Hydrogen Dialogue 2024

„Echter Wandel ist eine Teamleistung!“

Tatjana Klaus-Nowak, Nachhaltigkeitsmanagerin der AVS, im Interview über die Nachhaltigkeitstransformation bei der AVS Verkehrssicherung GmbH

Innerhalb eines Jahres hat AVS ein strategisches Nachhaltigkeitsmanagement aufgebaut, schon im Herbst soll der erste Sustainability Report veröffentlicht werden. Möglich wurde das durch das engagierte Intrapreneurship des Teams. Mit der Führung der Nachhaltigkeitsmanagerin Tatjana Klaus-Nowak kamen alle Stakeholder-Gruppen des Unternehmens ins Boot, entwickelten ein ambitioniertes Zielbild und eine tragfähige Strategie. Im Interview mit der Nachhaltigkeitsexpertin Tina Teucher spricht AVS-Managerin Tatjana Klaus-Nowak über ihr Vorgehen, Herausforderungen auf dem Weg und die Unterstützung durch das gesamte AVS-Team.

Frau Klaus-Nowak, im Juli 2021 sind Sie als neue, erste Nachhaltigkeitsmanagerin der AVS angetreten. Eine Mammut-Aufgabe in einem heterogenen großen Unternehmen! Wo haben Sie angefangen?
Tatjana Klaus-Nowak © Claudia FahlbuschDie ersten Wochen lag mein Fokus auf: Zuhören! Ich wollte mir einen Überblick verschaffen, Menschen kennenlernen, Schnittstellen erkennen und das Kerngeschäft durchdringen, um die richtigen Stellschrauben für Nachhaltigkeit zu entdecken. Wichtig war, eine Sensibilisierung im Management für die Chancen zu schaffen: Für AVS ist Nachhaltigkeit ein Zukunftsthema. Als Verkehrsabsicherer haben wir einige „Baustellen", unsere nachhaltige Entwicklung ist eine davon. Unser Kerngeschäft ist die Sicherheit der Menschen in Straßenbaustellen. Nachhaltigkeitskriterien werden in der öffentlichen Beschaffung immer wichtiger und regulatorische Anforderungen verstärken sich. Für viele Stakeholder spielt die „Enkeltauglichkeit" eine wesentliche Rolle: der Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, in den Spiegel schauen zu können mit dem Wissen, Teil oder Partner eines „guten" Unternehmens zu sein. Zudem möchten wir als attraktiver Arbeitgeber motivierte Mitarbeiter*innen anziehen und langfristig binden.
 
„Je mehr wir uns mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, desto mehr Erkenntnisse erlangen wir."

© AVSUm den bevorstehenden Prozess zu verbildlichen, habe ich eine „Nachhaltigkeitsautobahn" modelliert: In dieser Skizze stellen verschiedene Autos und Leitplanken dar, was wir vorhaben: den Aufbau einer Nachhaltigkeitsstrategie, Netzwerkaufbau und -ausbau und Vorbereitung eines Nachhaltigkeitsberichts.  
 
Welchen Mehrwert hat es aus heutiger Sicht gebracht, sich mit dem Thema zu beschäftigen? 
Ein ganzheitlicher Blick schafft Bewusstsein, welche Bereiche in der Wertschöpfungskette eine Nachhaltigkeitsrelevanz haben. Was braucht es, damit wir auch zukünftig erfolgreich sind? Je mehr wir uns mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, desto mehr Erkenntnisse erlangen wir. Was vorher nur eine Vermutung war, haben wir durch die Analysen schwarz auf weiß bestätigt bekommen, wie etwa die Relevanz unseres Fuhrparks, aber auch Emissionsquellen. Damit wird das Thema steuerungsrelevant: Zum Beispiel führen die Einsichten aus Scope 3 der Klimabilanz dazu, dass wir die Bereiche Abfall und Rohstoffeinkauf priorisiert angehen.
 
Viele Kolleg*innen wollen proaktiv Verantwortung übernehmen.

