Trends im Betrieblichen Gesundheitsmanagement
Durch Andocken des BGM an das Nachhaltigkeitsmanagement können Synergien genutzt werden
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist eine Querschnittsaufgabe; seine Chancen werden aber oft nicht hinreichend erkannt. Eine neue Entwicklung ist, das BGM an das Nachhaltigkeitsmanagement anzudocken und so Synergien zu nutzen. Über diesen (Um-)Weg kann das BGM den Stellenwert bekommen, den es verdient.

Wäre ich vor 15 oder 20 Jahren gefragt worden, wie sich das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) in Deutschland entwickeln wird, wäre meine Prognose deutlich optimistischer ausgefallen als das, was ich in meinem Berufsalltag heute erlebe.
In mittelständischen Unternehmen und im öffentlichen Dienst sind es oft einzelne interessierte Personen, die die Bedeutung des BGM erkennen und sich fortbilden. Sie wollen lernen, passende Strukturen und Prozesse zu implementieren, eine personengruppenspezifische Bedarfsanalyse durchzuführen, zielgerichtete Maßnahmen umzusetzen und den Erfolg zu messen. In anderen Unternehmen ist man schon zufrieden, wenn kostenloses Obst und eine Rückenschule angeboten werden. Beide Haltungen sind weit davon entfernt, BGM als Querschnittsaufgabe zu sehen und die Chancen zu erkennen.
In den großen Unternehmen sieht das natürlich anders aus. Vor allem die Konzerne haben ein BGM implementiert, das seinen Namen verdient. Auch im Mittelstand treffe ich immer häufiger Unternehmen, die den Unterschied zwischen BGM und BGF (Betriebliche Gesundheitsförderung) kennen und auch den Arbeitsschutz und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) unter das Dach des BGM fassen.
Fünf große Trends sind im BGM gegenwärtig zu beobachten.
Künstliche Intelligenz
Aktuell scheint auch im BGM künstliche Intelligenz der wichtigste Trend zu sein. Durch KI können große Mengen personenbezogener Daten analysiert und zum Beispiel für die Planung von individuellen Trainings- und Ernährungsplänen genutzt werden.
Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Verbesserung der Ergonomie am Arbeitsplatz. Mit Kameras und Sensoren können Schwachstellen wie Fehlhaltungen oder repetitive Bewegungen identifiziert werden, um den Arbeitsplatz zu optimieren oder den Beschäftigten individuelle Verhaltensempfehlungen zu geben.
Bei allen Chancen gibt es natürlich auch einige Herausforderungen:
- Datenqualität – KI kann nur so gut sein, wie die Daten, auf denen sie basiert.
- Datenschutz – immerhin geht es teilweise um persönliche Gesundheitsdaten.
- Akzeptanz durch die Beschäftigten – und keine Angst vor einem Wegfall des Arbeitsplatzes.
"Aktuell scheint auch im BGM künstliche Intelligenz der wichtigste Trend zu sein. Durch KI können große Mengen personenbezogener Daten analysiert und zum Beispiel für die Planung von individuellen Trainings- und Ernährungsplänen genutzt werden."
Psychische Gesundheit
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen sind in den letzten 10 Jahren um knapp 5 Prozent gestiegen. Damit steigt auch der Druck auf die Unternehmen gegenzusteuern. Umso erstaunlicher ist es, dass die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, die seit 2013 für alle Unternehmen Pflicht ist, nicht überall als Teil der Lösung gesehen wird. Viele Unternehmen versuchen sich offenbar so lange wie möglich um diese Gefährdungsbeurteilung zu drücken – und die, die aufwändige Umfragen durchgeführt haben, lassen oft genug die Ergebnisse liegen, statt Maßnahmen abzuleiten. Alternativ wird ein willkürlich ausgewählter Strauß an Aktionen angeboten, der selten dem Bedarf der Betroffenen entspricht, was die niedrigen Teilnahmequoten bestätigen.
Um dennoch etwas gegen steigende Fehlzeiten durch psychische Belastungen zu tun, wird eine Ausbildung von „psychischen Ersthelfenden" neuerdings immer beliebter. Interessierte Beschäftigte lernen in ein- bis zweitägigen Kursen, psychische Auffälligkeiten oder Notlagen anhand definierter Fragestellungen und klarer Kriterien zu erkennen sowie die betroffenen Kolleg:innen zu ermutigen, frühzeitig professionelle Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.
Work-Life-Integration und Digitalisierung
Eine weitere Möglichkeit, die psychischen Belastungen in den Griff zu bekommen und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu erhöhen, ist die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort und damit eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Entsprechend liegen Maßnahmen wie Homeoffice, Jobsharing (zwei oder mehr Beschäftigte teilen sich eine Vollzeitstelle) und Workation (Verbindung von Arbeit und Reisen) im Trend. Wichtig ist, dass nicht nur Mitarbeitende, die hybrid arbeiten können, angesprochen werden, sondern dass zukünftig auch Lösungen für gewerblich Beschäftigte entwickelt werden. Hier tun sich die Unternehmen aktuell noch sehr schwer.
Auch wenn der Ruf der Mitarbeitenden nach persönlichen Begegnungen und gemeinsamen Aktivitäten vor Ort wieder lauter wird, sind BGF-Online-Formate oder Hybridveranstaltungen nicht mehr wegzudenken. Der Trend geht weg von allgemeinen Gesundheitsthemen hin zu individualisierten Angeboten. Unternehmensinterne Gesundheits-Apps werden in vielen Fällen kaum genutzt. Offenbar vertraut man seine persönlichen Gesundheitsdaten lieber einer privaten App an.

