Atomkraft sayounara!
Wie Japan ein Drittel seiner Stromproduktion verliert - und trotzdem funktioniert.
Trotzdem keine Meldungen in Deutschland über Blackouts. und der Niedergang der Atomkraft in Japan ging weiter: Die verbliebenen Reaktoren stellten ihre Arbeit ein, und rund ein Jahr nach "Fukushima" ging der letzte aktive Reaktor "Tomari 3" vom Netz. Er steht auf der Nordinsel Hokkaido und wurde zu Wartungszwecken mehrere Monate abgeschaltet. Damit war Japan frei von Atomenergie - und trotzdem leuchtete in Tokio die Lichtreklame.
"Das zeigt, dass es auch ohne Atomkraft geht", freute sich laut FAZ Taro Kono, ein Politiker der Liberaldemokratischen Partei. Diese hatte Japan bis 2009 regiert und die Atomenergie stets mit viel Geld gefördert. Denn es gab intensive Beziehungen zu den Atomkonzernen, Kritik an dieser Energieform war nicht gefragt. Trotzdem war Kono schon vor Fukushima ein Gegner der Atomenergie und sagte der FAZ: "Jetzt kommen viele meiner Abgeordnetenkollegen und sagen: Du hast wohl doch recht gehabt." Und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, stellte fest, "dass das Land mit seiner energiehungrigen Industrie und seinen gigantischen Städten auch ohne Atomstrom funktioniert."
Atomkraft zur Sicherung des Lebensstandards?
Kein Wunder, dass das "Handelsblatt" am 05.07.2012 meldet: "Japan steigt wieder in den Atomstrom ein". Um 7.00 Uhr Ortszeit sei der Reaktor 3 im Atomkraftwerk Oi wieder ans Netz gegangen, betrieben von KEPCO. Der damalige Ministerpräsident Yoshihiko Noda erklärte, ohne Atomkraft wäre Japan nicht in der Lage, seinen Lebensstandard zu halten. Daher sollten auch die anderen Reaktoren in Oi folgen.
Im Sommer 2013 wurde bekannt: Aus der zerstörten Anlage fließen große Mengen radioaktives Wasser ins Meer, im August 2013 waren es täglich 300 Tonnen, die aus den Speichertanks ausliefen. Wer sich nur eine Stunde neben diesem Wasser aufhält, spürt bereits erste Symptome der Strahlenkrankheit: Ihm wird übel, und die Zahl der roten Blutkörperchen geht messbar zurück.
Das "Atomdorf"
Angesichts solcher Nachrichten dürfte die Atomindustrie in Japan schlechte Karten haben. Aber das so genannte "Atomdorf" hält zusammen: Der scheinbar harmlose Begriff steht für die Lobby hinter der Atomenergie, zu ihr gehören Vertreter aus Universitäten, Energieversorgern und Regierung. Wie diese
"Dorfgemeinschaft" arbeitet, zeigt eine Rückblende in den April 2011, kurz nach "Fukushima". Damals sprach der "Der Spiegel" mit einem Mitarbeiter der "Tokyo Electric Power Company" (TEPCO), weltweit bekannt als Betreiber der Fukushima-Reaktoren.
Der Mitarbeiter wollte anonym bleiben und sagte im Telefon-Interview: "Dieses geschlossene Dorf hat sich bisher erlaubt, Daten und Prüfberichte aus Atomkraftwerken zu verbergen, zu fälschen und zu erfinden." Einer der Gründe dafür sei, dass die "Nuclear and Industrial Safety Agency" (NISA) nicht unabhängig arbeite. Eigentlich hat sie die Atomkraftwerke zu kontrollieren, aber: "NISA untersteht dem Wirtschaftsministerium, und das Wirtschaftsministerium hat auch das Ziel, die Atomkraft zu fördern. Ist es nicht merkwürdig, dass ein und dieselbe Behörde die Kraftwerke kontrollieren und fördern soll?", fragte sich der TEPCO-Mitarbeiter. Atomkraft adieu? Das letzte Wort ist in Japan längst nicht gesprochen.