Das schafft ein grundsätzliches Innovations- und Aufbruchsdenken. Viele Kolleg*innen haben „voll Bock darauf", sie freuen sich, einbezogen und gehört zu werden und sprechen regelmäßig ihr Lob und ihren Stolz aus. Viele Abteilungen denken jetzt vielschichtiger und übertragen Nachhaltigkeit auf ihre Bereiche. Sie engagieren sich, wollen proaktiv Verantwortung übernehmen und am Nachhaltigkeitsprozess teilnehmen, ihr Wissen einbringen, Daten liefern und Wertschöpfungsketten beleuchten. Es gibt echte Co-Creation verschiedener Mitarbeiter*innen im Bereich unserer nachhaltigen Geschäftsentwicklungen, z.B. bei der Ermittlung eines CO2-Fußabdrucks für unsere Services oder beim Best Practice Austausch mit den internationalen Schwestergesellschaften. Auf unsere Nachhaltigkeitsinitiative „Stellenanzeige pflanzt Baum" in Kooperation mit Yourfirm und dem PRIMAKLIMA e.V. haben wir Rückmeldungen unserer Mitarbeiter erhalten wie „Super Sache für eine bessere Zukunft" und „Weiter so!". Über unsere Mitarbeiter*innen App myAVS kommen nun spannende Vorschläge, beispielsweise für „Solarpanels auf unseren mobilen Verkehrssicherungsausstattungen". Solche Anregungen werden intern bewertet und diskutiert. 

Welche nachhaltigen Ziele setzen Sie sich mit AVS?
Aus der Stakeholder-Analyse und unseren wesentlichen Themen ergeben sich Ziele in 4 strategischen Handlungsfeldern: Werte & Kultur, Produkte & Dienstleistungen, Klima und Transparenz & Stakeholder-Dialog. Wir haben explizit den Wunsch formuliert, eine wertebasierte Kultur zu erschaffen. Das kann nur gemeinsam und partizipativ funktionieren. Ein fairer und guter Umgang mit unseren Mitarbeiter*innen ist uns wichtig, denn unser Servicegeschäft lebt von ihnen. Mit ihnen entwickeln wir intelligente Produkte und Dienstleistungen, die unter optimalem Ressourceneinsatz – mit dem Ziel der Kreislaufwirtschaft – unser Kerngeschäft stärken: die Sicherheit auf Baustellen deutlich erhöhen. Konkret wollen wir zur Erreichung der EU-Ziele für die Straßenverkehrssicherheit beitragen: 50 % weniger Verkehrstote und Schwerverletzte bis 2030 und null Verkehrstote bis 2050 – die Vision Zero. Unseren strategischen Einkauf richten wir konsequent auf soziale und ökologische Bedingungen in der Lieferkette aus. 

Für echten Klimaschutz wollen wir einen messbaren und überprüfbaren Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft leisten. Dazu treten wir der Science Based Targets Initiative (SBTi) bei, um unsere Emissionen gemäß dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu reduzieren.

All diese Zukunftsthemen möchten wir als AVS partnerschaftlich im Dialog mit unseren Mitarbeiter*innen und zentralen Stakeholdern gestalten. Einerseits nutzen wir unsere Social-Media-Kanäle, um über Nachhaltigkeit zu berichten und Feedback einzuholen. Vor allem aber möchten wir Gespräche mit unseren Stakeholdern und regelmäßig Roundtables abhalten, uns aktiv einbringen. Dazu gehört, dass wir Ziele und Leistungen transparent machen – auch über regulatorische Anforderungen hinaus. Deshalb bereiten wir uns gerade auf einen Bericht nach DNK – dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex – vor, der Ende 2022 veröffentlicht wird. 

Welche konkreten Maßnahmen konnten Sie schon umsetzen?
Individuelle Stakeholder-Dialoge ergaben ganz unterschiedliche Blickwinkel auf unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten. Sie halfen uns bei der Wesentlichkeitsanalyse. Wir haben die Arbeit in unserem Sustainability Council neu fokussiert: Darin arbeiten die Leitungen der Bereiche Einkauf, Kommunikation, Personal und Compliance gemeinsam mit der Geschäftsführung und mir an einem Nachhaltigkeitsprogramm mit strategischen Zielen bis 2025. Dieses Gremium steuert auch die AVS-Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Ein unternehmensweites Nachhaltigkeits-Controlling auf einer Datenplattform hilft uns, wesentliche KPIs zu messen. Zusätzlich fördert nun ein internes Netzwerk aus Nachhaltigkeitsbotschaftern den Kulturwandel – sie tauschen sich monatlich aus und erarbeiten zweimal jährlich Ideen und Projekte in Workshops. 

