Muss man alles selber machen?
Wer outsourct, gibt seine Verantwortung einfach weiter. Oder?
forum diskutierte mit den Entrepreneuren Prof. Günter Faltin (Teekampagne) und Uwe Lübbermann (Premium Cola) über Module, Wachstum und Ellenbogen.
Frisöre, Internetplattformen, Zahnärzte: Täglich gibt es hunderte Gründungen, die einfach Vorhandenes imitieren. Wann ist eine Gründungsidee für Sie innovativ?
Faltin: Normalerweise würde man sagen: Start-ups sind innovativ, wenn Hightech involviert ist. Das finde ich schade, denn ich würde innovativ auch Dinge nennen, die es so noch nicht gibt - sei es ökologisch, ökonomisch oder sozial. Hightech ist ja nur ein kleiner Bereich in der Masse der Gründungen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich positiv zu engagieren. Zum Beispiel gibt es in Berlin Anja Fiedler, die beobachtet hatte, dass viele Obstbaumbesitzer nicht dazukommen, zu ernten. Sie organisierte kurzerhand den Austausch mit interessierten Pflückern. Das Projekt heißt "Stadt macht satt". Bei so etwas gewinnen alle.
Lübbermann: Für mich ist ein innovatives Geschäftsmodell integrativ statt disruptiv. Es muss also nicht phänomenal neu sein, sondern es kann Vorhandenes verwandeln. Denn das Bestehende ist selten perfekt - aber das muss man ja nicht hinnehmen: Als kluger Unternehmer kann man Alternativen anbieten. Das tun Sie, Herr Faltin, ja mit der Teekampagne. Sie lassen unnötige Handelsstufen aus und bieten deutschen Kunden günstigen, aber hochwertigen Tee an. Doch dabei fehlt mir das integrative Element: Man müsste die Teehandlungen mitnehmen statt umgehen, man müsste gemeinsam etwas Neues schaffen.
Faltin: Dafür waren die Teehändler leider nicht offen. Sie sahen mich als Feind. Ein Böser aus der Universität, der sie vernichten will. Ich wünschte, es wäre leichter gewesen, die Teekampagne zu gründen - und mehr konsensual. Man muss nicht immer Krieg führen, sondern sollte schauen, wo man kooperieren kann. Doch manchmal kommt man nicht zum kooperieren.
Woran könnte das liegen?
Lübbermann: Der ungezügelte Wettbewerb ist eine Ursache für viele Fehlentwicklungen auf der globalen Ebene. Da sind Gründungsideen gefragt, die dazu gezielt eine Gegenströmung entwickeln.
Faltin: Der Zugang zum Markt und die Idee des Wettbewerbs sind historische Errungenschaften, die man nicht einfach beiseiteschieben sollte. Ich finde Wettbewerb vor allem dann positiv, wenn damit neue Ideen und Ziele gesetzt werden können.
Lübbermann: Ich würde Wettbewerb auch nicht generell verteufeln. Es ist ja ein wichtiger Antrieb. Doch momentan definiert sich eine Marke über Produkt und Preis. Wir bräuchten einen weiteren Wettbewerbsfaktor, nämlich: Wer benimmt sich am besten, wer kümmert sich am besten um seine Partner?
Faltin: Es kommt darauf an, was man unter Wettbewerb versteht! Wenn Gewalt und Ellenbogen über den Erfolg entscheiden, ist das ein Zeichen dafür, dass die Prinzipien des Markts außer Kraft gesetzt wurden. Es geht um den Wettstreit der Ideen. Die Ellenbogen führen öfters zu schlechten ökonomischen Ergebnissen. Frauen könnten diese kooperative Komponente verstärkt in die Wirtschaft tragen. Es gibt eine Studie über Women & Entrepreneur€ship1, nach der Frauen sich im Geschäftsleben nicht anders als im Normalleben verhalten. Sie tauschen sich aus, kooperieren, haben nicht das männliche Vernichtungs-Gen, das sie antreibt, nach dem Motto: "ich muss besser sein, ich muss der Größte sein".
