Lauter liebenswerte Lügen
Eindrücke von der EXPO Milano
Es ist doch eine merkwürdige Welt: Wenn es darum geht, sich auf der Expo in Mailand zu präsentieren, zeigt sich ein jedes Land von seiner besten Seite – und die ist offensichtlich ... grün. Wüsste man nichts von den Untaten der Agrarindustrie, von Massentierhaltung, genmanipulierten Pflanzen und Bio-Engineering – man wäre nach einem Gang über die EXPO Milano beinahe versucht zu glauben, die Erde sei ein Ökoparadies, in dem ein liebenswerter Wettstreit der Nationen einzig nur der Frage gilt, wer wohl die qualitativ beste Nahrung produziert: Kein Länderpavillon, der nicht intakte Umwelt und gesunde Menschen zeigte – dessen Eigner nicht ein Loblied auf das Gleichgewicht von Mensch und Umwelt sänge und sich dessen rühmte, hier vorzüglich unterwegs sein. Mit einem Wort: In Mailand wird im großen Stil gelogen – und diese Lügen sind so wunderschön, so glänzend inszeniert, dass man geneigt ist, sie zu glauben; um sich einmal zumindest in dem Wohlgefühl zu wähnen, die Welt, in der wir leben, sei in Ordnung.
So ist es aber nicht – denn wie wir alle wissen, sieht es in Wahrheit anders aus. Die Nahrungsmittelindustrie ist nur in raren Ausnahmen an Qualität interessiert. Und die Politik auch nicht; noch nicht einmal in unserem Land. Natürlich ist es nett, wenn Deutschland sich – in einem wirklich großartig gestylten Pavillon – als Musterland in Sachen Bio zeigt: mit Urban Gardening, mit engagierten Menschen, die sich für die Vielfalt der heimischen Äpfel oder den Schutz der Böden einsetzen. Aber es bleibt doch ein Geschmäckle, wenn man weiß, wie wenig letztlich die Regierung tut, um solche Öko-Aktivisten zu unterstützen – und wie sehr man Ende doch der mächtigen Agrarindustrie hörig ist.
Trotz all der Lügen bleibt gleichwohl ein Lichtblick: Denn immerhin ist es nicht ganz bedeutungslos, auf welche Weise hier gelogen wird. Denn in den Lügen all der schönen Pavillons verrät sich doch die Anerkennung jener Werte, mit denen sich die Aussteller zu schmücken wagen: Ganz offensichtlich gibt es Einigkeit darüber, wie es denn eigentlich sein sollte; man weiß, wie man sich zeigen muss, um Sympathien zu gewinnen. Das nährt die Hoffnung, dass sich das Wertbewusstsein – wenigstens der Europäer, die sich diese Weltausstellung anschauen – tatsächlich in Richtung grün und Qualität gewandelt hat. Es gibt zu hoffen, dass Großkonzerne wie Nestle und Monsanto auf dieser Expo nicht sichtbar in Erscheinung treten und es unterlassen sich, ihrer vermeintlichen »Großtaten« für die Welternährung zu rühmen – dass sie sich offenbar genötigt sehen fortzubleiben; vielleicht weil sie sich schämen müssten, hier in diesem Reigen liebenswerter Lügner mitzutanzen.
Die Frage, die am Ende eines Expo-Tages bleibt, ist daher diese: Wie wird es uns gelingen, das Sollen mit dem Sein im Nahrungsmittelsektor abzugleichen: Wie kann es uns gelingen, Bio und Qualität nicht nur als Ideale gerühmt und vorgetäuscht zu bekommen, sondern sie wirklich in unsere Lebens- und Konsumgewohnheiten dauerhaft zu übersetzen. Gewiss beginnt der Wandel in den Köpfen – und deshalb ist es gut, wenn in Mailand wenigstens die richtigen Werte inszeniert werden. Dafür darf man der Expo dankbar sein. Entscheidend aber wird es sein, dass wir als Konsumenten und Verbraucher die Regierungen und Produzenten darauf verpflichten, mit ihren ach so hehren Idealen endlich ernst zu machen. Damit aus dem Gezeigten irgendwann noch Wahrheit wird.
Weitere Informationen:
Die Weltausstellung EXPO Milano 2015 unter dem Motto »Feeding the Planet – Energy for Life« dauert noch bis zum 31. Oktober 2015. Das Ausstellungsgelände ist täglich von 10 bis 23 Uhr geöffnet. www.expo2015.org
Gesellschaft | WIR - Menschen im Wandel, 01.10.2015
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