Bernward Geier
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.03.2021
Wo die Milchstraße „Bio“ ist
Die Andechser Molkerei Scheitz
Die Wachstumszahlen im Bio-Markt
scheinen gegenwärtig in den Himmel wachsen zu wollen. Die Andechser
Molkerei Scheitz kann ihren Erfolgsweg sogar in der Adresse beschreiben:
Sie residiert in der Biomilchstraße 1. Die in der dritten Generation
von Barbara Scheitz geführte Molkerei wurde bundesweit zum Inbegriff
hochwertiger Molkereiprodukte aus biologischer Landwirtschaft.
Die Wurzeln der Andechser Bio-Molkerei liegen
über 110 Jahre zurück, als die Großeltern von Barbara Scheitz neben
ihrem Milchviehhof eine kleine Käserei aufbauten. Die enge Verbindung zu
Landwirtschaft und Milchvieh ist in der Familie bis heute erhalten.
Georg, der jüngere Bruder von Barbara, hat den elterlichen Betrieb mit
dem Hofladen übernommen und beliefert die Molkerei mit Bio-Ziegenmilch.
Die Schwester Gabi betreut bei Andechser unter anderem die
Online-Vermarktung und das spannende Kuhpatenprogramm. Mit Familientradition zum Vorreiter ökologischer Innovationen
Den Schritt von der kleinen Hofkäserei in den
Molkerei-Sektor machte Vater Georg M. Scheitz, der neben dem Beruf als
Bauer auch Molkereimeister war, im Jahr 1976. Bereits vier Jahre später
verarbeitete er die erste Bio-Milch. Zu der Zeit führte Bio noch ein
bescheidenes Nischendasein und war in Supermärkten überhaupt nicht zu
finden. Er hatte mit seiner Weitsicht aber auf die richtigen Kühe
gesetzt. Der Erfolg mit der Bio-Milch führte u.a. dazu, dass bereits
zehn Jahre später der Umzug in eine neue Molkerei am Ortsrand von
Andechs notwendig wurde.
Für das ambitionierte Ziel, zukünftig nur noch
Bio-Produkte herzustellen, musste Scheitz seine konventionellen
Milchlieferanten davon überzeugen, auf Bio umzustellen. Dafür brauchte
er weitere zehn Jahre. Seitdem setzt die Molkerei konsequent auf die
logische Kette „glückliche Kühe, glückliche Bio-Milchbauern, glückliche
Kunden".
Konkret heißt das zum Beispiel, dass alle
Lieferanten über das EU-Bio-Siegel hinaus nach den strengeren
Richtlinien der Bio-Verbände Bioland, Naturland und Demeter
wirtschaften. Diese haben neben hohen ökologischen Anforderungen
besonders strenge Vorgaben für das Tierwohl. Deshalb ist es
selbstverständlich, dass die Landwirte in der Region einen fairen Preis
für ihre Bio-Milch erhalten.
Die Bedeutung der Molkerei als Abnehmerin für
Bio-Milch in Bayern ist beeindruckend. Heute liefern 560
Milchviehbetriebe jährlich ca. 130 Mio. kg Bio-Milch. Das heißt, die
wirklichen Milchlieferanten sind natürlich 23.500 glückliche Bio-Kühe.
Dazu kommen 16.500 Ziegen, die jährlich rund 10,5 Millionen kg Bio-Milch
für die Molkerei produzieren. Die Fläche, die dadurch ökologisch
bewirtschaftet wird, liegt bei rund 28.000 Hektar – was erstaunliche 15 %
der Bio-Fläche in Bayern ausmacht.
Aus den ersten Anfängen mit Bio-Milch von ein
paar wenigen Höfen hat sich in den letzten 30 Jahren eine erstaunliche
Vielfalt von über 150 „natürlich belassenen" Bio-Molkereiprodukten
entwickelt. Deshalb werden „natürlich" keinerlei künstliche Aromen oder
Zusatzstoffe eingesetzt und alle Zutaten stammen aus biologisch
erzeugten Rohstoffen. Das Spektrum reicht von Butter über Quark zu Käse.
