Hydrogen Dialogue 2024

Die Natur lehrt dich alles

Der Agrarpionier und seine revolutionäre Permakultur

Weil er unermüdlich gegen die Machenschaften der Agrarindustrie und unsinnige EU-Richtlinien kämpft, hat man ihn einen »Agrar-Rebellen« genannt. Dabei ist der österreichische Bergbauer Sepp Holzer ein zutiefst feinfühliger Mensch, der nichts lieber tut, als der Natur zu lauschen. Dieser Leidenschaft verdankt er tiefe Einsichten in die Grundprinzipien des Lebens, die er in der von ihm entwickelten Holzer’schen Permakultur zu einer zukunftsweisenden Agro-Ökologie verbunden hat.
 
Der 'Agrar-Rebelle' Sepp Holzer © www.seppholzer.atIrgendwie schien der Mann fehl am Platze. In seiner Trachtenjacke und seinen groben Schuhen fügte er sich schlecht in das Bild all der jungen und eleganten Menschen, die sich zum Eröffnungsdinner des Kongresses in Füssen fein gemacht hatten. Er stand mit seiner Frau etwas abseits und musterte mit leicht verkniffenen Augen das bunte Treiben. Ein komischer Kauz, dachte ich und konnte meine Augen doch nicht von ihm lassen. Zuletzt sprach ich ihn an – und erschrak fast ob der donnernden Antwort: »Wos i hier soll, weuß i oach net« oder so ähnlich kam es daher; und es dauerte eine Weile, bis ich herausfand, dass es sich bei diesem kernigen Mannsbild um einen der Referenten handelte; und dass er am nächsten Morgen über sein Sternchenthema reden würde: die Vision einer naturgemäßen Landwirtschaft namens Permakultur.

So lernte ich vor knapp zehn Jahren Sepp Holzer kennen – ihn, den sie den »Agrar-Rebellen« nennen, weil er sich mit zahlreichen Bürokraten und Technokraten angelegt hat; ihn, der nie ein Blatt vor den Mund genommen hat und keinem Hindernis ausgewichen ist, wenn es darum ging, seiner Vision einer anderen Landwirtschaft zu folgen – einer besseren Landwirtschaft, die mit der Natur arbeitet, statt sie auszubeuten; die dem Leben dient und nicht dem Profit.
 
Ein Energiebündel
Nun sitzen wir uns wieder gegenüber. Inzwischen ist er älter geworden, aber von seinem Elan ist nichts verloren gegangen. Er sprüht vor Energie und Tatkraft; so sehr, dass ich unwillkürlich ein Stück von ihm wegrücke – aus Sorge, von einem Funken versengt zu werden, der dem feurigen Geist dieses Mannes entspringt. Einen neuen Hof hat er unlängst bezogen, dessen neun Hektar er nun nach seinen Vorstellungen bewirtschaftet. Terrassen und kleine Teiche hat er angelegt, neue Mischkulturen gepflanzt und eingesät: all das, was er in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, studiert, erprobt und unter dem Label »Holzer‘sche Permakultur« in vielen Ländern der Welt erfolgreich zur Anwendung gebracht hat.

So auch auf seinem neuen Holzerhof im südlichen Burgenland. Nachdem dort das gemeinsam mit der früheren Eignerin begonnene Projekt eines Erlebnisbauernhofes gescheitert war, hat Holzer im März 2013 mit seiner Frau Veronika den Hof bezogen und genießt nun die etwas milderen Temperaturen als auf dem heimischen Krameterhof im Lungau, wo die Jahresdurchschnittstemperatur bei gerade mal 4,5 Grad liegt. Vor fünf Jahren schon hat Holzer den väterlichen Hof seinem Sohn Andreas übergeben und dem Ort seiner Kindheit den Rücken gekehrt. Das ist ihm nicht leicht gefallen, denn dort oben in den Bergen hat er seine Ausbildung erhalten. Dort ging er zur Schule – in seine Schule, die ihn alles lehrte und die er heute noch gerne »meine Universität« nennt: die Natur. »Wenn man sich die Zeit nimmt, die Natur zu beobachten«, verrät er in vertraulichem Ton, »dann bekommt man von ihr auf alle Fragen eine Antwort«.

