Bernward Geier

Wo die Milchstraße „Bio“ ist

Die Andechser Molkerei Scheitz

Die Wachstumszahlen im Bio-Markt scheinen gegenwärtig in den Himmel wachsen zu wollen. Die Andechser Molkerei Scheitz kann ihren Erfolgsweg sogar in der Adresse beschreiben: Sie residiert in der Biomilchstraße 1. Die in der dritten Generation von Barbara Scheitz geführte Molkerei wurde bundesweit zum Inbegriff hochwertiger Molkereiprodukte aus biologischer Landwirtschaft.
 
© Andechser MolkereiDie Wurzeln der Andechser Bio-Molkerei liegen über 110 Jahre zurück, als die Großeltern von Barbara Scheitz neben ihrem Milchviehhof eine kleine Käserei aufbauten. Die enge Verbindung zu Landwirtschaft und Milchvieh ist in der Familie bis heute erhalten. Georg, der jüngere Bruder von Barbara, hat den elterlichen Betrieb mit dem Hofladen übernommen und beliefert die Molkerei mit Bio-Ziegenmilch. Die Schwester Gabi betreut bei Andechser unter anderem die Online-Vermarktung und das spannende Kuhpatenprogramm.
 
Mit Familientradition zum Vorreiter ökologischer Innovationen
Den Schritt von der kleinen Hofkäserei in den Molkerei-Sektor machte Vater Georg M. Scheitz, der neben dem Beruf als Bauer auch Molkereimeister war, im Jahr 1976. Bereits vier Jahre später verarbeitete er die erste Bio-Milch. Zu der Zeit führte Bio noch ein bescheidenes Nischendasein und war in Supermärkten überhaupt nicht zu finden. Er hatte mit seiner Weitsicht aber auf die richtigen Kühe gesetzt. Der Erfolg mit der Bio-Milch führte u.a. dazu, dass bereits zehn Jahre später der Umzug in eine neue Molkerei am Ortsrand von Andechs notwendig wurde.
 
Für das ambitionierte Ziel, zukünftig nur noch Bio-Produkte herzustellen, musste Scheitz seine konventionellen Milchlieferanten davon überzeugen, auf Bio umzustellen. Dafür brauchte er weitere zehn Jahre. Seitdem setzt die Molkerei konsequent auf die logische Kette „glückliche Kühe, glückliche Bio-Milchbauern, glückliche Kunden".
 
Konkret heißt das zum Beispiel, dass alle Lieferanten über das EU-Bio-Siegel hinaus nach den strengeren Richtlinien der Bio-Verbände Bioland, Naturland und Demeter wirtschaften. Diese haben neben hohen ökologischen Anforderungen besonders strenge Vorgaben für das Tierwohl. Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Landwirte in der Region einen fairen Preis für ihre Bio-Milch erhalten.
 
Die Bedeutung der Molkerei als Abnehmerin für Bio-Milch in Bayern ist beeindruckend. Heute liefern 560 Milchviehbetriebe jährlich ca. 130 Mio. kg Bio-Milch. Das heißt, die wirklichen Milchlieferanten sind natürlich 23.500 glückliche Bio-Kühe. Dazu kommen 16.500 Ziegen, die jährlich rund 10,5 Millionen kg Bio-Milch für die Molkerei produzieren. Die Fläche, die dadurch ökologisch bewirtschaftet wird, liegt bei rund 28.000 Hektar – was erstaunliche 15 % der Bio-Fläche in Bayern ausmacht.
Der Schritt von der kleinen Hofkäserei zur modernen Bio-Molkerei: Über 600 Milchbauern und ihre Ziegen und Kühe liefern 140 Millionen Liter Milch. © Andechser Molkerei Aus den ersten Anfängen mit Bio-Milch von ein paar wenigen Höfen hat sich in den letzten 30 Jahren eine erstaunliche Vielfalt von über 150 „natürlich belassenen" Bio-Molkereiprodukten entwickelt. Deshalb werden „natürlich" keinerlei künstliche Aromen oder Zusatzstoffe eingesetzt und alle Zutaten stammen aus biologisch erzeugten Rohstoffen. Das Spektrum reicht von Butter über Quark zu Käse. Besonderen Genuss bieten die Joghurts und Desserts, wobei die Bio-Lassis sich zu wahren Rennern entwickelt haben.
 