Herr Prof. Faltin, in Ihrem Buch "Kopf schlägt Kapital" empfehlen Sie Gründern, ihre Gründungsidee so weit wie möglich zu modularisieren und Tätigkeiten outzusourcen. Wo bleibt da Raum für Verantwortungsüberahme?
Faltin: Der Gründer wählt die Partner ja aus und das sollte er sorgfältig tun. Wenn ich Aufgaben an professionelle Partner abgebe - damit meine ich nicht billig arbeitende Dilettanten - dann erwarte ich, dass sie das auch verantwortungsvoll machen. Ich kann also nicht irgendwelche Firmen beauftragen. Das Gegenargument ist dann immer: Das ist zu teuer. Aber ich sage: Wenn man sich Professionalitiät nicht leisten kann, ist das Geschäftsmodell noch nicht ausgereift genug! Die Alternative ist ja nicht Unprofessionalität. Denn das kommt mich am Ende teurer, als von vornherein mit Profis zu arbeiten.
Lübbermann: Ich sehe da schon ein Problem! Wenn wir Aufgaben abgeben, ist es verlockend, damit auch die Verantwortung der Art und Weise, wie das gemacht wird, abzugeben. Wir fragen dann weniger, unter welchem Druck und unter welchen Arbeitsbedingungen das Ergebnis zustande kommt. Bei Speditionen ist das ganz deutlich sichtbar. Egal wie professionell geplant wird: Am Ende lastet der Wettbewerbsdruck auf dem Rücken der Fahrer, die dann länger fahren müssen, schneller verladen und so weiter. Dabei liegt hier eine große Chance verborgen: Meine Module bieten mir als Unternehmer ein großes Spielfeld, um die Verantwortung in die Köpfe aller Beteiligten zu bringen. Ich kann als Auftraggeber aktiv zur Verbesserung beitragen!
Faltin: Manchmal muss man die Erzeuger zu Verantwortung anhalten, z.B. den übermäßigen Einsatz von Pestiziden tadeln und dagegen vorgehen. Auch das gehört zur Verantwortung, statt nur freundlich mit seinen Partnern zu kommunizieren. Meine Bücher wollen vor allem Menschen ermutigen, zu gründen - mit einem guten Konzept, aber ohne dass sie gleich Angst bekommen vor Buchhaltung, Webshop und allzuviel Organisation. Mit Komponenten wird das Gründen möglich, ohne in die Überlastungs- und Überforderungsfalle zu kommen. Viele Gründer sind derart mit Details befasst, dass sie oft gar nicht dazu kommen, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und etwas dafür zu tun. Daher ist es gut, dass es heute viel mehr Komponenten gibt als früher.
Lübbermann: Damit wird die Weltwirtschaft auch immer fragmentierter. Wir brauchen einen weiteren Treiber für Verantwortung neben dem Konsumenten: den Unternehmer, der sich verantwortungsvolle Partner sucht, aber vor allem auch später in der Betriebsphase dieses Denken weiter verankert. Im Gegensatz zur beliebten Serial Entrepreneur-Philosophie sind der Gründungsprozess und vor allem das Unternehmertum ja mit der Gründung nicht abgeschlossen! Die Rahmenbedingungen wandeln sich ständig, so dass man das Zusammenspiel der Partner im Prozess regelmäßig nach- und feinjustieren muss. Das ist auch eine Dienstleistung mit Mehrwert.
Ist Unternehmertum über die Gründung hinaus also die verantwortungsvollere Variante?
Faltin: Ich spreche lieber von Entrepreneurship. Jeder Gründer ist gut beraten, wenn er sich für etwas gesellschaftlich einsetzt. Im Frühkapitalismus waren die Bedingungen anders. Heute versuche ich, Menschen zu helfen, die nicht aus der Ökonomie kommen, diese aber nutzen können, um ihr Anliegen in die Praxis zu bringen und finanzieren zu können. Ich glaube, Menschen mit Idealismus sind heute erfolgreicher.