»Ich hab genau hingeschaut«
Und dann erzählt er: »Als Kind war ich oft allein weit oben in den Bergen. Da musste ich mir meine Beschäftigung selber suchen. Und da habe ich dann angefangen, zwischen den Steinen und den Felsen etwas auszusäen – einfach so, aufs Geratewohl.« Fünf Jahre war er damals alt, aber die Neugier, die ihn bis heute nicht verlassen hat, war schon in ihm rege. Ganz wie sein Ehrgeiz: »Oh ja, ich wollte Erfolg mit meinen kleinen Experimenten haben«, erinnert er sich, »und ich hab sehr genau hingeschaut. Du siehst ja jeden Fehler, den du machst: ob etwas wächst, oder nicht. Wächst es nicht, versuchst du etwas zu ändern. So kommt eines zum anderen.« Auf diese Weise entdeckte Sepp Holzer die Prinzipien einer Anbauweise, die – wie er sagt – »auf einem Denken in Zusammenhängen und Wechselwirkungen beruht«: auf einem naturgemäßen Denken, dessen wichtigsten Aspekt er klar benennt: »Lerne, mit der Natur zu reden, lerne sie richtig einzuschätzen.« Denn: »Wer lernt zu beobachten, wird Nischen in der Produktion und in jedem Bereich der Landwirtschaft finden, die es ermöglichen, davon zu leben!«

Als der junge Sepp mit 19 Jahren damit begann, getreu diesen Maximen den elterlichen Hof umzukrempeln, hatte er freilich keine Ahnung davon, dass am anderen Ende der Welt ein australischer Ökologe namens Bill Mollison ähnliche Erfahrungen machte und diese seit Ende der 1970er Jahre unter der Überschrift Permakultur bekannt machte. Dieses Wort hörte Sepp Holzer erst später, als junge Wissenschaftler aus Wien seinen Hof begutachteten, um zu verstehen, was dieser Sonderling unter den Bergbauern eigentlich anstellt. Denn längst war der Ruf Sepp Holzers ins Flachland vorgedrungen, gab es doch Wunderbares vom Krameterhof zu berichten: von Südfrüchten, die dort oben im »österreichischen Sibirien« gediehen, von blühenden Obstbäumen auf über 1100 Meter Höhe, von üppigen Terrassenkulturen voller Beeren, Gemüse, Heilkräuter, Getreide und Blumen, von kleinen Teichen, die dazwischen im Sonnenlicht schimmern und in denen Fische, Krebse und Wasserpflanzen kultiviert werden; kurz: von einem allen Bewirtschaftungsplänen und landwirtschaftlichen Doktrinen spottenden Paradies, das nicht zufällig im Rahmen der EXPO 2000 in Hannover als vorbildliches Exponat vorgestellt wurde.
 
Fühlen, riechen, spüren
Sepp Holzer hat sich die Prinzipien der Permakultur ohne Lehrbuch angeeignet. © www.seppholzer.atMit Hexerei hat das alles nichts zu tun, wohl aber mit Achtsamkeit und Intuition. »Du spürst es«, antwortet Sepp Holzer lapidar auf meine Frage, wie es ihm gelungen ist, die Prinzipien der Permakultur auch ohne Lehrbuch oder Studium der Agrarwissenschaft zu entdecken und anzuwenden. »Fühlen, riechen, spüren: darauf kommt es an«, sagt er, denn »wenn du von der Natur lernen willst, musst du dich ihr mit dem ganzen Körper zuwenden; dann enthüllt sie dir etwas, dann fällt dir etwas ein, dann probierst du etwas Neues aus, worauf du sonst nicht gekommen wärst«.