Besonderen Genuss bieten die Joghurts und Desserts, wobei die
Bio-Lassis sich zu wahren Rennern entwickelt haben.Nachhaltigkeit ist Trumpf
Für all diese Vielfalt sorgen mittlerweile
etwa 200 Mitarbeiter*innen. Bei „Andechser Natur" sind aber nicht nur
die Milch und die Rohstoffe bio, sondern das Unternehmen arbeitet mit
einem konsequent nachhaltigen Konzept. So bezieht es schon seit über
zwölf Jahren zu 100 % Ökostrom und erzeugt die Wärmeenergie mit einem
klimaschonenden Druckluft- und Blockheizkraftwerk. Im Geiste des Pariser
Klimaabkommens hat sich die Molkerei das Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoß,
wo immer möglich, nicht nur zu reduzieren, sondern da, wo dies nicht
möglich ist, die Kompensation in der eigenen Wertschöpfungskette zu
integrieren. Mit dem vorbildlichen Generationenprojekt „KlimaBauer"
werden die Milchlieferanten der Molkerei zusätzlich zu
Unternehmer*innen, die sich für den Klimaschutz engagieren. Und das
funktioniert so: Durch einen signifikanten Humusaufbau in den Böden kann
viel CO2 gebunden werden.
Landwirte, die sich hier engagieren, werden wissenschaftlich begleitet,
durch ein Netzwerk an Akteuren unterstützt und finanziell von der
Molkerei belohnt. Dafür wird zunächst das Potenzial der CO2-Bindung
und -Vermeidung sachverständig geschätzt, und die Betriebe erhalten
eine Abschlagszahlung für ihren geplanten Humusaufbau. Nach zwei und
dann auch nach fünf Jahren werden die einzelnen Parameter der CO2-Vermeidung und der CO2-Speicherung in den Böden genau gemessen. Für jede nachweislich gebundene Tonne CO2 erhalten die „KlimaBauern" dann zehn Euro.
Kreativität und Transparenz
Für seine Leistungen erhielt das Unternehmen
zahlreiche Auszeichnungen und Andechser Natur wurde 2017 sogar als die
nachhaltigste Marke Deutschlands prämiert, ausgezeichnet nicht nur für
professionelles Management und Marketing, sondern insbesondere für die
kreative Kommunikation. Dazu greift die Molkerei immer wieder spannende
Themen auf. Ein Projekt beispielsweise wurde zu einem Meilenstein im
„Storytelling": Mit Kuh-Patenschaften zeigen mittlerweile 1.500
Verbraucher*innen ihre Wertschätzung für die Arbeit der Bio-Betriebe.
Viel Kreativität, gepaart mit ökologisch positiven Auswirkungen, steckt
auch in der innerbetrieblichen Kommunikation und der Motivation der
Mitarbeiter*innen. Zu den Team-Events gehören regelmäßige Besuche auf
den milchliefernden Bio-Höfen. Viel Anklang finden auch
Baumpflanz-Aktionen und insbesondere das Anlegen von Blühwiesen für
Bienen und Insekten.
Transparenz als vertrauensbildende Maßnahme
wird großgeschrieben. So können Verbraucher*innen auf der Internetseite
Spannendes über Herkunft und Zusammensetzung der Produktvielfalt
erfahren. Sie sehen, aus welcher Region die Bio-Milch kam und finden
sympathische Porträts der Bio-Bauern und ihrer Arbeit auf den Bio-Höfen.
Die beim Verfassen dieses Beitrags getrunkene Mango-Lassi führte nach
Eingabe der Daten zum Heizinger Bio-Hof, wo die Familie Buchmaier einen
kleinen Milchviehbetrieb mit 20 Kühen bewirtschaftet. Man erfährt nicht
nur von Oma Sophie und den drei Katzen auf dem Hof, sondern auch zur
großen Freude, dass der Betrieb eine Kuhmutter bezogene Kälberaufzucht
betreibt.
Frauen mit Pioniergeist
Die Geschäftsführung einer Molkerei war
Barbara Scheitz nicht in die Wiege gelegt. Die Eltern ließen ihre Kinder
sich entsprechend ihren Neigungen entwickeln. Doch Barbara war von
Kindesbeinen an vom Thema Milch begeistert, was sie zum Studium der
Milchtechnologie und auch der Betriebswirtschaftslehre führte. Ganz
bewusst sammelte sie danach Berufserfahrung im In- und Ausland. Einen
bedeutenden Einfluss hatte auch ihre Beschäftigung mit der
Bio-Kybernethik-Gedankenwelt von Frederick Vester der sie in das
„Neuland des Denkens" führte.Vater Scheitz hatte von Anfang an großes
Vertrauen, dass seine Tochter Barbara die Molkerei in der
Familientradition weiter und zu neuen Ufern führen könne. Kein Wunder,
denn auch seine Frau prägte durch die Übernahme der Käserei innerhalb
der Molkerei schon 1939 das Unternehmen nachhaltig. Das konnte sie
übrigens nur deshalb tun, weil sie 1930 als erste Frau in der Branche
eine Fachausbildung im Molkereiwesen erfolgreich abgeschlossen hatte.
