Jens Hanson
Wirtschaft | Ethisches Wirtschaften, 26.06.2025
Mit CO2-Budget zum Gemeinwohl
Die Neuausrichtung der "unsichtbaren Hand" für eine nachhaltige Zukunft
Angesichts der Klimakrise greift das klassische Modell von egoistischem Gewinnstreben als Garant für Gemeinwohl zu kurz. Ein persönliches CO2-Budget, das ökologische Grundeinkommen, könnte zur neuen Leitwährung werden, um individuelle Freiheit mit kollektiver Verantwortung zu verbinden.

Der klassische Ökonom Adam Smith postulierte in "Der Wohlstand der Nationen" die These, dass der scheinbar egoistische Drang des Einzelnen, seine eigenen Interessen zu verfolgen, paradoxerweise zum Wohle der gesamten Gesellschaft beitrage – ein Konzept, das er als "unsichtbare Hand" des Marktes beschrieb. Dieses Paradigma, das den freien Markt als selbstregulierendes System preist und staatliche Interventionen weitestgehend ablehnt, hat die Wirtschaftstheorie über Jahrhunderte maßgeblich geprägt. Doch in Anbetracht globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel stellt sich die Frage, ob dieser überzeitliche Glaube an die wohlwollende Wirkung des reinen Egoismus noch zeitgemäß ist oder ob wir eine neue Sichtweise auf die Wechselwirkungen zwischen individuellem Handeln, Marktmechanismen und gesellschaftlicher Verantwortung benötigen.
Die Essenz des Smith'schen Egoismus: Qualität und Wohlstand durch Eigeninteresse
Smiths Argumentation ist bestechend einfach: Ein Metzger liefert qualitativ hochwertige Steaks nicht aus Nächstenliebe, sondern weil er seinen Gewinn maximieren möchte. Wenn seine Produkte minderwertig wären, würden die Kunden ausbleiben und er würde scheitern. Dieses Streben nach langfristigem Gewinn motiviert ihn zur Qualität und dient somit indirekt dem Wohl der Konsumenten, die ein gutes Abendessen erhalten. Auf einer breiteren Ebene führt diese egoistische Triebfeder nach Smith zu einem Anstieg des Wohlstands, da jeder bestrebt ist, möglichst viele und gute Produkte herzustellen. Ergänzt wird dies durch die Tendenz, Kapital aus Sicherheitsgründen regional zu investieren, was wiederum den lokalen Handel und die Industrie stärkt und Arbeitsplätze schafft.
Die Rolle des Staates: Minimalismus als Maxime
Für Smith war die Rolle der Regierung im Wirtschaftsgeschehen klar definiert und stark begrenzt. Sie sollte primär drei essenzielle Funktionen erfüllen: den Schutz des Landes vor äußeren Angriffen, die Gewährleistung von Recht und Ordnung im Inneren (Schutz der Bürger vor Unrecht und Bestrafung von Verbrechen) sowie die Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter wie Bildung und Infrastruktur. Jenseits dieser Aufgaben sollte sich der Staat aus wirtschaftlichen Fragen heraushalten, da Zölle, Steuern und Regulierungen den freien Handel behinderten und den Wohlstand minderten. Die "unsichtbare Hand" des Marktes, so die Überzeugung, funktioniere am besten, wenn Individuen uneingeschränkt miteinander handeln könnten, sowohl national als auch international. Import- und Exportfreiheit würden so zu globalem Wohlstand führen, da Menschen weltweit Zugang zu den besten und günstigsten Produkten hätten.
Grenzen des klassischen Paradigmas: Wenn Egoismus zur kollektiven Falle wird
Während Smiths Theorien zweifellos wichtige Einsichten in die Dynamiken von Märkten lieferten, offenbaren sie im Kontext heutiger Herausforderungen signifikante blinde Flecken. Die Annahme, dass der kumulierte Egoismus stets zum Besten aller führt, ignoriert externe Effekte – jene Kosten oder Nutzen, die sich aus einer Produktion oder Konsumtion ergeben und nicht direkt im Marktpreis abgebildet sind. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist ein Paradebeispiel für eine negative externe Wirkung: Ein Unternehmen, das billig produziert und dabei die Umwelt verschmutzt, maximiert seinen Gewinn, aber die Kosten für die Umwelt und die Gesellschaft tragen alle. Hier kollidiert der individuelle "Egoismus" mit dem kollektiven Wohl.