So redet einer, der einen vertraulichen Umgang mit der Welt pflegt – der sich der Natur hingibt und ihr ausliefert, der die Kunst der Konversation mit Pflanzen und Steinen, mit Tieren und Bächen beherrscht. Ist das sein Geheimnis? »Du musst dich in dein Gegenüber hineinversetzen«, antwortet er, »musst spüren, was ein Kraut, ein Strauch oder auch ein ganzer Garten braucht, damit er im Gleichgewicht ist. Die Natur will immer Balance, das ist ihr Wesen.«

Ich bitte ihn um ein Beispiel, und schon sprudelt es aus ihm hervor: »Nimm nur das Wasser«, sagt er, »du musst lernen, mit dem Wasser hauszuhalten. Das ist das Wichtigste. Zu viel ist nicht gut, zu wenig ist auch nicht gut. Du brauchst einen ausgewogenen Feuchtigkeitshaushalt, und den bekommst du durch einen entsprechenden Bewuchs, durch angemessene Humusbildung, Beschattung, Bewässerung.« Ganz klar: Der richtige Umgang mit Wasser ist für ihn der Schlüssel zum Erfolg. »Wenn du das Wasser verstehst und intelligent mit ihm umgehst, gedeiht alles besser. Und wenn alles besser gedeiht, hast du weniger Arbeit!« Auf das Umfeld komme es an: darauf, alles so zu arrangieren, dass es einander unterstützt und stärkt, ohne dabei Abhängigkeiten zu erzeugen. »Ich versuche, die Pflanzen selbständig zu machen«, sagt er. »Es soll alles selbständig sein – und zwar so, dass es dem Ganzen zugute kommt.«
 
Eins greift ins andere 
Unwillkürlich kommt mir da eine Assoziation in den Sinn: »Das ist ja wie in einem Unternehmen«, erwidere ich, »bei dem der Chef sein Team so organisiert, dass jeder den anderen unterstützt und der Laden mehr oder weniger von alleine läuft.« Das Bild gefällt ihm. »Ja, so ist es«, sagt er und erklärt: »Permakultur heißt: Eines greift ins andere, eines hilft dem anderen, ein lebendiges Netzwerk, bei dem alles mit allem verbunden ist.« Genau wie eine Führungskraft müsse sich deshalb auch der Landwirt im Klaren darüber sein, dass es absolut kontraproduktiv ist, ein lebendiges System dauernd mit Energie von außen zu versorgen: »Wenn ich zusätzlich Nährstoffe gebe und meine Pflanzen dünge, läuft alles aus dem Ruder«, erklärt er. »Dann mache ich sie süchtig und von mir abhängig. Dann verlieren sie ihre Widerstandskraft. Genau das ist verkehrt. Sie müssen selbständig sein.« Erstaunlich, denke ich mir: Auch hier können Unternehmer einiges von der Permakultur lernen: nämlich dass es eine funktionierende, Selbständigkeit und Kooperation fördernde Unternehmenskultur braucht, wenn reiche Erträge erzielt werden sollen.

Aber das ist noch nicht alles. Sepp Holzer kommt jetzt in Schwung: »Damit meine Pflanzen selbständig sind, muss ich dafür sorgen, dass sie sich wohlfühlen«, fährt er fort. Wie das geht? Ganz einfach: durch Empathie. »Wenn dir den ganzen Tag die Sonne auf den Pelz brennt, geht es dir nicht gut. Warum sollte es da einer Pflanze anders gehen? Die leidet genauso, das kannst du spüren. Dafür musst du kein Hellseher sein. Du musst nur hinschauen und dich in die Pflanze hineinversetzen, musst dir sagen: Ich bin dieser Klee, ich bin diese Sonnenblume. Und dich fragen: Wie würde es mir an ihrer Stelle gehen? Oder: Was würde mir jetzt gut tun?«
 
Immer gibt es etwas Neues
Einfühlungsvermögen, ein Sich-hinein-Denken in die Situation anderer Wesen: Das ist es, was in Sepp Holzers Augen die wichtigsten Tugenden des Wirtschaftens sind. Und der Garant für dessen Erfolg. Aber es scheint auch etwas zu sein, das weitgehend verloren gegangen ist. Wer bringt heute noch die Bereitschaft auf, sich in die Natur einzufühlen, sie als Partner ernst zu nehmen. »Haben wir uns nicht vielmehr die Sichtweise eines René Descartes zu eigen gemacht, der schon im 17. Jahrhundert die Forderung erhob, der Mensch solle Herr und Meister der Natur sein?«, frage ich ihn, doch noch bevor mein Satz zu Ende ist, braust mein Gegenüber auf: »Also, das weise ich entschieden zurück! Wenn ich sowas höre, dann packt’s mich. Was für eine Dummheit!«