Trotzdem kündigt die japanische Regierung im September 2013 an, bis 2040 schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen. Es soll keine neuen Atomkraftwerke geben - vor Fukushima hatten noch zwölf Neubauten eine Genehmigung erhalten. Allerdings bindet diese Erklärung keine künftigen Regierungen, und laut stern.de machen Japans Atomlobbyisten bereits mobil: "Das können wir auf keinen Fall akzeptieren", so der Vorsitzende des Wirtschaftsverbands "Keidanren", Hiromasa Yonekura. "Ich glaube nicht, dass das technologisch möglich ist."
Ausstieg bis 2040
Aber wie haben es die Japaner geschafft, ein Drittel ihrer Stromversorgung zu verlieren und trotzdem keine dramatischen Blackouts zu erleben? Da hilft ein Blick in den Energiemix bei der Stromerzeugung und zwar vor der Katastrophe von Fukushima:
- Kohle: 28 Prozent
- Atomkraft: 27 Prozent
- Gas: 26 Prozent
- Öl: 9 Prozent
- Wasserkraft: 8 Prozent
- andere: 2 Prozent.
63 Prozent der Stromproduktion gingen auf das Konto von Gas-, Öl- und Kohlekraftwerken. Von ihnen gibt es 60 Anlagen, wobei rund 90 Prozent davon Kohle oder Gas verbrennen. Erneuerbare Energie spielte mit zehn Prozent keine große Rolle. 2009 war Japan der drittgrößte Stromproduzent der Welt, nach den USA und China. 1.046 Terrawattstunden Strom speisten japanische Kraftwerke ins Netz ein. Als die Atomkraft ausfiel, fuhren die Energieversorger längst eingemottete Kraftwerke wieder hoch, die zum Beispiel auch Erdöl als Brennstoff nutzen. Ihr Wirkungsgrad liegt zum Teil unter 30 Prozent: Sie verwandeln die fossilen Rohstoffe vor allem in heiße Luft.
Gaskraftwerke an der Kapazitätsgrenze
Gaskraftwerke waren vor Fukushima nicht ausgelastet, weil sie im Betrieb zu hohe Kosten verursachten. Daher erzeugten sie nur in Spitzenzeiten Strom. Ihre Leistung ließ sich aber bis an die Kapazitätsgrenze steigern und konnte so die Lücke in der Stromversorgung schließen. Im Januar 2012 soll auf diese Weise die Energieversorgung wieder ein Niveau erreicht haben, das dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 2010 entsprach. Die FAZ zitiert dazu Makoto Yagi, den Präsidenten von KEPCO: "Es ist nicht ganz so einfach, wie es aussieht", denn die Öl- und Gaskraftwerke würden jetzt in Volllast laufen. "Aber auch die müssen mal gewartet und dafür vom Netz genommen werden", so Yagi. Und schon drohten wieder Engpässe.
Aber auch auf der Nachfrageseite geschah etwas: Es gab eine landesweite Kampagne zum Energiesparen, bei der sich sogar der Ministerpräsident per SMS an seine Landsleute wandte. Es kam zu gezielten, kurzfristigen Stromabschaltungen; das Wetter war relativ mild, und die Industrieproduktion ging zurück. TEPCO stellte fest: Die Stromnachfrage blieb 20 Prozent unter den erwarteten Werten.
CO2-Emissionen steigen um 17 Prozent
Eine Erfolgsstory? Weit gefehlt. Die ökologischen und ökonomischen Konsequenzen sind gewaltig: Die Strompreise stiegen insgesamt um rund 30 Prozent, allein in den Präfekturen Hokkaido, Tohoku und Shikohu gingen sie zum 1. September 2013 bis zu neun Prozent in die Höhe. KEPCO erhöhte seine Strompreise im Mai 2013 um zehn Prozent. Der hohe Gasverbrauch führte dazu, dass Japan zum größten Importeur von Erdgas wurde, das als Flüssiggas auf Tankern ins Land kommt. 2011/2012 sind diese Importe um 18 Prozent gestiegen, so das japanische Finanzministerium.