Nachhaltigkeit ist Trumpf
Die gute Heumilch der Landwirtsfamilie Veicht wird zu einem von über 150 Produkten verarbeitet. © Nirschlhod, Stefan RossmannFür all diese Vielfalt sorgen mittlerweile etwa 200 Mitarbeiter*innen. Bei „Andechser Natur" sind aber nicht nur die Milch und die Rohstoffe bio, sondern das Unternehmen arbeitet mit einem konsequent nachhaltigen Konzept. So bezieht es schon seit über zwölf Jahren zu 100 % Ökostrom und erzeugt die Wärmeenergie mit einem klimaschonenden Druckluft- und Blockheizkraftwerk. Im Geiste des Pariser Klimaabkommens hat sich die Molkerei das Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoß, wo immer möglich, nicht nur zu reduzieren, sondern da, wo dies nicht möglich ist, die Kompensation in der eigenen Wertschöpfungskette zu integrieren.
 
Mit dem vorbildlichen Generationenprojekt „KlimaBauer" werden die Milchlieferanten der Molkerei zusätzlich zu Unternehmer*innen, die sich für den Klimaschutz engagieren. Und das funktioniert so: Durch einen signifikanten Humusaufbau in den Böden kann viel CO2 gebunden werden. Landwirte, die sich hier engagieren, werden wissenschaftlich begleitet, durch ein Netzwerk an Akteuren unterstützt und finanziell von der Molkerei belohnt. Dafür wird zunächst das Potenzial der CO2-Bindung und -Vermeidung sachverständig geschätzt, und die Betriebe erhalten eine Abschlagszahlung für ihren geplanten Humusaufbau. Nach zwei und dann auch nach fünf Jahren werden die einzelnen Parameter der CO2-Vermeidung und der CO2-Speicherung in den Böden genau gemessen. Für jede nachweislich gebundene Tonne CO2 erhalten die „KlimaBauern" dann zehn Euro.
 

Dieses Engagement, visionäre Unternehmenstatregien, Innovationskraft und die große Produktvielfalt haben dem Unternehmen die steigende Wertschätzung der Verbraucher*innen und einen Jahresumsatz von annähernd 200 Millionen Euro eingebracht. Damit ist der Andechser Familienbetrieb inzwischen nicht nur die größte 100 % Bio-Molkerei Deutschlands, sondern sogar in der EU.
 
Kreativität und Transparenz
Für seine Leistungen erhielt das Unternehmen zahlreiche Auszeichnungen und Andechser Natur wurde 2017 sogar als die nachhaltigste Marke Deutschlands prämiert, ausgezeichnet nicht nur für professionelles Management und Marketing, sondern insbesondere für die kreative Kommunikation. Dazu greift die Molkerei immer wieder spannende Themen auf. Ein Projekt beispielsweise wurde zu einem Meilenstein im „Storytelling": Mit Kuh-Patenschaften zeigen mittlerweile 1.500 Verbraucher*innen ihre Wertschätzung für die Arbeit der Bio-Betriebe. Viel Kreativität, gepaart mit ökologisch positiven Auswirkungen, steckt auch in der innerbetrieblichen Kommunikation und der Motivation der Mitarbeiter*innen. Zu den Team-Events gehören regelmäßige Besuche auf den milchliefernden Bio-Höfen. Viel Anklang finden auch Baumpflanz-Aktionen und insbesondere das Anlegen von Blühwiesen für Bienen und Insekten.

Transparenz als vertrauensbildende Maßnahme wird großgeschrieben. So können Verbraucher*innen auf der Internetseite Spannendes über Herkunft und Zusammensetzung der Produktvielfalt erfahren. Sie sehen, aus welcher Region die Bio-Milch kam und finden sympathische Porträts der Bio-Bauern und ihrer Arbeit auf den Bio-Höfen. Die beim Verfassen dieses Beitrags getrunkene Mango-Lassi führte nach Eingabe der Daten zum Heizinger Bio-Hof, wo die Familie Buchmaier einen kleinen Milchviehbetrieb mit 20 Kühen bewirtschaftet. Man erfährt nicht nur von Oma Sophie und den drei Katzen auf dem Hof, sondern auch zur großen Freude, dass der Betrieb eine Kuhmutter bezogene Kälberaufzucht betreibt.
 