Jetzt blitzt ein heiliger Zorn in seinen Augen und ich verstehe, warum sich manche vor ihm fürchten. Ja, es spricht eine machtvolle Stimme aus ihm: »Die Natur ist perfekt«, sagt sie, »der Mensch soll auf die Natur hören, nicht umgekehrt! In tausend Jahren kann der Mensch nicht auslernen. So viel hält die Natur für ihn bereit. Immer gibt es etwas Neues. Das aufgeschlagene Buch der Natur ist unerschöpflich.« Mein bescheidener Versuch, auf die Errungenschaften der neuzeitlichen Technik zu verweisen, geht ins Leere. »Der Mensch, der sich von der Natur abwendet und glaubt, gescheiter zu sein als sie, betrügt sich selbst«, hält er mir entgegen: »Die Natur besteht seit Jahrmillionen. Sie ist so gigantisch, dass ein menschliches Hirn sie gar nicht fassen kann. Alles, was der Mensch tun kann, ist die Natur wahrnehmen; um ihr zu entsprechen und gerade nicht um sie zu beherrschen oder gar zu bekämpfen.«

Dafür aber sei ein gründliches Umdenken nötig. Von der Geburt an, meint er, müsse man die Kinder zu einem respektvollen und achtsamen Umgang mit der Natur erziehen. Auf die Errungenschaften der Pädagogik gibt er dabei freilich wenig: »Wenn ich an unser Schulsystem denk’, da stellt‘s mir die Haar auf«, stöhnt er und erzählt davon, wie glücklich seine Ausbildungsteilnehmer sind, wenn sie bei ihm endlich einmal die Erde riechen und Pflanzen fühlen dürfen. »Erwachsene Leut’, die noch nie ihre Hände im Humus hatten!«
So etwas den Kindern vorzuenthalten, ist in seinen Augen ein Skandal. »Kinder müssen mit der Natur erzogen werden, nicht von ihr weg.«
 
Dickschädel von großem Format
Und Erwachsene ebenso. Das ist wohl der Grund dafür, dass Sepp Holzer seit einigen Jahren viel Zeit und Energie darauf verwendet, sein Wissen in Ausbildungsgruppen weiterzugeben. Der Andrang ist groß und schon längst kommen die Teilnehmer aus aller Herren Länder. Kein Wunder, denn Sepp Holzer hat seine Aktivitäten über die Jahre immer weiter ausgedehnt. Spanien, Russland, Portugal, Kolumbien, Ecua- dor, Thailand, Kenia – kaum eine Region, in der er nicht mit Hilfe der Holzer‘schen Permakultur das scheinbar Unmög- liche möglich gemacht hätte: verstepptes Land rekultivieren, Trockengebiete neu beleben, verbrannte Erde in Ackerland verwandeln.

Doch so erfolgreich er ist, so viel Gegenwind bläst ihm auch entgegen. Schon als er auf dem Krameterhof seine Obstbäume pflanzte, stand die Obrigkeit bei ihm auf der Matte, um seinen unkonventionellen Bewirtschaftungsmethoden den Garaus zu bereiten: Obstplantagen statt der vorgeschriebenen Fichten-Monokulturen? Nein, so etwas geht doch nicht. – Es ging doch. »Zivilcourage und nicht Lemmingverhalten ist notwendig, um sich gegen diesen praxisfremden, aufgeblähten Verwaltungsapparat zur Wehr zu setzen«, schrieb er später in einem Offenen Brief, den man auf seiner Internetseite nachlesen kann. Für ihn die Lektion aus zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, die ihm den Ruf einbrachten, ein »Dickschädel und Querdenker von großem Format« (Bernd Lötsch) zu sein.
 
