Kai Platz
Umwelt | Umweltschutz, 05.11.2025
Erst machen, dann reden: Der Stanglwirt und sein revolutionäres BIO-Energie Kraftwerk
Familie Hauser investierte 11 Millionen Euro in ihr klimapositives Kraftwerk – was andere Unternehmen daraus lernen können
„Ihr werdet doch nicht eine Technologie einbauen, die 50 Jahre alt ist." Mit diesem Satz veränderte Klaus Embacher, Nachbar und Mitarbeiter des Tiroler Technologieunternehmens Syncraft, die Energiezukunft des Bio- und Wellnesshotels Stanglwirt. Die Planungen für eine neue Hackschnitzelheizung standen 2022 bereits kurz vor dem Abschluss. Doch dann kam der Impuls, der alles auf den Kopf stellte.
Am 20. Oktober 2025 präsentierte die Familie Hauser ihr BIO-Energie Kraftwerk offiziell der Öffentlichkeit – gut ein Jahr nachdem der Generator erstmals eingeschaltet wurde. Diese bewusste Verzögerung ist symptomatisch für eine Philosophie, die den Stanglwirt seit Jahrzehnten auszeichnet: Erst handeln, dann kommunizieren.„Bei uns gibt es keine Marketing-Kampagnen", erklärt Johannes Hauser, Junior-Chef und verantwortlich für Gastronomie, Landwirtschaft, Forst und Energie. „Wir machen etwas, und wenn es gut war, machen wir darüber Marketing." Ein Motto, das von Vater Balthasar Hauser stammt: „Sage heute nicht, was will ich tun. Sage morgen nur, was tat ich nun."
Ein Jahr lang lief die Anlage im Testbetrieb, denn sie wollten Gewissheit: Funktioniert die Technologie wirklich? Die Antwort: Ja, es läuft. Seit Januar 2024 liefert die Anlage 550 kW elektrischen Strom und 840 kW Wärme – und das mit einer Effizienz von 90 Prozent. Pro Jahr entstehen dabei als Nebenprodukt auch 500 Tonnen Pflanzenkohle, die nicht nur klimapositiv ist, sondern auch wirtschaftlich verwertet wird.
Weltweit einzigartig in der Hotellerie
Das Herzstück des 11-Millionen-Euro-Projekts ist eine Holzvergaseranlage der Tiroler Firma Syncraft. Anders als bei herkömmlichen Biomasse-Kraftwerken wird das Holz nicht verbrannt, sondern verglüht. Dabei entsteht Holzgas, das in einem hocheffizienten Innio Jenbacher Gasmotor zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt wird.„Die Anlage am Stanglwirt zeigt eindrucksvoll, wie innovative Holzgas-Technologie regionale Biomasse in saubere Energie verwandeln kann", erklärt Marcel Huber, Geschäftsführer von Syncraft. Das Unternehmen, das er vor 15 Jahren zu dritt gründete, hat mittlerweile über 40 Systeme weltweit installiert – meist im DACH-Raum. „Bisher kein Hotel", betont Huber. Der Stanglwirt ist der weltweit erste Hotelbetrieb mit dieser Technologie.
Pflanzenkohle: Das wertvolle Nebenprodukt
Was die Anlage besonders macht, ist ihr „Abfallprodukt": Pflanzenkohle, auch Biochar genannt. Während bei herkömmlicher Holzverbrennung Asche entsteht, die entsorgt werden muss, bindet Pflanzenkohle Kohlenstoff dauerhaft. Marcel Huber erklärt: „Eine Tonne Pflanzenkohle speichert fast drei Tonnen CO2 – das entspricht einem aktuellen Marktwert von etwa 450 Euro." Bei 500 Tonnen Jahresproduktion ergibt sich ein CO2-Speicherpotenzial von 1.500 Tonnen – und ein potenzieller Zertifikatswert von über 200.000 Euro pro Jahr.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig: als Bodendünger in der Landwirtschaft, als Zusatz in Beton (der dadurch mehr CO2 bindet, als durch Zement entsteht), oder als Ersatz fossiler Kohle in der Stahlproduktion.