Traditionsbewusst und weltoffen
Die Tochter lebt die Werte des Unternehmens,
bei denen „Lebensfreude und Heimatliebe" ganz oben stehen, im Sinne der
Familientradition weiter. Authentisch und modern ist ihre Heimatliebe
und zu ihren Lebensfreuden gehören vor allem die Beschäftigung mit
Philosophie und Kultur. Außerhalb der bayrischen Heimat fasziniert sie
besonders Indien. Von dort brachte sie auch die Inspiration für die
Lassi-Produkte mit nach Andechs.
Die Lebenslust von Barbara Scheitz drückt sich
auch in ihrer Liebe zur Kunst aus, wobei sie von der Gedanken- und
Schaffenswelt des Friedensreich Hundertwasser stark inspiriert ist. Die
Symbiose aus Natur und Zivilisation dieses Architekten, Künstlers und
Umweltaktivisten hat sie auch in ihr Unternehmen integriert. Weil
saftiges Gras und kräuterreiches Heu im Labmagen der Kühe den Treibstoff
für die Molkerei liefern, hat sie das Gras auch auf das Dach der
Unternehmensverwaltung gebracht. Zu den Blumenwiesen auf dem Dach
gesellen sich Oasen der Biodiversität und eine ausgeklügelte
Regenwassernutzung. Farbenfrohe Kacheln, Säulen und Kugeln im Stil von
Hundertwasser sind omnipräsent.
Die neue Lagerhalle in Ferkelrosa
anzustreichen, war sicher eine mutige Entscheidung, die auch nicht bei
allen sofort auf Begeisterung stieß. Auf ein Erdhügelgebäude musste sie
ebenso verzichten, wie auf den geplanten markanten „Hundertwasser"-Turm,
doch mit Kompromissbereitschaft konnte sie dennoch viele ihrer Ideen
durchsetzen und so entstand im „Fünf-Seen-Land" in Oberbayern ein wahres
architektonisches und künstlerisches Schmuckstück in der Biomilchstraße
1. Besser kann man kaum manifestieren, dass Bio nicht nur gut, gesund
und schmackhaft ist, sondern selbst die Produktionsstätten von
Bio-Lebensmitteln mit Baukultur und ästhetischer Schönheit begeistern
können.
Zielbewusst, entscheidungsstark und mit
ausgeprägt bayrischem Charme führt Barbara Scheitz das Unternehmen in
ein nachhaltiges Wachstum. Dabei genießt sie bei den Mitarbeiter*innen
und in der Geschäftswelt große Sympathien und Wertschätzung, die ihr
persönlich eine Reihe von Auszeichnungen einbrachte. So erhielt sie z.B.
vor zwei Jahren für ihre Verdienste die Bayerische Staatsmedaille. Dies
unterstreicht ihre Rolle als Bio-Pionierin der ersten Stunde.
Hinweis: Mehr
über den Bio-Boom, die Kritik am Milchkonsum und die Zukunftspläne der
rein ökologisch wirtschaftenden Bio-Molkerei erfahren sie im Interview - „Bio muss unser gemeinsames Ziel werden"- mit
Barbara Scheitz, Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Andechser
Molkerei Scheitz GmbH.
Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.
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Bernward Geier | COLABORA
Bernward Geier war 18 Jahre Direktor des Weltdachverbandes der biologischen Landbaubewegung (IFOAM). Seit 2005 ist er Direktor der Agentur COLABORA - let's work together.
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Der aktuelle Kommentar von Bernward Geier
Kritik an Facebook und seinen sozialen Medien Instagram und WhatsApp ist ja nichts Neues. Brachiale Expansionswut und rücksichtslose Profitgier, die durch Skrupellosigkeit genährt wird und letztendlich assoziale Geschäftspraktiken zeichnen Mark Zuckerbergs Facebook von Anfang an aus.
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