Eine Frage des Willens

Die Kakaoindustrie zerstört sich selbst und macht einfach weiter. Alfred Ritter im forum-Interview

Kann eine Firma die Verantwortung für ihre gesamte Lieferkette übernehmen? Diese Frage, die immer noch höchst umstritten ist, beantwortet Alfred Ritter von Ritter Sport mit seinem schwäbischen Pragmatismus im forum-Interview mit Stefanie Hauer. Ritter revolutioniert die traditionelle Lieferkette für Kakao und schützt damit Klima, Biodiversität und Menschenrechte.
 
Herr Ritter, stimmt es, dass Ökologie und Ökonomie nicht zusammenpassen?
Alfred Ritter ist Vorsitzender des Beirates der Ritter Sport GmbH & Co. KG und der Enkel des Gründerpaares. Sein VWL-Studium brach er ab, weil 'die Menschen da so viel Mist erzählten' und absolvierte daraufhin ein Psychologiestudium, um zu verstehen, 'warum die Menschen so viel Mist erzählen'. Der Schokoladenfabrikant ist seit dem Tschernobyl-GAU auch als Unternehmer für klimafreundliche Wärmetechnologie aktiv und hat bereits im Jahr 1993 das erste deutsche Elektroauto auf den Markt gebracht. © Ritter SportJa, wenn man es kurzfristig betrachtet. Es ist mehr Ertrag möglich, wenn man die langfristigen Folgen alle außer Acht lässt. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Sie sparen Arbeit in der Küche, wenn Sie nach dem Kochen nicht das Geschirr spülen. Es geht eine Weile gut, aber irgendwann ist Schluss, dann geht gar nichts mehr. Langfristig betrachtet, ist natürlich eine ökologisch orientierte Wirtschaft viel, viel kostengünstiger, denn es wird uns nicht gelingen, gegen diese Welt anzugehen. Und deshalb kann jede Wirtschaft nur in Zusammenarbeit mit der Ökologie funktionieren. Alles andere muss untergehen.

Ein Versuch, Ökologie und Ökonomie zusammenzubringen, ist ja das neue Lieferkettengesetz. Es erntete Gegenwehr, weil viele Wirtschaftsvertreter meinten, Unternehmen könnten für ihre Zulieferer nicht geradestehen. Deutschland ist in vielen Bereichen auf Vorprodukte und Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen. Wenn ich nun denke, mir ist egal, wie es den Menschen geht, die für mich arbeiten, ist das eine Haltung, die moralisch verwerflich ist. Außerdem ist es wirtschaftlich nicht sonderlich schlau, seine Lieferanten in einer Weise auszubeuten, dass sie zu keiner vernünftigen Arbeit mehr in der Lage sind. Dann hat ein Unternehmen bald selbst Qualitätsprobleme. Ich sage immer: „Mit Sklavenarbeit macht man keine gute Schokolade."

Was machen Sie denn anders als Ihre Konkurrenz?
Wir habe schon vor 30 Jahren eine Beziehung zu Nicaragua geknüpft. Nach dem Krieg lag Nicaragua am Boden, der Kakao war auch eher minderwertig. Der Anfang dort war schwer für uns in diesem fremden Land. Aber dann halfen wir, die ersten Kooperativen zu gründen und schulten die Bauern. Und eines Tages machten wir Werbung im Radio und boten einen überdurchschnittlich hohen Preis an für Kakao, der aber geknüpft war an einen hohen Qualitätsanspruch.

Und, wurde der Kakao besser?
Heute arbeiten wir mit 3.500 Bauernfamilien (dahinter stehen mutmaßlich 13.000 Personen) zusammen. Wir haben sie geschult und konnten so dazu beitragen, dass Nicaragua inzwischen ein sogenanntes Edelkakao-Land ist. Darauf sind wir auch ein bisschen stolz. Und wenn Sie durch die Dörfer gehen, sehen Sie mehr Wohlstand. Es geht den Menschen besser, weil sie durch die Qualifizierung mehr verdienen.
 
Zudem haben Sie vor über zehn Jahren in Nicaragua eine eigene Plantage gegründet. Sie ist das größte zusammenhängende Kakaoanbaugebiet der Welt und ein Lehrstück dafür, wie eine Firma die eigene Lieferkette neu erfindet. Sie überspringen die Ebenen der Händler und sorgen selbst für den Rohstoff, von dem Sie so abhängig sind. Wie können wir uns die Plantage vorstellen?
Es war uns wichtig, die Probleme der Monokultur zu vermeiden. Wir haben einen Mischwald mit hohem Kakaoanteil. Der sorgt für Schatten und Feuchtigkeit und hilft uns gegen Schädlinge. Wir haben über die Jahre 1,5 Millionen Bäume gepflanzt, und allmählich steigt der Kakao-Ertrag. Das Ökosystem floriert, denn wir bewahren die Hälfte des Gebietes als Urwald. Insofern sind wir jetzt auch Urwaldbesitzer mit allem, was dazugehört: Brüllaffen, große Spinnen, Schlangen, Krokodile, Faultiere wie Don Schoko, zwischenzeitlich Social Media-„Star". Und die Biodiversität weitet sich aus.