Philipp Hauser, Head of the E2 Carbon Council, machte bei der Präsentation das Potenzial deutlich: „17 Prozent der CO2-Emissionen in Österreich stammen aus der Stahlwirtschaft. Die Umstellung auf Biochar kann 3,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen und die Stahlwirtschaft grün gestalten."
Die ehrliche Rechnung
Auf die Frage nach der Wirtschaftlichkeit gibt Elisabeth Hauser eine überraschend offene Antwort: „rein aus Wirtschaftlichkeit haben wir es nicht gemacht."Von den 11 Millionen Euro Gesamtinvestition entfielen etwa 3,5 Millionen auf die Syncraft-Technologie, der Rest auf Bau, Infrastruktur und begleitende Maßnahmen. Zwar ist das Projekt EU-gefördert, doch sie warnt deutlich: „Es muss individuell geprüft werden, ob es passt."
Beim Stanglwirt passen mehrere Faktoren zusammen:
- 100 Prozent Eigenverbrauch: 170 Zimmer, über 10.000 m² Wellness- und Sportanlage, eigenes Reitgestüt, zwei Tennis-Hallen – der Energiebedarf ist enorm und nahezu konstant.
- Über 40 Jahre Betriebserfahrung mit dem alten Biomasse-Kraftwerk.
- Kompetenz vor Ort: Sowohl Hersteller Syncraft als auch Bauunternehmen und Betriebsleiter kommen aus der Nachbarschaft, bzw. der Region – kurze Dienstwege und direkte Kommunikation
Von der Rinde zur Revolution
Die Geschichte des Stanglwirt-Kraftwerks beginnt nicht 2024, sondern bereits in den 1970er Jahren. Vater Balthasar Hauser plante damals Europas erste Holzrindenheizung für ein Hotel.
„Das Sägewerk konnte die Rinde damals nicht nutzen und bot sie uns fünf Jahre kostenlos an", erinnert sich Seniorchef und Visionär Balthasar Hauser. Die Entscheidung für das Rindenkraftwerk fiel – und es lief 44 Jahre lang, bevor es 2024 wohlverdient in den Ruhestand ging.
Regionalenergie als Prinzip
„Wir sind überzeugte Bewunderer der Regionalenergie", erklärt Johannes Hauser. „In der Wüste machst du es mit Sonne, in anderen Regionen mit Wind. Bei uns haben wir Holz."
Das Holz kommt aus einem Radius von maximal 25 Kilometern. Das gesamte Werk ist PEFC-zertifiziert, ebenso alle Lieferanten. „Wir können den Ablauf und die Bäume bis in den Wald, wo sie gestanden sind, nachvollziehen", so Johannes Hauser.
Pro Tag werden knapp 10 Tonnen angeliefert, etwa 4 bis 5 LKW-Ladungen Hackschnitzel.
Überraschend: Das Holz kommt nicht hauptsächlich aus dem eigenen Wald. „Wir haben viele Wälder. Und unsere Zukunftsvision ist, dass wir unsere Wälder noch einmal besser bewirtschaften", erklärt Johannes Hauser.
Die Waldvision
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Was andere lernen können
Die Geschichte des Stanglwirt BIO-Energie Kraftwerks bietet fünf zentrale Lektionen für nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen:
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Seine Waldphilosophie ist praktisch und ökologisch zugleich: „Dass wir den Wald ausputzen. Dass wir dem Wald Licht geben. Dass wir den Jungbäumen wieder einen Platz geben. Dass wir größere rausnehmen."
Das Problem in Zentraleuropa sieht er in der Bequemlichkeit: „Jeder ist zu faul, dass er in den Wald geht und ausputzt." Stattdessen: Kahlschläge und Neubepflanzung, was zu Monokulturen führt – und zum Borkenkäfer-Problem.
In Österreich wachse mehr Holz nach, als geerntet werde, betont Johannes Hauser. Doch in den letzten 20 Jahren haben sich Waldbrände verdoppelt, Schadholz ist in 10 Jahren um 400 Prozent gestiegen. Wald müsse Biodiversität erhöhen und zukunftsfähig gepflegt werden
Der nächste Schritt
Das BIO-Energie Kraftwerk ist für die Hausers nicht das Ende der Energiewende, sondern ein weiterer Meilenstein. „Strom mit Second Life Batterien ist das Thema, das uns noch fehlt. Dann können wir den Strombedarf komplett decken", verrät Johannes Hauser.