Lübbermann: Ich würde gern eine Bewegung antreiben, die genau das in den Vordergrund stellt. Auslöser für meinen "Idealismus" war die ungleiche Machtverteilung zwischen Industrie und Endkunden. Als Afri-Cola plötzlich das Rezept änderte, ohne uns Cola-Trinker zu fragen, waren wir verdutzt - und machtlos. Diese Erfahrung hat in mir den Wunsch reifen lassen, eine Wirtschaft zu schaffen, in der alle gleichberechtigt über die Art des Wirtschaftens entscheiden. Das bedeutet: Gleichverteilung der Risiken, aber auch der Chancen. Ich dachte nicht, dass diese Idee ansatzweise realistisch ist. Aber das Projekt Premium Cola gibt es seit zwölf Jahren. Alle dürfen gleichberechtigt mitreden und wenn jemand ein Veto einlegt, gilt die Entscheidung als nicht getroffen. Ich sehe das zugleich als Ziel und Dienstleistung: Eine Wirtschaft zu fördern, die sich sozialer im Sinne der Postwachstums- und Gemeinwohlökonomie* verhält. Unsere unternehmerische Aufgabe ist es, bessere, also nachhaltigere Lösungen zu finden als das, was der Markt von allein macht.
Zielt nicht jeder Gründer vor allem darauf ab, schnell zu wachsen?
Faltin: Wir haben uns in der Teekampagne bewusst dafür entscheiden, nur eine einzige Sorte Tee zu handeln, obwohl unsere Kunden gerne auch andere Teesorten bei uns kaufen wollten. Ich finde, wir müssen auch Modelle schaffen, wie man ohne Wachstum auskommt. Ralf Fücks fordert in seinem neuen Buch ein ressourcen-sparenderes Wachstum. Ich würde hinzufügen: Wir brauchen ent-materialisierenden Konsum. Die unternehmerische Aufgabe lautet ja: Was kann ich anbieten, das Konsumenten zufriedenstellt, aber wenig Ressourcen verbraucht?
Lübbermann: Wachstum als Hauptziel ist in erster Linie eine Gefahr, weil es den Blick auf Entscheidungen vernebeln kann. Viele Gründer nehmen für schnelles Wachstum Kredite auf. Doch sobald ich eine Zinsbelastung im Produkt habe, bin ich nicht mehr frei in meinen unternehmerischen Entscheidungen und kann nicht mehr in Ruhe mit allen Stakeholdern verhandeln. Das versuche ich zu vermeiden. Daher haben wir demokratisch eine Wachstumsgeschwindigkeitsgrenze beschlossen. Sie liegt derzeit bei 30 Prozent pro Jahr. So können wir unsere Lieferanten auch ohne Kredite pünktlich bezahlen. Ich bin da sehr konservativ: Wachstum muss langsam gehen, die Menschen müssen Zeit haben, die Kultur zu verinnerlichen und reinzuwachsen in so ein Modell. Bei vielen Endkunden sind materielle Statussymbole immer noch wichtig - dafür geben sie viel Geld aus. Ich möchte, dass es cool wird, wenig zu haben. Eine Kultur, in der jeder seine Grundbedürfnisse decken kann, in der es aber peinlich ist, mit einem dicken Mercedes vorzufahren.
Könnte Entrepreneurship hierfür eine Lösung sein?
Faltin: Echte Alternativen können wir nicht von einem DAX-Unternehmen erwarten - das braucht Menschen, die von einem anderen Bewusstsein her kommen. Die sich fragen: Was sind die wichtigen Elemente für ein geglücktes Leben?
Lübbermann: Unternehmer können entzünden. Deshalb begleite ich andere Gründungen, das ist mein Hebel. Die bisher acht von mir kostenlos beratenen Start-ups haben alle überlebt. Beispiele: Die Getränkehersteller Frohlunder aus Freiburg als Open Franchise Produkt, Kolle-Mate aus Dresden mit sehr ähnlicher Arbeitsweise, aber auch branchenfremde Transfers wie z.B. die SWAK-Zahnbürste. Diese Modelle sind für sich gesehen noch kein Systemwandel, aber sie bringen den Dialog über Alternativen in Gang.
Und Colatrinken soll die unternehmerische Lösung für gesellschaftliche Probleme sein?
Lübbermann: Die Getränke sind nur der Träger der Idee. Das eigentliche Produkt bei Premium ist die Arbeitsweise. Die muss ich ständig weiterentwickeln und kommunizieren. Dieser Dialog ist unsere Werbung und ein Hebel für den gesellschaftlichen Wandel. Eine traditionelle Werbekampagne kostet dagegen nur Geld und verschlingt Ressourcen.