Das ökologische Grundeinkommen: Eine zeitgemäße "unsichtbare Hand" für den Klimaschutz
Die dringende Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, erfordert eine Neujustierung des Smith'schen Prinzips. Das Konzept eines ökologischen Grundeinkommens, auch bekannt als persönliches CO2-Budget, bietet hier einen innovativen Lösungsansatz. Anstatt den Kohlenstoffausstoß über monetäre Steuern zu regulieren, die im bestehenden Geldsystem verankert sind, würde ein ökologisches Grundeinkommen den individuellen CO2-Fußabdruck in einer neuen, nicht-monetären Einheit – nennen wir sie "ECO (Earth Carbon Obligation)" – bewerten.
Allen Bürgern würde ein anfängliches Kontingent an ECO zugewiesen, das das maximal zulässige CO2- Budget für einen bestimmten Zeitraum darstellt. Verursacht man Emissionen (z.B. durch Flugreisen, Autofahren, Konsum bestimmter Produkte), werden die entsprechenden ECO vom persönlichen Budget abgezogen. Wer hingegen klimafreundlich agiert, beispielsweise durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Kauf regionaler, emissionsarmer Produkte, schont sein Budget oder kann sogar seine nicht genutzten ECO verkaufen.
Dieses System entkoppelt den Klimaschutz bewusst vom traditionellen Geldsystem und schafft eine direkte, nicht-monetäre Anreizstruktur. Der "Metzger", in diesem Fall ein Produzent, hätte nicht nur das monetäre Interesse an der Qualität seiner Steaks, sondern auch ein ECO-Interesse: Er würde Anreize haben, seine Produktion klimafreundlicher zu gestalten, um seinen Kunden Produkte anzubieten, die weniger ECO verbrauchen und somit attraktiver sind. Die "unsichtbare Hand" würde dann nicht mehr nur Kapitalströme und Produktqualität im Blick haben, sondern auch den CO2- Fußabdruck der gesamten Wertschöpfungskette.
Fazit: Vom individuellen Gewinn zum kollektiven Gemeinwohl – eine Evolution des Marktgedankens
Die Überzeugung, dass egoistisches Streben allein die Welt zu einem besseren Ort macht, muss im Angesicht planetarer Grenzen einer weiterentwickelten Perspektive weichen. Adam Smiths brillante Beobachtungen zur Dynamik freier Märkte bleiben wertvoll, aber sie müssen um ein Verständnis für kollektive Verantwortung und die Notwendigkeit intelligenter Rahmenbedingungen ergänzt werden, die negative Externalitäten internalisieren. Ein ökologisches Grundeinkommen könnte eine solche Rahmenbedingung darstellen: Es nutzt die prinzipielle Idee der individuellen Motivation, lenkt diese aber auf ein kollektives Ziel – den Klimaschutz. Es ist ein Versuch, die "unsichtbare Hand" des Marktes so neu zu kalibrieren, dass sie nicht nur den materiellen Wohlstand, sondern auch die ökologische Nachhaltigkeit lenkt und somit die Welt tatsächlich für alle zu einem besseren Ort macht.
Angela und Jens Hanson gründeten im Jahr 2020 die Non-Profit-Organisation für nachhaltige Ökonomie SaveClimate.Earth. Ihre Arbeit beleuchtet die systemimmanenten Verflechtungen bzgl. Klimapolitik und Klimaschutzstrategien. Gemeinsam entwickelten sie das Modell der Klimawährung ECO (Earth Carbon Obligation), ein Emissionsmanagementsystem auf Bürgerebene, das renommierte Wissenschaftler wie Professor Hans-Joachim Schellnhuber, befürworten. Mit der NGO SaveClimate.Earth verfolgen sie das Ziel, ihren Lösungsansatz für eine sozio-ökologische Transformation in die öffentliche und politische Debatte einzubringen und als Alternative zu den derzeitigen klimapolitischen Instrumenten zu positionieren.
Weiterführende Hinweise:
- Angela und Jens Hanson: Exit-Strategie Klimawährung ECO. Mit persönlichen Emissionsbudgets das Klimaziel erreichen. oekom Verlag, München 2024
- Die Klimawährung ECO von A bis Z: Interview mit Angela Hanson. In: XING, 23.8.24
Kontakt: SaveClimate.Earth, Angela und Jens Hanson | www.saveclimate.earth
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