Christoph Quarch

Verlässlichkeit, Wohlwollen, Verletztlichkeit

Christoph Quarchs Prüfsteine für die Vertrauenswürdigkeit von Politikern

Inzwischen hat wohl auch der Letzte gemerkt, dass der Bundestagswahlkampf in die heiße Phase eingeschwenkt ist. Wie sollte es auch anders sein, wenn die Demographen recht haben und noch ein Drittel der Wählerinnen und Wähler unentschlossen sind, wem sie ihre Stimme geben sollen – oder sich fragen, ob sie am 23. Februar überhaupt zur Wahl gehen sollen. „Wem kann ich überhaupt noch trauen", fragt sich der ein oder die andere, oder: „Was tun, wenn mir keiner der Kandidaten wirklich zusagt?" Fragen wir doch mal den Philosophen.

Wer soll nach der Wahl am 23. Februar in den Berliner Reichstag einziehen? Christoph Quarch gibt Entscheidungshilfe für unentschlossene Wähler*innen. © adil-photos, pixabay.com 
Christoph Quarch, was raten Sie den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die noch unschlüssig sind, ob sie wählen gehen, oder mit allen Parteien hadern?
Es geht hier um die Frage, wie verlorenes Vertrauen in die Politik bzw. in die Parteien wiederhergestellt werden kann. Dass das nicht einfach ist, wissen wir aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir wissen aber auch, was hilft: der Blick aufs Ganze. Misstrauen macht sich oft an Details fest, was dann dazu führt, dass man das Ganze in Frage stellt – zum Beispiel an einem Nebenthema wie das Heizungsgesetz. Aber das bringt nichts. Schauen Sie lieber aufs Ganze! Geht es Ihnen heute wirklich schlechter als vor vier Jahren? Liegt dieses Land wirklich am Boden? Und dann antworten Sie bitte mit dem, was Sie täglich erleben, nicht mit dem, was Sie in Social Media lesen oder im Wahlkampf hören. Sapere aude! – Wage dich deines Verstandes zu bedienen, sagte Kant. Oft ist nicht die Realität schuld daran, dass wir das Vertrauen verlieren, sondern unser verzerrtes oder verkürztes Bild der Realität. 

Aber was entgegnen Sie denen, die sagen: „Ja, es geht mir schlechter als vor vier Jahren. Und Schuld daran ist die Politik"? Deren Realität können sie ja nicht in Zweifel ziehen.
Tue ich auch nicht. Aber ich entgegne: „Wo genau tut es weh? Was sind die konkreten Probleme, die dich wirklich betreffen? Also nicht abstrakte Themen wie Migration, die dramatisch klingen, aber deinen Alltag kaum berühren. Auch nicht das allgemeine Unbehagen, von dem man sich so leicht anstecken lässt. Nein, was ist dir bei nüchterner Betrachtung wirklich wichtig? Sind es die Mieten oder Lebensunterhaltskosten, ist es das Gesundheitssystem oder die Sorge um den Arbeitsplatz? Und dann schau dir an, was die Parteien dazu sagen – oder ob sie überhaupt etwas dazu sagen." Vertrauen wächst im Konkreten, nicht im Abstrakten. Deshalb ist es wichtig, bei den konkreten Themen zu bleiben und zu schauen, wer dazu etwas Glaubwürdiges zu sagen hat. 

Vielleicht findet man in der Sache tatsächlich Programme oder Vorschläge, denen man vertrauen kann. Aber dann ist da ja noch das Problem mit dem Personal. Was tun, wenn man die Hauptdarsteller auf der Bühne nicht vertrauenswürdig findet?
Dann sollte man sich zunächst klar machen, dass man – ob es einem schmeckt oder nicht – einen von denen bekommen wird. Es geht um das kleinste Übel. Und da eignet sich ein einfacher Test – die Frage: Wen von denen hätten Sie gern als Chef – oder als Kollege: den aalglatten Typ, der sich im Januar nicht mehr daran erinnern kann, was er im November versprochen hat? Die keifende Furie, die alles schlecht redet und jeden in die Pfanne haut? Den smarten Boy, der hinter Ihrem Rücken intrigiert und Ihnen dann die Schuld gibt? Oder eher den stillen Unnahmbaren, bei dem man nicht weiß, wo man dran ist, der einen aber leben lässt; oder doch der hemdsärmelige Softie am Küchentisch? Ich habe meine Entscheidung getroffen.

Aber das alles ist doch höchst subjektiv. Gibt es denn keine objektiven Standards, nach denen sich Vertrauenswürdigkeit feststellen ließe?
Klar ist das subjektiv, aber das kann auch gar nicht anders sein. Auch die Standards, nach denen Sie fragen, unterliegen unserer subjektiven Wahrnehmung. Trotzdem sind sie hilfreich. Für mich gibt es drei Kriterien, an denen ich Vertrauenswürdigkeit bemesse: Erstens: Verlässlichkeit. Kann ich mich auf jemanden verlassen? Hält er Wort? Zweitens: Wohlwollen. Wie begegnet er seinen Gegnern? Zieht er über sie her? Zeigt er den Willen zur Kooperation? Lässt er andere leben? Drittens: Verletzlichkeit. Lässt jemand andere an sich rankommen? Steht er zu seinen Schwächen? Gesteht er Fehler ein? Oder lässt er alles an sich abprallen und schiebt die Schuld auf die anderen? Es gibt Politiker, bei denen ich alle drei Qualitäten finde. Wenige, aber es gibt sie. An sie sollte sich halten, wer das Vertrauen in die Politik zu verlieren droht.
 
Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
 
 
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org

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