Faltin: Der Entrepreneur muss natürlich in Dialog gehen. Er muss seine Kunden und Lieferanten verstehen, aber auch in kritischen Diskurs mit ihnen gehen. Das ist schon der erste Teil der Bedürfnisbefriedigung. Die Frage ist ja: Können wir als Gesellschaft uns Wohlstand ohne materiellen Ressourcenverbrauch vorstellen? Damit wir das können, brauchen wir erfolgreiche Beispiele, die die traditionellen ressourcenintensiven Produkte ersetzen.
Lübbermann: Und konkrete Arbeitsweisen, die den Umgang miteinander widerspiegeln, den wir uns auch im Alltag wünschen.
Faltin: Normalerweise würde man sagen: Start-ups sind innovativ, wenn Hightech involviert ist. Das finde ich schade, denn ich würde innovativ auch Dinge nennen, die es so noch nicht gibt - sei es ökologisch, ökonomisch oder sozial. Hightech ist ja nur ein kleiner Bereich in der Masse der Gründungen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich positiv zu engagieren. Zum Beispiel gibt es in Berlin Anja Fiedler, die beobachtet hatte, dass viele Obstbaumbesitzer nicht dazukommen, zu ernten. Sie organisierte kurzerhand den Austausch mit interessierten Pflückern. Das Projekt heißt "Stadt macht satt". Bei so etwas gewinnen alle.
Lübbermann: Für mich ist ein innovatives Geschäftsmodell integrativ statt disruptiv. Es muss also nicht phänomenal neu sein, sondern es kann Vorhandenes verwandeln. Denn das Bestehende ist selten perfekt - aber das muss man ja nicht hinnehmen: Als kluger Unternehmer kann man Alternativen anbieten. Das tun Sie, Herr Faltin, ja mit der Teekampagne. Sie lassen unnötige Handelsstufen aus und bieten deutschen Kunden günstigen, aber hochwertigen Tee an. Doch dabei fehlt mir das integrative Element: Man müsste die Teehandlungen mitnehmen statt umgehen, man müsste gemeinsam etwas Neues schaffen.
Faltin: Dafür waren die Teehändler leider nicht offen. Sie sahen mich als Feind. Ein Böser aus der Universität, der sie vernichten will. Ich wünschte, es wäre leichter gewesen, die Teekampagne zu gründen - und mehr konsensual. Man muss nicht immer Krieg führen, sondern sollte schauen, wo man kooperieren kann. Doch manchmal kommt man nicht zum kooperieren.
Woran könnte das liegen?
Lübbermann: Der ungezügelte Wettbewerb ist eine Ursache für viele Fehlentwicklungen auf der globalen Ebene. Da sind Gründungsideen gefragt, die dazu gezielt eine Gegenströmung entwickeln.
Faltin: Der Zugang zum Markt und die Idee des Wettbewerbs sind historische Errungenschaften, die man nicht einfach beiseiteschieben sollte. Ich finde Wettbewerb vor allem dann positiv, wenn damit neue Ideen und Ziele gesetzt werden können.
Lübbermann: Ich würde Wettbewerb auch nicht generell verteufeln. Es ist ja ein wichtiger Antrieb. Doch momentan definiert sich eine Marke über Produkt und Preis. Wir bräuchten einen weiteren Wettbewerbsfaktor, nämlich: Wer benimmt sich am besten, wer kümmert sich am besten um seine Partner?
Faltin: Es kommt darauf an, was man unter Wettbewerb versteht! Wenn Gewalt und Ellenbogen über den Erfolg entscheiden, ist das ein Zeichen dafür, dass die Prinzipien des Markts außer Kraft gesetzt wurden. Es geht um den Wettstreit der Ideen. Die Ellenbogen führen öfters zu schlechten ökonomischen Ergebnissen. Frauen könnten diese kooperative Komponente verstärkt in die Wirtschaft tragen. Es gibt eine Studie über Women & Entrepreneur€ship1, nach der Frauen sich im Geschäftsleben nicht anders als im Normalleben verhalten. Sie tauschen sich aus, kooperieren, haben nicht das männliche Vernichtungs-Gen, das sie antreibt, nach dem Motto: "ich muss besser sein, ich muss der Größte sein".
