David Quirchmayr

Psssst, nicht weitersagen!

Wie viel Tourismus verträgt eine der faszinierendsten Gebirgslandschaften Europas?

Diese Geschichte erzählt von einem Gebiet, in dem sich der letzte unberührte Fluss Mitteleuropas durch malerische Schluchten schlängelt. Wo es berühmte Gletscher und Gipfel gibt, wo noch wilder Enzian blüht und wo lokale Traditionen gelebt werden: Osttirol. An der Grenze zwischen Italien und Österreich erwacht es aus dem Dornröschenschlaf und bietet Ansatzpunkte für einen neuen, sanften Tourismus.

© Ramona Waldner
Wenn man an Tirol denkt, kommen einem sofort alpine Urlaubs- und Wintersportorte wie Kitzbühel, das Zillertal oder Sankt Anton und Ischgl in den Sinn. Diese Sehnsuchtsorte in Nord- und Westtirol ziehen Jahr für Jahr unzählige Touristen an. Mit knapp 60.000 Beschäftigten und über 46 Millionen Übernachtungen ist der Tourismus dort das wichtigste wirtschaftliche Standbein in der historisch eher ländlich geprägten Bergregion. Doch der dortige Massentourismus bringt auch viele Probleme mit sich. Die meisten Reisenden kommen mit dem Bus oder PKW, was zu kilometerlangen Staus, erhöhtem Verkehrsaufkommen und einem gesteigerten CO?-Ausstoß führt. Zudem verwässert der Tourismus die lokale Kultur und verursacht durch den Bau von Hotelanlagen und Skiliften eine erhebliche Umweltbelastung durch Bodenversiegelung und einen Verlust an Biodiversität.

Osttirol eine verborgene Perle
Abseits des Mainstream-Tourismus und des „Après-Ski" liegt Osttirol. Diese Region ist eine Enklave, fast schon eine Insel, die durch einen schmalen Streifen des norditalienischen Südtirols und einen kleinen Ausläufer des Salzburger Lands von Westtirol getrennt ist. Von den insgesamt 48,5 Millionen Übernachtungen in Gesamttirol im Tourismusjahr 2022/2023 entfielen nur 1,8 Millionen auf Osttirol. Damit rückt diese Region nun wegen ihrer unvergleichlichen Vielfalt und vorbildlichen nachhaltigen Projekte immer mehr in den Fokus.

Folgerichtig ging 2023 dann auch der Tirol Touristica Award, der Tourismusstrategien für Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung auszeichnet, an ein Projekt in Osttirol. Im Rahmen des 45. Tiroler Tourismusforums wurde der Weitwanderweg Iseltrail, der vom Tourismusverband Osttirol und vielen Partnern initiiert wurde, als ein Vorzeigeprojekt des sanften Tourismus gewürdigt.

Ein Juwel von der Quelle bis zur Mündung
Die Isel ist einer der letzten großen alpinen Wildflüsse Mitteleuropas, dessen Wasser nicht für Kraftwerke genutzt wird. Ohne Blockaden, Stauwehre und Betonrinnen symbolisiert sie damit die Unberührtheit der Osttiroler Natur. Über weite Strecken zeigt sie sich in ihrer natürlichen, sich stetig verändernden Form und bietet einen vielfältigen Lebensraum für seltene Arten. Der Fluss fließt mal ruhig in seinem Kiesbett, mal stürzt er dramatisch in Schluchten und bildet tosende Stromschnellen mit meterhohen Steinblöcken. Ein Wanderweg entlang des Flusses bietet Naturbegeisterten ein beeindruckendes Erlebnis in einer grandiosen Gebirgslandschaft. Der Wanderweg führt vom arktischen Gletschertor im Nationalpark Hohe Tauern bis zur sonnigen Dolomitenstadt Lienz, wo die Isel in die Drau mündet. 2020 eröffnet, erstreckt sich der imposante Weg über etwa 75 Kilometer und ist ein wahres Schaufenster in die unberührte Natur. In fünf Tagesetappen können Wanderer nacheinander von der Mündung bis zur Quelle laufen. Auch von einer festen Unterkunft sind die jeweiligen Startpunkte kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Seit 2021 gibt es weitere Highlights für Naturliebhaber, darunter eine Hängebrücke in Prägraten am Großvenediger, Rastplätze an landschaftlich reizvollen Orten und Aussichtsplattformen bei den Virgener Katarakten.

Biodiversität ist eine Wohltat für die Seele
Abseits von Massentourismus: Osttirol ist im Sommer wie im Winter eine Reise wert. © Lisa FeuchtDie Isel hat ihren Ursprung im Nationalpark Hohe Tauern, der mit über 15.000 Tierarten und etwa 3.500 Pflanzenarten zu den bedeutendsten Schutzgebieten Europas gehört. Diese Vielfalt ist nicht nur ästhetisch überwältigend, sondern auch essenziell für die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Ökosystems und schützt die Landschaft vor Naturgefahren.

Doch wie sollte man mit dem Juwel Osttirol umgehen, damit es sich einerseits dem Tourismus öffnen und andererseits seine Ursprünglichkeit erhalten kann? Viele Einheimische schätzen das ruhige Publikum sportbegeisterter Naturliebhaber und fürchten, dass zu viel Tourismus Zustände wie in den Hochburgen Westtirols mit sich bringt. Außerdem wollen die Stammgäste ihre Oase gerne für sich behalten. Doch ist das gerechtfertigt? Sollte man nicht gerade junge Menschen für die kostbaren und vergänglichen Naturschätze und die Wunder der Biodiversität sensibilisieren? Schließlich sind gerade junge Menschen zukünftig mit den Folgen von Klimawandel und Artenverlust konfrontiert und ihr Lebensstil wird sich deshalb zukünftig den veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen. Die Lösung ist ein nachhaltiger und naturverträglicher Tourismus mit innovativen Lösungen.

Die Würdigung des Iseltrails und der gesamten Region Osttirol ist in einem Bundesland wie Tirol, das von Massentourismus und den daraus resultierenden Umweltproblemen geprägt ist, ein wichtiges Zeichen dafür, wohin der Weg führen muss. Ein Zeichen für Entschleunigung, mehr Biodiversität und einen zukunftsorientierten Tourismus, der Rücksicht auf Flora und Fauna nimmt.

David Quirchmayr ist freier Journalist. Seine Spezialthemen sind Biodiversität und Bodengesundheit. Mit Begeisterung nimmt er gerade jüngere Leser mit auf die Reise in eine nachhaltige, lebensfrohe Zukunft.

Dieser Artikel ist in forum 01/2025 ist erschienen - Pioniere der Hoffnung erschienen.

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