Christoph Quarch

Hat der grüne Landwirtschaftsminister einen ökologischen Sündenfall begangen?

Christoph Quarch schlägt einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft vor

Wegen der drohenden globalen Ernährungskrise will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir mehr Flächen als vorgesehen für den Getreideanbau freigeben. Dafür sollen die ab nächstem Jahr gültigen EU-Neuregelungen zu Flächenstilllegung und Fruchtwechsel einmalig ausgesetzt werden. Um Böden und Arten zu schützen, hatte die Europäische Kommission vorgeschrieben, mehr Flächen stillzulegen und verboten, zwei Jahre in Folge die gleichen Pflanzen anzubauen. Mit seinem Vorstoß hat Özdemir den Zorn der Naturschutzverbände und Umweltschützer auf sich gezogen. Der Vorwurf: Die ohnehin zu geringen Flächen zum Schutz der Artenvielfalt würden wirtschaftlichen Interessen geopfert. Ist der Vorwurf berechtigt? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Freiwillige Maßnahmen werden in der Regel nur umgesetzt, wenn der Landwirt damit mehr Geld verdienen kann als mit den Nahrungsmitteln, die er statt Blühstreifen oder Brache angebaut hätte. © Didgeman, pixabay.com Herr Quarch, hat der grüne Landwirtschaftsminister einen ökologischen Sündenfall begangen?
Klar ist, dass Özdemir in einem Dilemma steckt: Der Ukraine-Krieg führt zu bedenklichen Engpässen der globalen Lebensmittelversorgung. Darauf muss die Politik reagieren. Andererseits brauchen wir mehr Arten- und Naturschutz – Stichwort Insekten –, um die Lebensmittelversorgung in unseren Breiten nachhaltig sicherzustellen. Die Frage lautet schlicht: Was ist hier und jetzt wichtiger: Nahrungsmittelproduktion oder Naturschutz? Ich denke, Özdemir tut das Richtige, wenn er dafür votiert, die EU-Verordnungen auszusetzen. Angesichts des drohenden Welthungers wäre es einigermaßen pervers, in Zentraleuropa landwirtschaftliche nutzbare Flächen stillzulegen. 

Dem Bauernverband reicht das nicht. Ginge es nach den Landwirten, sollte die Ausweitung der Bebauung nicht auf ein Jahr reduziert, sondern dauerhaft möglich gemacht werden. Außerdem komme Özdemirs Vorstoß zu spät, weil die Bauern ihre Anbauplanung für das nächste Jahr schon abgeschlossen hätten.
Das klingt in meinen Ohren nach dem üblichen Lobbyisten-Geheule und der in Deutschland leider weit verbreiteten Unfähigkeit, einen unter schwierigen Bedingungen gefundenen Kompromiss einfach einmal zu loben. Klar, Özdemirs Initiative kommt spät, aber sie kommt nicht zu spät. Ein bisschen Umdisponieren ist auch Landwirten zuzumuten. Auch klar: Die Agrarlobbisten wollen mehr, weil sie vor lauter Forderungen das Denken eingestellt haben. Man könnte das Ganze doch auch so sehen: Es gibt einen konkreten Wertekonflikt: Artenschutz versus Versorgungssicherheit. Die Politik muss sich entscheiden. Ob sie will oder nicht. Es geht dabei nicht um ideologische oder religiöse Bekenntnisse zu dem einen oder den anderen Wert. Es geht nicht um Wahrheit, sondern um eine pragmatisch vernünftige Lösung. 

Das müssen Sie aber auch den Umweltschützern ins Stammbuch schreiben. Greenpeace wirft Özdemir vor, mit dem Verweis auf die globale Getreideknappheit den Artenschutz ökonomischen Interessen zu opfern.
Auch solche Unterstellungen verraten eine Lobby-Denke, die nicht weiterhilft. Ich bin ein großer Fan von Artenschutz. Aber wenn die Welt hungert, müssen die Prioritäten neu justiert werden. Davon abgesehen finde ich es grundsätzlich schwierig, nutzbare Flächen stillzulegen und Landwirte mit Prämien zu belohnen, wenn sie das tun. Viel sinnvoller fände ich es, dieses Geld dafür zu investieren, den ökologisch-biologischen Anbau auszuweiten, so dass auf mehr Flächen nachhaltiger produziert werden kann; auch wenn die Erträge nicht so hoch ausfallen wie beim konventionellen Landbau. Von Umweltschützern würde ich erwarten, dass sie die Situation für solche konstruktive Vorschläge nutzen.

Was wäre Ihr konstruktiver Vorschlag?
Ich glaube, wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechseln in der Landwirtschaft. Meiner Ansicht nach führt kein Weg vorbei an einer klaren Prioritätenverschiebung zu mehr ökologisch-biologischer Produktion. Ökologisch nachhaltiger Landbau ist nicht nur für Mensch und Natur gesünder, sondern in Zeiten des Klimawandels auch resilienter. Wir müssen wegkommen von der Idee, Landwirtschaft müsse nach dem Paradigma der Industrie organisiert werden. Nicht der maximale Ertrag kann das Maß aller Dinge sein, sondern die höchste Qualität bei gleichzeitigem Maximum an naturgemäßen Produktionswegen. Dahin ist es noch ein weiter Weg, von dem wir uns durch die jetzige Krise nicht abbringen lassen dürfen. Vielmehr sollten wir sie nutzen, um endlich das Richtige zu tun.  
 
Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch








Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 

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