Frauen mit Pioniergeist
´Bio muss unser gemeinsames Ziel werden´- Barbara Scheitz, Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Andechser Molkerei Scheitz GmbH im forum-Interview © Andechser Molkerei Die Geschäftsführung einer Molkerei war Barbara Scheitz nicht in die Wiege gelegt. Die Eltern ließen ihre Kinder sich entsprechend ihren Neigungen entwickeln. Doch Barbara war von Kindesbeinen an vom Thema Milch begeistert, was sie zum Studium der Milchtechnologie und auch der Betriebswirtschaftslehre führte. Ganz bewusst sammelte sie danach Berufserfahrung im In- und Ausland. Einen bedeutenden Einfluss hatte auch ihre Beschäftigung mit der Bio-Kybernethik-Gedankenwelt von Frederick Vester der sie in das „Neuland des Denkens" führte.
 
Vater Scheitz hatte von Anfang an großes Vertrauen, dass seine Tochter Barbara die Molkerei in der Familientradition weiter und zu neuen Ufern führen könne. Kein Wunder, denn auch seine Frau prägte durch die Übernahme der Käserei innerhalb der Molkerei schon 1939 das Unternehmen nachhaltig. Das konnte sie übrigens nur deshalb tun, weil sie 1930 als erste Frau in der Branche eine Fachausbildung im Molkereiwesen erfolgreich abgeschlossen hatte.
 
Traditionsbewusst und weltoffen
Die Tochter lebt die Werte des Unternehmens, bei denen „Lebensfreude und Heimatliebe" ganz oben stehen, im Sinne der Familientradition weiter. Authentisch und modern ist ihre Heimatliebe und zu ihren Lebensfreuden gehören vor allem die Beschäftigung mit Philosophie und Kultur. Außerhalb der bayrischen Heimat fasziniert sie besonders Indien. Von dort brachte sie auch die Inspiration für die Lassi-Produkte mit nach Andechs.
 
Die Lebenslust von Barbara Scheitz drückt sich auch in ihrer Liebe zur Kunst aus, wobei sie von der Gedanken- und Schaffenswelt des Friedensreich Hundertwasser stark inspiriert ist. Die Symbiose aus Natur und Zivilisation dieses Architekten, Künstlers und Umweltaktivisten hat sie auch in ihr Unternehmen integriert. Weil saftiges Gras und kräuterreiches Heu im Labmagen der Kühe den Treibstoff für die Molkerei liefern, hat sie das Gras auch auf das Dach der Unternehmensverwaltung gebracht. Zu den Blumenwiesen auf dem Dach gesellen sich Oasen der Biodiversität und eine ausgeklügelte Regenwassernutzung. Farbenfrohe Kacheln, Säulen und Kugeln im Stil von Hundertwasser sind omnipräsent.
 
Die neue Lagerhalle in Ferkelrosa anzustreichen, war sicher eine mutige Entscheidung, die auch nicht bei allen sofort auf Begeisterung stieß. Auf ein Erdhügelgebäude musste sie ebenso verzichten, wie auf den geplanten markanten „Hundertwasser"-Turm, doch mit Kompromissbereitschaft konnte sie dennoch viele ihrer Ideen durchsetzen und so entstand im „Fünf-Seen-Land" in Oberbayern ein wahres architektonisches und künstlerisches Schmuckstück in der Biomilchstraße 1. Besser kann man kaum manifestieren, dass Bio nicht nur gut, gesund und schmackhaft ist, sondern selbst die Produktionsstätten von Bio-Lebensmitteln mit Baukultur und ästhetischer Schönheit begeistern können.
 
Zielbewusst, entscheidungsstark und mit ausgeprägt bayrischem Charme führt Barbara Scheitz das Unternehmen in ein nachhaltiges Wachstum. Dabei genießt sie bei den Mitarbeiter*innen und in der Geschäftswelt große Sympathien und Wertschätzung, die ihr persönlich eine Reihe von Auszeichnungen einbrachte. So erhielt sie z.B. vor zwei Jahren für ihre Verdienste die Bayerische Staatsmedaille. Dies unterstreicht ihre Rolle als Bio-Pionierin der ersten Stunde.
 
Hinweis: Mehr über den Bio-Boom, die Kritik am Milchkonsum und die Zukunftspläne der rein ökologisch wirtschaftenden Bio-Molkerei erfahren sie im Interview - „Bio muss unser gemeinsames Ziel werden"- mit Barbara Scheitz, Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Andechser Molkerei Scheitz GmbH.

Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.

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