Das finde ich wunderbar. Wie fühlen Sie sich als Urwaldbesitzer?
Wenn ich da durchlaufe, geht mir das Herz auf. Doch mindestens genauso wichtig sind mir die Menschen. Unseren Mitarbeitern vor Ort zahlen wir mehr als den Mindestlohn und investieren auch in ihre Ausbildung und Weiterentwicklung.

Von den Menschen zum Klima: Durch diese Aufforstung in Nicaragua erschaffen Sie innerhalb Ihrer Lieferkette eigene CO2-Senken, die den Fußabdruck Ihrer Firma reduzieren. Wie sehr hilft Ihnen das auf dem Weg zur Klimaneutralität von Ritter Sport?
Unsere Produktion ist recht energieintensiv, aber in Summe ist sie seit 2019 klimaneutral. Wir haben Prozesse umgestellt, nutzen ausschließlich regenerativen Strom und kompensieren ab diesem Jahr den Rest durch die Plantage. Das haben wir früher geschafft als erhofft. Seit 2020 sind wir auch ein klimaneutrales Unternehmen nach Scope 1, 2 und Teilen von 3. Darüber bin ich sehr glücklich. Als nächstes werden wir die Emissionen im Ursprung reduzieren. Das geht aber nur Schritt für Schritt.

Während Sie sich für den Klimaschutz engagieren, steigen die Temperaturen auf der Erde weiter. Wie ist die Lage in Nicaragua?
Als wir überlegten, in eine eigene Plantage zu investieren, machten wir uns Sorgen, dass das Gebiet zu feucht ist für Kakaoanbau. Inzwischen erleben wir eine nie dagewesene Trockenheit und haben Hundertausende von jungen Bäumen wieder verloren. Die Entwicklung ist beunruhigend.

Um mit Ihrer nachhaltig produzierten Schokolade erfolgreich zu sein, brauchen Sie ja auch den Handel. Wie reagieren die Supermärkte auf Ihren hohen Qualitätsanspruch?
Das ist schwierig. Die großen Handelshäuser verstehen, dass wir gute Schokolade machen. Aber sie wollen deshalb noch lange nicht höhere Preise zahlen. Sehen Sie sich deren Werbung an. Es geht nicht um die Inhaltsstoffe. Da werden vor allem Kampfpreise beworben. 100 Gramm für 69 Cent. So ist die Denke.

Und was ist mit den Konsumenten? Kennen und schätzen die Ihr Engagement?
Ich glaube, es ist nicht so bekannt. Wir haben es auch lange aus der Werbung bewusst herausgehalten. Denn viele Konsumenten denken, dass die Schokolade wohl zu teuer ist oder nicht schmeckt, wenn wir uns so für den Umweltschutz einsetzen. Jetzt hat sich die Stimmung im Volk aber etwas gedreht, und wir kommunizieren unser Engagement zunehmend nach außen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ritter.

Das Gespräch führte Stefanie Hauer als Teil von Planetary Business, ihrer neuen Podcastserie für umweltbewusste Unternehmensführung. Stefanie Hauer hat selbst mehrere Unternehmen geführt und transformiert und präsentiert nun Führungskräfte, die Umweltschutz und wirtschaftlichen Erfolg verbinden. Weitere Gesprächspartner finden Sie auf www.planetary-business.org.

Traurige Normalität der Kakaoindustrie
Die Plantage von Ritter Sport in Nicaragua. © Ritter SportZwei Drittel des weltweiten Kakaos kommen aus Ghana und Côte d’Ivoire in Westafrika, dem zweitgrößten Regenwaldgebiet auf der Erde. In Côte d‘Ivoire beispielsweise wurden schon 80 Prozent des Waldes zerstört und durch Monokultur ersetzt. Das befeuert die Erderhitzung. Der Boden leidet unter einem Teufelskreis aus Trockenheit, Erosion, Insektenplagen und Pestiziden. Die Bodenproduktivität sinkt. Gleichzeitig löscht diese Art des Wirtschaftens eine unschätzbare Vielfalt an Tierarten für immer aus. Der Bestand an Elefanten ist in 30 Jahren um 90 Prozent gesunken.
 
Stattdessen dominiert ein korruptes System aus Landräubern und obskuren Kakaohändlern, die alle mitverdienen wollen. Die Kleinbauern erhalten am Tag oft weniger als das, was ein Schokoriegel im Geschäft kostet, und sehen für sich keine gute Zukunft. Damit versiegen die Quellen der Schokoladenindustrie mehr und mehr. Dies ist das absehbare Ende eines milliardenschweren Geschäftes. Eine Branche zerstört sich selbst, aber sie macht unvermindert weiter. Ritter Sport leistet Beitrag zur Veränderung ändert das, wie uns Alfred Ritter im Interview erzählt.

Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.12.2021
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig 04/2021 stellt sich grundlegenden Fragen zur Veränderung - Systemwandel - wie wird die große Transformation zur Realität? erschienen.
     
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