Klar, was dann bei den CO2-Emissionen passiert: Um 17 Prozent stiegen sie im Energiesektor 2012 - von 374 Millionen auf 439 Millionen Tonnen pro Jahr (im Vergleich zu 2011). Das hat der Informationsdienstleister "Bloomberg" ausgerechnet. Insgesamt emittierte Japan 1,173 Milliarden Tonnen CO2, das waren 4,4 Prozent mehr als 2011. Und das, obwohl der gesamte Stromverbrauch um 2,9 Prozent gesunken ist. Alarmierende Zahlen für den Klimaschutz! Das ist die andere Seite der Medaille, wenn Japan (ungeplant) aus der Atomenergie aussteigt.
Chance für Erneuerbare Energien
Doch Prof. Friedbert Pflüger sieht auch große Chancen. Er ist Direktor des "European Centre for Energy and Resource Security" (EUCERS), King's College London. Seine Einschätzung: Japan sollte "seine Gas-Infrastruktur nicht zu einseitig ausbauen". Diese Energieform erleichtere aber "den Übergang in eine nachhaltigere und grünere Energieerzeugung der Zukunft". Wie in Deutschland sind Gaskraftwerke dank ihrer Flexibilität geeignet, Schwankungen bei der Stromproduktion auszugleichen - immer wenn die Sonne nicht scheint, oder der Wind ausbleibt.
Das geschieht aber nicht häufig, weil Japan von Meer umgeben ist und an den Küsten ein kräftiger Wind weht. So gibt es ein großes Potenzial für Windkraftanlagen. Auch die Gebirgszüge auf der Inselgruppe sind interessant, weil sich dort wie in Norwegen Wasserkraftwerke betreiben lassen. Schließlich scheint die Sonne intensiver als in Mitteleuropa, was für eine Nutzung der Solarenergie spricht. Außerdem gibt es große Potenziale für Geothermie-Anlagen.
Daher setzt Prof. Pflüger auf Strom aus Sonne, Wind und Wasser: "Ein dezentrales Energienetz schützt den Verbraucher vor konzentrierten Schocks, wie sie etwa durch Erdbeben oder Tsunamis ausgelöst werden können." Es verhindere "zentralisierte Energieriesen mit Monopolstellung". Prof. Pflüger: "Dies beugt zu engen Verflechtungen zwischen der Politik und den Interessen der Großkonzerne vor - ein besonders in Japan sehr wichtiger Faktor."
Februar 2014: Japan setzt wieder auf Atomkraft
Doch die Argumente Prof. Pflügers scheinen im Moment nicht populär zu sein, im Land des Super-GAUs. Im Februar 2014 wollte Morihiro Hosokawa Gouverneur von Tokio werden - und setzte im Wahlkampf ganz auf den Ausstieg aus der Atomenergie. Er scheiterte gegen Yoichi Masuzoe, der von Ministerpräsident Shinzo Abe unterstützt wurde. Abe steht für einen klaren Kurs pro Atomkraft, das Votum der Wähler in Tokio gilt als Befürwortung einer weiteren Nutzung der Atomenergie in Japan. Daher schreibt die FAZ zu dieser Wahl: "Es wird nun erwartet, dass Abe dem Kabinett noch in diesem Monat einen Energieplan vorlegen wird, nach dem die Atomkraft im Energiemix künftig rund 20 Prozent der Stromversorgung übernimmt. (.) Die ersten Reaktoren dürften dann im Frühjahr wieder ans Netz gehen."
Technik | Energie, 01.04.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2014 - Voll transparent, voll engagiert erschienen.
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