Herr Prof. Faltin, in Ihrem Buch "Kopf schlägt Kapital" empfehlen Sie Gründern, ihre Gründungsidee so weit wie möglich zu modularisieren und Tätigkeiten outzusourcen. Wo bleibt da Raum für Verantwortungsüberahme?
Faltin: Der Gründer wählt die Partner ja aus und das sollte er sorgfältig tun. Wenn ich Aufgaben an professionelle Partner abgebe - damit meine ich nicht billig arbeitende Dilettanten - dann erwarte ich, dass sie das auch verantwortungsvoll machen. Ich kann also nicht irgendwelche Firmen beauftragen. Das Gegenargument ist dann immer: Das ist zu teuer. Aber ich sage: Wenn man sich Professionalitiät nicht leisten kann, ist das Geschäftsmodell noch nicht ausgereift genug! Die Alternative ist ja nicht Unprofessionalität. Denn das kommt mich am Ende teurer, als von vornherein mit Profis zu arbeiten.
Lübbermann: Ich sehe da schon ein Problem! Wenn wir Aufgaben abgeben, ist es verlockend, damit auch die Verantwortung der Art und Weise, wie das gemacht wird, abzugeben. Wir fragen dann weniger, unter welchem Druck und unter welchen Arbeitsbedingungen das Ergebnis zustande kommt. Bei Speditionen ist das ganz deutlich sichtbar. Egal wie professionell geplant wird: Am Ende lastet der Wettbewerbsdruck auf dem Rücken der Fahrer, die dann länger fahren müssen, schneller verladen und so weiter. Dabei liegt hier eine große Chance verborgen: Meine Module bieten mir als Unternehmer ein großes Spielfeld, um die Verantwortung in die Köpfe aller Beteiligten zu bringen. Ich kann als Auftraggeber aktiv zur Verbesserung beitragen!
Faltin: Manchmal muss man die Erzeuger zu Verantwortung anhalten, z.B. den übermäßigen Einsatz von Pestiziden tadeln und dagegen vorgehen. Auch das gehört zur Verantwortung, statt nur freundlich mit seinen Partnern zu kommunizieren. Meine Bücher wollen vor allem Menschen ermutigen, zu gründen - mit einem guten Konzept, aber ohne dass sie gleich Angst bekommen vor Buchhaltung, Webshop und allzuviel Organisation. Mit Komponenten wird das Gründen möglich, ohne in die Überlastungs- und Überforderungsfalle zu kommen. Viele Gründer sind derart mit Details befasst, dass sie oft gar nicht dazu kommen, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und etwas dafür zu tun. Daher ist es gut, dass es heute viel mehr Komponenten gibt als früher.
Lübbermann: Damit wird die Weltwirtschaft auch immer fragmentierter. Wir brauchen einen weiteren Treiber für Verantwortung neben dem Konsumenten: den Unternehmer, der sich verantwortungsvolle Partner sucht, aber vor allem auch später in der Betriebsphase dieses Denken weiter verankert. Im Gegensatz zur beliebten Serial Entrepreneur-Philosophie sind der Gründungsprozess und vor allem das Unternehmertum ja mit der Gründung nicht abgeschlossen! Die Rahmenbedingungen wandeln sich ständig, so dass man das Zusammenspiel der Partner im Prozess regelmäßig nach- und feinjustieren muss. Das ist auch eine Dienstleistung mit Mehrwert.
Ist Unternehmertum über die Gründung hinaus also die verantwortungsvollere Variante?
Faltin: Ich spreche lieber von Entrepreneurship. Jeder Gründer ist gut beraten, wenn er sich für etwas gesellschaftlich einsetzt. Im Frühkapitalismus waren die Bedingungen anders. Heute versuche ich, Menschen zu helfen, die nicht aus der Ökonomie kommen, diese aber nutzen können, um ihr Anliegen in die Praxis zu bringen und finanzieren zu können. Ich glaube, Menschen mit Idealismus sind heute erfolgreicher.
