Tasche zu wirtschaften. Inzwischen hat sich vieles
gebessert, aber es gibt noch immer Mängel."
Auch Dr. Pedro Morazán vom Südwind-Institut betont, dass es in puncto Management in vielen Kooperativen noch Nachholbedarf gebe: „Insbesondere Fragen der Buchhaltung und der Verwaltung, aber auch die Personalplanung sind Schwachstellen, die angegangen werden müssen, um die Effizienz zu steigern und Risiken zu minimieren." Auch die Menge, die Ritter Sport aus Nicaragua bezog, erreichte lange nicht das gewünschte Ziel. „Als mein Bruder 2005 den Vorsitz der Geschäftsführung übernahm, importierten wir gerade mal 400 Tonnen Kakao aus Nicaragua. Er hat dann die entscheidenden Weichen gestellt, um Cacaonica zu einem relevanten Lieferanten zu machen und die echte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Kooperativen und Bauern aufzubauen", erinnert sich Hoppe-Ritter. Über das Radio ließ Ritter Sport verkünden, dass man den Bauern zusätzlich zum Weltmarktpreis einen Prämienaufschlag zahle, wenn die Qualität stimmt. Die Liefermenge stieg merklich an. Die Radiodurchsagen gibt es zwar nicht mehr, den Zuschlag zahlt das Unternehmen aber nach wie vor.
„Die Förderung des nachhaltigen Kakaoanbaus hat zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Bauern beigetragen", betont Morazán. Für viele Familien gehe die Kommerzialisierung von Kakao mit einer Überwindung von Armutsstrukturen einher. Die ausschlaggebenden Faktoren sind nach Ansicht des Experten vor allem die systematische Arbeit an der Kakaoqualität, die gezahlten Preise und die Steigerung der angebauten Menge.
Leuchtturm für eine Branche
Im vergangenen Jahr erreichte die Liefermenge
erstmals die Marke von 1.000 Tonnen. „Cacaonica hat heute einen festen
Platz in unserer Kakaobezugsstrategie", erklärt Hajo Brand, der als
Einkaufsleiter Cacaonica betreut. „Langfristig – spätestens ab 2023 –
wollen wir 5.000 Tonnen Kakao von Bauern aus Nicaragua und von unserer
eigenen Plantage El Cacao beziehen, die zurzeit im Osten des Landes
entsteht. Sie soll neben Cacaonica als zweite Säule das Engagement in
Nicaragua weiterentwickeln." Brand hat dabei ein klares Ziel vor Augen:
„Wir wollen bis zum Jahr 2025 unseren gesamten Kakaobezug zu 100 Prozent
auf nachhaltigen Kakao umgestellt haben. Nicaragua spielt da eine ganz
entscheidende Rolle."
Für Marli Hoppe-Ritter ist jedoch entscheidend, dass der Dreiklang aus Professionalisierung des Anbaus, Verbesserung der Qualität und fairen Preisen den gewünschten Effekt auf die Lebenssituation der Bauern hat, wie die Experten vom Südwind-Institut bestätigen. Und sie freut sich über einen Sinneswandel: „Wir sind für unser Engagement oft belächelt worden – in der Branche, aber auch hier bei uns im Haus. Dass jetzt auch andere Unternehmen den Weg gehen, den wir vor 25 Jahren eingeschlagen haben, und aktiv an der Entwicklung des Kakaoanbaus arbeiten, um die Einkommenssituation der Bauern zu verbessern, empfinde ich als Bestätigung."
Uta Dobler'
arbeitet seit 18 Jahren bei ALTOP und betreut dort die Internetportale www.forum-csr.net und www.eco-world.de. Gerne unterstützt sie die Reihe „Starke Frauen" in forum und freut sich auf weitere Vorschläge von unseren Lesern unter u.dobler@eco-world.de
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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