Suchtprävention
Suchtbeauftragte in Unternehmen gibt es schon lange; neu sind aber die Themen: Während jahrzehntelang Alkoholmissbrauch im Vordergrund stand, sind es zunehmend häufiger auch andere Suchtarten, die die Zahl der Krankheitstage (und die Fehlquote) beeinflussen. Bei den substanzgebundenen Suchtarten steigt vor allem der Medikamentenmissbrauch, aber auch Cannabis kommt aufgrund der Legalisierung neu in den Blick. Bei den stoffungebundenen Suchtarten ist neben der weiterhin verbreiteten Glücksspielsucht die Mediensucht (Social Media und Gaming) im Kommen. Es reicht nicht mehr aus, entsprechende Beauftragte zu etablieren. Wichtig ist, dass alle Führungskräfte sensibilisiert werden und ihre Mitarbeitenden frühzeitig und kompetent ansprechen und unterstützen.
Nachhaltigkeit
Dass ein BGM die Gesundheit der Mitarbeitenden nachhaltig – im Sinne von langfristig – verbessert, ist selbsterklärend:
- Der Arbeitsschutz beugt Unfällen vor und kümmert sich proaktiv um Sicherheit und Gesundheit.
- Das BEM unterstützt Mitarbeitende, die länger oder öfter krank waren.
- Die betriebliche Gesundheitsförderung sorgt für eine gesundheitszuträgliche Arbeitsgestaltung und motiviert zu einem gesundheitsförderlichen Arbeits- und Lebensstil.
- Eine Sozialberatung sowie „Gesund Führen" und „Achtsam Führen" (Mindful Leadership) ergänzen das Angebot (im besten Fall).
Eine neue Entwicklung ist, das BGM an den Dreiklang der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Ökologie und Soziales) anzudocken und von dessen Stellenwert und Dynamik zu profitieren. Da liegt es nahe, dass das BGM die Nachhaltigkeitsziele unterstützt und über diesen Weg zusätzlich an Akzeptanz gewinnt.
Beispiele für eine nachhaltige Ausrichtung von BGM-Events und Maßnahmen:
- virtuelle oder hybride Gesundheitsangebote und Treffen der Gesundheitsakteuer:innen als Ergänzung zu Angeboten vor Ort
- gute Erreichbarkeit von BGM-Veranstaltungen (per ÖPNV oder zu Fuß), Organisation von Mitfahrgelegenheiten
- Job-Rad, gesicherte Abstellmöglichkeit von E-Bikes und Fahrrädern
- QR-Code statt gedruckter Flyer oder Einladungen, Online-Umfragen statt Paper-pencil-Fragebögen
- Verzicht auf Give-aways bei Gesundheitsveranstaltungen
- energieeffiziente Stromverbraucher (z.B. Musikanlage für Sportkurse)
- nachhaltige Ausrichtung der Kantine (Bio-Lebensmittel, Produkte aus fairem Handel; attraktive vegetarische und vegane Gerichte; Reduzierung hochverarbeiteter Lebensmittel; regionale und saisonale Angebote; Verzicht auf Verpackungen; Food-sharing, Verteilung übriggebliebener Speisen)
Mit diesen (überwiegend nicht neuen) Themen kann sich das BGM im Kontext der Nachhaltigkeit neu positionieren und Teil der Nachhaltigkeitsstrategie werden. Auch von der neuen Ausrichtung der Nachhaltigkeitsberichtserstattung kann das BGM profierten: Wenn zukünftig auch eine fundierte Gesundheitsberichtserstattung inkl. Kennzahlen veröffentlicht wird, werden sich Gesundheits- und Nachhaltigkeitsakteure stärker vernetzen und Synergien nutzen können. Über diesen (Um-)weg kann das BGM dann den Stellenwert bekommen, den es verdient.
Mareke Wieben leitete 11 Jahre in der Zentrale von IKEA Deutschland den Bereich Umwelt und Produktqualität. 2011 qualifizierte sie sich zur Betrieblichen Gesundheitsmanagerin und unterstützt seitdem u.a. als Fachdozentin der TÜV Süd Akademie Unternehmen im BGM, im betrieblichen Eingliederungsmanagement und bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung.
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Wirtschaft | Führung & Personal, 30.08.2024
Dieser Artikel ist in forum 04/2024 ist erschienen - Der Zauber des Wandels erschienen.

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