AVS-Baustelle © AVSDamit wir unsere Klimaziele erreichen, haben wir zunächst eine Klimabilanzierung nach dem Green House Gas Protocol erarbeitet und eine Klimastrategie entwickelt. Um konkret Treibhausgase zu reduzieren, stellen wir gerade die Energieversorgung auf Ökostrom um.

Den Monat Mai 2022 haben wir ins Zeichen der Vielfalt gesetzt: mit umfangreicher Kommunikation, Aktionen und Sensibilisierungen zu den Themen Diversity, Equality, Inklusion, aber auch Biodiversität. Zum Beispiel haben wir eine Weltkarte mit den Nationalitäten der AVS-Teams erstellt, unsere Mitarbeiter*innen gefragt „Was bedeutet für Dich Vielfalt" und die Mitarbeitenden erhielten Tütchen mit heimischen Samen, um Insektenparadiese schaffen zu können, was sehr gut ankam.

Wertschätzung in der Kommunikation hilft dabei, das WARUM zu verstehen und durchzuhalten.

Welche schwierigen Phasen haben Sie bisher bei der Umsetzung des Themas erlebt? Und wie haben Sie diese gelöst?
Das Tempo, das wir beim Nachhaltigkeitsmanagement vorgelegt haben, war teils ziemlich herausfordernd: Das Team hatte nur einen sehr kurzen Zeitraum, um sich mit dem Datenmanagementsystem vertraut zu machen und die vielen Daten in bisher unbekannter Detailtiefe bereitzustellen. Geholfen hat aber die Kommunikation darüber: Ich habe deutlich gemacht, warum wir die Informationen von allen Abteilungen brauchen und wie uns das nach vorn bringt. Wenn wir z.B. nicht wissen, wie viel Benzin wir jeden Monat tanken und verbrennen, dann haben wir keinen Überblick darüber und können den Verbrauch nicht reduzieren. Was wir messen, können wir auch managen. Daran hängen der Erfolg und die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens. Wertschätzung in der prozessbegleitenden Kommunikation hilft dabei, das WARUM zu verstehen und durchzuhalten. Es ist einfach großartig, dass AVS in allen Unternehmensbereichen eine Belegschaft hat, die sich kompetent und engagiert mit Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit beschäftigt – nach dem Motto „Alle für den Dackel, alle für den Club"! Das verdanken wir auch unseren mittelständischen Wurzeln – die Leute fühlen sich verantwortlich!

Wichtig ist auch der sensible Umgang mit Ängsten – Stichwort Change Management! Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit erfordert von uns, unsere Verhaltensweisen zu verändern. Da ist es normal, dass es zunächst zu Ablehnung kommt und Schockmomente auftreten. Daraus kann aber etwas Fruchtbares entstehen, wenn für die Sorgen Verständnis aufgebracht wird und die Veränderungen auch Sinn ergeben. Es hilft ungemein, verschiedene Sprachen für verschiedene Zielgruppen zu wählen.

Welche Aus- und Weiterbildungen haben Sie als Nachhaltigkeitsmanagerin besonders befähigt?
Mein Jurastudium legt die Basis für regulatorische Anforderungen und alle Fragen rund um Nachhaltigkeitsrecht. Es ist hilfreich, um Dinge aus Risikogesichtspunkten zu bewerten, aber auch die Chancen zu sehen, die wir daraus ziehen können. Wo sollten wir schon im Vorfeld präventiv handeln? Z.B. im Bereich Lieferkettensorgfaltspflicht bereiten wir uns bereits jetzt proaktiv vor.

Die Weiterbildung zum CSR Manager am Umweltinstitut Offenbach war sehr wertvoll. Auch das Programm „Sustainable Leadership" der DIHK bot hilfreiche Inhalte: Mit Fachmodulen zu Nachhaltigkeitscontrolling und Berichterstattung, Nachhaltige Lieferketten und Umweltmanagement. Dort habe ich zusätzliche Leaderships-Skills erworben und die Mitlernenden bilden ein hilfreiches Netzwerk.

