Sebastian Henkes
Umwelt | Wasser & Boden, 01.03.2019
Die Liebe zum Boden geht durch den Magen
Das Augsburger Start-up „Feierabendglück“
Er ist unsere Lebensgrundlage und doch gehen wir vergleichsweise sorglos mit ihm um: der Boden. Schadstoffeinträge, Landgrabbing und Versiegelung setzen dem Boden zu. Die nach ökologischen Kriterien bewirtschaftete Fläche stagniert. Ein Augsburger Start-up will eine Lobby für den Boden bilden – und
bedient sich dabei eines alten Rezeptes.
Gertrud Deckers, Brigitte Günther und Michael Lindlbauer bewegen sich als Überzeugungstäter in Beruf und Ehrenamt in nachhaltigen Unternehmen und NGOs. In diesem Kontext begegnen sie immer wieder einem alten Bekannten: dem Boden. Dieser fristet gegenüber den Ozeanen ein weniger beachtetes Dasein. Zu Unrecht, finden Deckers, Günther und Lindlbauer. Denn der Boden ist nach den Ozeanen der weltweit zweitgrößte CO2-Speicher und von negativen Eingriffen des Menschen ebenso gefährdet. Das Bewusstsein für die wichtige Rolle der Ressource Boden ist jedoch bisher nur wenig vorhanden. Während 95 Prozent unserer Lebensmittel im Boden angebaut werden, sind nur 7,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland nach Bio-Kriterien bewirtschaftet. Es fehlt eine „Lobby" für den Boden.Deckers, Günther und Lindlbauer überlegen gemeinsam, wie man möglichst viele Menschen für das Thema sensibilisieren kann – und landen schließlich bei der Ernährung. Denn diese weckt Emotionen und betrifft jeden von uns. Die drei wagen den Schritt in die Selbständigkeit und gründen gemeinsam das Start-up „Feierabendglück". Für ihr erstes Produkt beleben sie einen Gegenstand, der eine Neuerfindung nötig hat: das Kochbuch.
Ihre Version kommt als Blechdose daher, in der Rezeptkarten mit vegetarischen Gerichten enthalten sind. Die Rezepte machen saisonales, vegetarisches Kochen mit regionalen Bio-Produkten einfach. Um zu zeigen, dass Bio nicht gleich teuer ist, kosten die Gerichte pro Kopf maximal 3,50 Euro. Die 52 Rezeptkarten sind nach dem cradle2cradle-Prinzip hergestellt und können vollständig in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Finanziert wurde das Kochbuch über eine Crowdfunding-Kampagne. Mehr als 4.000 Exemplare wurden bereits verkauft.
Feierabendtüte für Unternehmen
Die Herausgeber des nach eigenen Angaben „wahrscheinlich nachhaltigsten Kochbuchs der Welt" haben allerdings noch andere Pläne: „Das Kochbuch kaufen wohl eher Leute, die sich sowieso schon für Nachhaltigkeit und Bio interessieren. Wir möchten aber auch Menschen ansprechen, die mit dem Thema noch nicht in Berührung gekommen sind." Somit stoßen sie schließlich auf Unternehmen, denn hier können erstens viele Menschen erreicht werden, zweitens besteht dringender Aufholbedarf in Sachen gesunde Ernährung.
Neben dem Kochbuch bringen Deckers, Günther und Lindlbauer die „Feierabendtüte" heraus, eine Gesundheitsförderung für Mitarbeiter und gleichzeitig eine CSR-Maßnahme. Die Mitarbeiter eines Unternehmens können zwischen zwei vegetarischen Gerichten wählen, die ein Mal monatlich geliefert werden. Die Bio-Zutaten werden samt Rezeptkarte und Kochvideo in einer Tüte zusammengestellt und von einem der knapp 40 Lieferdienste für Ökokisten an den Unternehmensstandort geliefert. Nun kann der Mitarbeiter die Feierabendtüte mit nach Hause nehmen.
Das hat gleich mehrere Effekte: „Beim Kochbuch sind wir davon abhängig, dass die Menschen auch wirklich Bio kaufen. Bei der Feierabendtüte haben wir es selbst in der Hand und so können Menschen mit dem Thema in Berührung kommen, um es ganz einfach kennenzulernen." Gleichzeitig wird mit der Feierabendtüte die Mitarbeitergesundheit gefördert. Und warum CSR Maßnahme? Pro Feierabendtüte werden 1,50 Euro an die BioBoden-Genossenschaft gespendet, die damit umgerechnet einen Quadratmeter Bio-Anbaufläche erwerben kann. Die einfache Beispielrechnung: Ein Unternehmen mit 200 Mitarbeitern kann so dafür sorgen, dass monatlich 200 Quadratmeter Fläche für die ökologische Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden.
Das Ziel: 100 Prozent Bio
Das ambitionierte Ziel von Feierabendglück lautet: Mit dem Kochbuch und den Feierabendtüten langfristig dazu beizutragen, dass aus den 7,5 einhundert Prozent Bio-Anbaufläche werden. Kurzfristig sollen vor allem regionale Erzeuger und Lieferanten unterstützt werden. Um die Kosten für Unternehmen gering zu halten kann die Feierabendtüte als gesundheitsfördernde Maßnahme oder als Sachbezug lohnsteuerfrei finanziert werden.
Seit Sommer 2017 ist die Feierabendtüte außerdem auch für Privathaushalte erwerblich. Sie kann über regionale Bio-Lieferbetriebe bestellt und direkt nach Hause geliefert werden. Eine Übersicht der bereits beteiligten Lieferbetriebe und weitere Informationen zur Feierabendtüte für Unternehmen finden Sie auf der Website des Start-ups.
www.feierabendglück.de
von Sebastian Henkes
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
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