Für die Wärmeversorgung steht bereits ein 65.000-Liter-Wasserpufferspeicher bereit, der auch im Winter sehr lange hält. Als Backup dient eine kleinere Hackschnitzelheizung für kalte Winter-Spitzen.
So ist sichergestellt, dass der Hof und das Hotel immer ausreichend Energie zur Verfügung haben.
Bauernhof oder Hotel?
„Wir sind der größte bewohnbare Bauernhof Europas mit integriertem Luxushotel und nicht umgekehrt", stellt Elisabeth Hauser, Junior-Chefin und verantwortlich für Finanzen und Mitarbeiter, klar. „Bei uns ist die Landwirtschaft wirklich zentral im Haus."
Diese Selbstdefinition ist mehr als Marketing. Der Kuhstall steht seit über 300 Jahren am gleichen Platz, der dazugehörige Misthaufen ebenso. Um ihn herum wurde das ganze Haus gebaut. „Bei uns gehört die Landwirtschaft und die Hotellerie zusammen, wie Schaufel und Stiel. Das ist unteilbar", bringt es Johannes Hauser auf den Punkt.
Diese Verwurzelung in der Landwirtschaft erklärt auch den Ansatz zur Nachhaltigkeit: „Für uns ist Nachhaltigkeit kein Trend, für uns ist das alles normal", so Johannes Hauser.
Und sie erklärt vielleicht am besten, warum der Stanglwirt seit Jahrzehnten Nachhaltigkeitspionier ist – ohne es groß hinauszuposaunen:
- 1609: Gründung des Gasthofs
- 1722: Beginn des Familienbesitzes (heute 11. Generation)
- 1980: Europas erste Holzrindenheizung in einem Hotel
- 1998: Rettung des Bichlacher Moors mit dem WWF
- 2017: Erste „Grüne Woche" mit WWF, PEFC-Award
- 2020: BioMaster-System (100 Tonnen Speisereste: 50.000 kWh Strom)
- 2022: Österreichisches und Europäisches Umweltzeichen
- 2024: Beyond Green-Mitgliedschaft, Bio-Energie-Kraftwerk in Betrieb
Was Gäste wahrnehmen
„Ich glaube, wir nehmen unseren Gästen ein bisschen schlechtes Gewissen ab", sagt Elisabeth Hauser über die Wahrnehmung der Nachhaltigkeit im Haus. Trotz des Aufwands in der Luxushotellerie wird hier Nachhaltigkeit in vielen Facetten gelebt, mal mehr und mal weniger sichtbar.
Die Botschaft an die Gäste: „Das Wichtige ist, dass man als Vorbild vorangeht. Und zeigt, dass nachhaltig sein und wirtschaftlich sein zusammen funktioniert."
Die Einweihung des Bio-Energie-Kraftwerks ist hierfür ein weiterer sichtbarer Beweis.
Prominente Unterstützung
Einen besonderen Coup landete die Familie mit Joko Winterscheidt als Kraftwerks-Pate. Der deutsche Moderator und Produzent ist seit Jahren als Klima-Aktivist bekannt – unter anderem durch seine Amazon-Doku „The World's Most Dangerous Show" über die Klimakrise.
Mit seinem Engagement für nachhaltige Projekte und seinem öffentlichen Eintreten für Klimaschutz gilt Winterscheidt als glaubwürdiger Fürsprecher für verantwortungsvolles Handeln.
Neben Joko Winterscheidt würdigten auch Landeshauptmann Anton Mattle („Rückwärtskraftwerk ermöglicht Weg nach vorne – Innovation braucht Mut") Bürgermeister Alexander Hochfilzer das Projekt. Die feierliche Segnung nahm Domkapitular Dr. Josef J. Pletzer vor.
Kai Platz ist Redakteur bei forum und betreut unter anderem das Kooperationsmangement mit dem Themenschwerpunkt Tagen & Tourismus.
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