Lübbermann: Ich würde gern eine Bewegung antreiben, die genau das in den Vordergrund stellt. Auslöser für meinen "Idealismus" war die ungleiche Machtverteilung zwischen Industrie und Endkunden. Als Afri-Cola plötzlich das Rezept änderte, ohne uns Cola-Trinker zu fragen, waren wir verdutzt - und machtlos. Diese Erfahrung hat in mir den Wunsch reifen lassen, eine Wirtschaft zu schaffen, in der alle gleichberechtigt über die Art des Wirtschaftens entscheiden. Das bedeutet: Gleichverteilung der Risiken, aber auch der Chancen. Ich dachte nicht, dass diese Idee ansatzweise realistisch ist. Aber das Projekt Premium Cola gibt es seit zwölf Jahren. Alle dürfen gleichberechtigt mitreden und wenn jemand ein Veto einlegt, gilt die Entscheidung als nicht getroffen. Ich sehe das zugleich als Ziel und Dienstleistung: Eine Wirtschaft zu fördern, die sich sozialer im Sinne der Postwachstums- und Gemeinwohlökonomie* verhält. Unsere unternehmerische Aufgabe ist es, bessere, also nachhaltigere Lösungen zu finden als das, was der Markt von allein macht.
Zielt nicht jeder Gründer vor allem darauf ab, schnell zu wachsen?
Faltin: Wir haben uns in der Teekampagne bewusst dafür entscheiden, nur eine einzige Sorte Tee zu handeln, obwohl unsere Kunden gerne auch andere Teesorten bei uns kaufen wollten. Ich finde, wir müssen auch Modelle schaffen, wie man ohne Wachstum auskommt. Ralf Fücks fordert in seinem neuen Buch ein ressourcen-sparenderes Wachstum. Ich würde hinzufügen: Wir brauchen ent-materialisierenden Konsum. Die unternehmerische Aufgabe lautet ja: Was kann ich anbieten, das Konsumenten zufriedenstellt, aber wenig Ressourcen verbraucht?
Lübbermann: Wachstum als Hauptziel ist in erster Linie eine Gefahr, weil es den Blick auf Entscheidungen vernebeln kann. Viele Gründer nehmen für schnelles Wachstum Kredite auf. Doch sobald ich eine Zinsbelastung im Produkt habe, bin ich nicht mehr frei in meinen unternehmerischen Entscheidungen und kann nicht mehr in Ruhe mit allen Stakeholdern verhandeln. Das versuche ich zu vermeiden. Daher haben wir demokratisch eine Wachstumsgeschwindigkeitsgrenze beschlossen. Sie liegt derzeit bei 30 Prozent pro Jahr. So können wir unsere Lieferanten auch ohne Kredite pünktlich bezahlen. Ich bin da sehr konservativ: Wachstum muss langsam gehen, die Menschen müssen Zeit haben, die Kultur zu verinnerlichen und reinzuwachsen in so ein Modell. Bei vielen Endkunden sind materielle Statussymbole immer noch wichtig - dafür geben sie viel Geld aus. Ich möchte, dass es cool wird, wenig zu haben. Eine Kultur, in der jeder seine Grundbedürfnisse decken kann, in der es aber peinlich ist, mit einem dicken Mercedes vorzufahren.
Könnte Entrepreneurship hierfür eine Lösung sein?
Faltin: Echte Alternativen können wir nicht von einem DAX-Unternehmen erwarten - das braucht Menschen, die von einem anderen Bewusstsein her kommen. Die sich fragen: Was sind die wichtigen Elemente für ein geglücktes Leben?
Lübbermann: Unternehmer können entzünden. Deshalb begleite ich andere Gründungen, das ist mein Hebel. Die bisher acht von mir kostenlos beratenen Start-ups haben alle überlebt. Beispiele: Die Getränkehersteller Frohlunder aus Freiburg als Open Franchise Produkt, Kolle-Mate aus Dresden mit sehr ähnlicher Arbeitsweise, aber auch branchenfremde Transfers wie z.B. die SWAK-Zahnbürste. Diese Modelle sind für sich gesehen noch kein Systemwandel, aber sie bringen den Dialog über Alternativen in Gang.