Ein Training über den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt bei der Geneva Academy ist für mich elementar im Kontext der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Menschenrechten. Im „Sustainable Mentor" Programm der DIHK habe ich Transformationstools erlernt, die es braucht, um erfolgreich Change-Management in Richtung Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Das kann ich in vielen Gesprächen aktiv anwenden und hilft mir definitiv auch im Zusammenhang mit dem Netzwerk der Nachhaltigkeitsbotschafter*in, um den Kolleg*innen Methoden an die Hand zu geben und sie selbst zu befähigen.

Wer hat Sie in diesem Prozess der Transformation unterstützt und wie?
Allen voran half mir die anpackende Mentalität der Kolleg*innen. Ich bin hier nicht die Nachhaltigkeitsexpertin, die alles allein machen muss. Nachhaltigkeit ist nicht einfach eine Zusatzaufgabe, die der Einzelne nicht bewältigen kann, sondern eine gemeinsame Herausforderung, in der jeder seine Expertise einbringen kann. Echter Wandel ist eine Teamleistung!

Besonders hervorheben möchte ich die Unterstützung durch meine Kollegin Josefine Conscience (Head of HR & Processes, Executive Office). Sie hat vor meiner Einstellung den Bereich ESG als Add-on zu ihrem Job betreut und den Aufbau der Governance-Struktur wesentlich getrieben. Sie ist für mich eine wertvolle Sparringspartnerin.

Der Verband B.A.U.M. unterstützte uns als hilfreiches Netzwerk, u.a. mit DNK-Veranstaltungen. Das war eine wirklich gute Prozessbegleitung mit wertvollen Erkenntnissen. B.A.U.M. Consult erarbeitete mit uns die Klimabilanz und -strategie.

Besonders in meinen ersten 100 Tagen bei AVS profitiere ich sehr von der Peer School for Sustainable Development e.V. Viele gute Ideen konnte ich aus ihrem Leitfaden „Die ersten 100 Tage als Nachhaltigkeitsmanager*in" übertragen. Eine Empfehlung, die ich direkt umgesetzt habe, war die Vereinbarung einer groben AVS Roadmap für 2021/2022. Die Peer School ist ein disruptiver Lernraum für Nachhaltigkeitsverantwortliche. Zum Beispiel habe ich von einer Peer gelernt, wie sie in ihrem Unternehmen eine CSR Botschafterstruktur aufgebaut hat, wie oft sich das Netzwerk trifft und dass sie in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe konkrete Nachhaltigkeitsmaßnahmen ausarbeiten. Ich fand das extrem inspirierend. Mit absoluter Rückendeckung unserer Geschäftsführung habe ich deshalb auch für AVS eine Nachhaltigkeits-Botschafter*innen Struktur entwickelt. 
Bei diesem Aufbau begleiteten uns die Sustainable Natives, ebenso wie bei den Stakeholder Interviews und unserem Strategieprozess.

„Mein" Mitarbeiter arbeitet sehr versiert und engagiert mit mir an den zentralen Themen. Meine Nachhaltigkeitskolleg*innen der internationalen Schwester-Gesellschaften in Belgien, Schweden und U.K. erweitern mein Blickfeld, denn jeder hat einen anderen Fokus und andere Stärken. Es gibt viel Gutes, worauf sich aufbauen lässt, z.B. haben wir eine Art „Tool-Box", in der wir bestimmte Policies in den einzelnen Gesellschaften sammeln, sodass die anderen Gesellschaften sich auch daran orientieren können. 

Es hilft einfach ungemein, sich mit anderen Personen auszutauschen. Wissen aufbauen und Wissen teilen ist sehr wichtig. Nachhaltigkeit lebt von Partnerschaften, durch sie kann eine viel größere Wirkung erzeugt werden. 
 
Kontakt: AVS Verkehrssicherung GmbH, Tatjana Klaus-Nowak | tatjana.klaus-nowak@avs-verkehrssicherung.de | www.avs-verkehrssicherung.de

Wirtschaft | Branchen & Verbände, 19.07.2022

     
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