Und Colatrinken soll die unternehmerische Lösung für gesellschaftliche Probleme sein?
Lübbermann: Die Getränke sind nur der Träger der Idee. Das eigentliche Produkt bei Premium ist die Arbeitsweise. Die muss ich ständig weiterentwickeln und kommunizieren. Dieser Dialog ist unsere Werbung und ein Hebel für den gesellschaftlichen Wandel. Eine traditionelle Werbekampagne kostet dagegen nur Geld und verschlingt Ressourcen.
Faltin: Der Entrepreneur muss natürlich in Dialog gehen. Er muss seine Kunden und Lieferanten verstehen, aber auch in kritischen Diskurs mit ihnen gehen. Das ist schon der erste Teil der Bedürfnisbefriedigung. Die Frage ist ja: Können wir als Gesellschaft uns Wohlstand ohne materiellen Ressourcenverbrauch vorstellen? Damit wir das können, brauchen wir erfolgreiche Beispiele, die die traditionellen ressourcenintensiven Produkte ersetzen.
Lübbermann: Und konkrete Arbeitsweisen, die den Umgang miteinander widerspiegeln, den wir uns auch im Alltag wünschen.
Postwachstumsökonomie
Konzept des Volkswirtschaftlers Niko Paech, nach dem die Wirtschaft auch ohne Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und mit reduziertem Konsumniveau eine stabile Versorgung gewährleisten kann.
Konzept des Volkswirtschaftlers Niko Paech, nach dem die Wirtschaft auch ohne Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und mit reduziertem Konsumniveau eine stabile Versorgung gewährleisten kann.
Gemeinwohlökonomie
Bewegung um den Österreicher Christian Felber, die eine demokratische Diskussion der Wirtschaft fordert. Themen sind dabei unter anderem Grundwerte wie Wertschätzung und Teilen, Kooperation statt Konkurrenz, sowie alternative Bilanzierungsformen ökonomischen Erfolgs.
Bewegung um den Österreicher Christian Felber, die eine demokratische Diskussion der Wirtschaft fordert. Themen sind dabei unter anderem Grundwerte wie Wertschätzung und Teilen, Kooperation statt Konkurrenz, sowie alternative Bilanzierungsformen ökonomischen Erfolgs.
Prof. Dr. Günter Faltin lehrte Unternehmensgründung an der Freien Universität Berlin, er leitet die Stiftung Entrepreneurship. Seit 2013 lehrt er als Gastprofessor an der Universität Chiang Mai in Thailand. Bekannt machte ihn seine Idee der Teekampagne, die ziemlich alle Konventionen des Handels aushebelt: Beschränkung auf nur eine Sorte Tee (Darjeeling), kein Zwischenhandel, Bio-Qualität, fair gehandelt, unterstützt die Erzeuger gegen die Fälschung von Darjeelingtee, finanziert ein großes Wiederaufforstungsprojekt in Darjeeling. Faltins Devise: Selbstständig sein heißt eben nicht, alles ständig selbst zu machen. Daher stellt die Teekampagne anderen Gründern Komponenten bereit, wie Buchhaltung und Logistik. Gründer sollen lieber an ihrer Idee feilen, damit sie im Wettbewerb bestehen können.
Uwe Lübbermann ist Gründer aus Weltveränderungsantrieb. Als sein Lieblingsgetränk Afri-Cola ohne Kommentar die Rezeptur änderte, tat er sich mit anderen empörten Konsumenten zusammen, fand das alte Rezept heraus und gab kurzerhand selbst ein paar Kästen bei den Herstellern in Auftrag. Aus der Grundidee der 100-prozentigen Partizipation aller Marktteilnehmer - Händler und Konsumenten, Rohstofflieferanten und Hersteller haben alle eine Stimme und Vetorecht - ist ein seit zwölf Jahren erfolgreiches Unternehmen geworden. Das Konstrukt rund um das Kultgetränk Premium Cola kommt vollständig ohne Verträge aus. Vertrauen ist der Schlüssel.
Wirtschaft | Gründung & Finanzierung, 01.04.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2014 - Voll transparent, voll engagiert erschienen.
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