Verbrechen der Agrarindustrie
Sepp Holzers Einstellung: Jeder hat Erfolg, wenn er die Natur und die Zeit für sich arbeiten lässt. © www.seppholzer.atDiese Qualitäten scheinen wohl auch nötig zu sein, wenn man sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts erkühnt, den guten, alten Stand des Landwirts gegen die Übermacht einer ag- gressiven globalen Agrarindustrie zu verteidigen. »Die Verschmutzung der Luft, die Verseuchung des Wassers und der Erde durch Einsatz von Chemie und Kunstdünger in der Monokulturlandwirtschaft beraubt uns einer gesunden Lebensgrundlage«, klagt er in seinem Offenen Brief. Und ich spüre förmlich den Ekel, der den alten Bergbauern übermannt, sobald er auf Massentierhaltung und Schlachthöfe zu sprechen kommt. »Sehen’s, das sind Menschen, die sich verirrt haben«, seufzt er, »Menschen, die nicht mit der Natur groß geworden sind und nun mit ihrer Gentechnik Herrgott spielen.« Ein Verbrechen sei das. Geldgier und nichts anderes. »Das wird uns noch schwer zu schaffen machen.«

Vor allem die Kurzsichtigkeit der Agrarindustrie bringt Sepp Holzer auf die Palme. »Früher pflanzte man einen Baum für die Urenkel. Das war eine Investition auf lange Zeit. Du schautest zu und hattest deine Freude daran, wie der Baum langsam wächst. Du freutest dich, wenn deine Kinder die Früchte des Baums ernten konnten. Und wenn deine Zeit ’rum war, wusstest du, dass deine Nachkommen von deiner Investition würden leben können. »Jeder«, sagt er mit seiner unvergleichlich festen Stimme, »jeder hat Erfolg, wenn er die Natur und die Zeit für sich arbeiten lässt. Alles andere ist Selbstbetrug, Raubbau und Diebstahl an unseren Nachkommen.«
Von der Politik erwartet er keine Rettung für die Bauern. Im Gegenteil: »Alte und seit Jahrhunderten bewährte Veredelungs- und Verarbeitungsmethoden werden per EU-Verordnung verhindert bzw. verboten«, klagt er. »Zentrale, riesige Verarbeitungsstätten wie Schlachthöfe, Großbäckereien, Brennereien, Molkereien und Käsereien usw. werden mit der Verarbeitung beauftragt und hoch gefördert. Damit diese jedoch ausgelastet sind, hat man den Bauern die Möglichkeiten der Selbstverarbeitung und Veredlung ihrer eigenen Produkte erschwert bzw. entzogen. ... Der Bauer als Sklave auf seinem eigenen Hof, meist hoch verschuldet durch die Übermechanisierung und Spezialisierung, abgerackert, bevormundet und von all den administrativen Aufgaben und Schikanen unseres aufgeblähten Verwaltungsapparates überfordert, fristet er sein Leben in der totalen Abhängigkeit.«
 
Die große Natur sorgt für uns
Dass es auch anders geht, hat Sepp Holzer in den über 50 Jahren seines aktiven Lebens als Landwirt eindrucksvoll bewiesen. Dafür, dass es anders werden muss, kämpft er ohne Unterlass. Und ohne Angst. Die hat er längst verloren. Schon damals, als der kleine Bub droben in den Bergen im Gras lag und den Grillen lauschte. Da lernte er, dass die große Natur für ihn sorgt. Und nicht nur für ihn.

Ob ich das auch lernen könne, möchte ich wissen. Er hält kurz inne. Und als ob eine Erinnerung ihn von innen erhellte, leuchten seine Augen, da er spricht: »Red‘ doch mal mit einem Baum! Da musst dich nicht schämen. Da umarmst du ihn und erzählst ihm deine Sorgen. Da wirst du feststellen, dass es dir leicht ums Herz wird. Dann lernst du der Natur vertrauen.«
 
Sepp Holzer ist von Geburt an in der Natur zuhause. Das Licht der Welt erblickte er im Sommer 1942 auf dem 1300 Meter über dem Mee- resspiegel gelegenen Krameterhof seiner Eltern, weit oberhalb der Ortschaft Ramingstein im Lungau (bei Salzburg). Er war der jüngste von drei Söhnen und musste schon als Bub kräftig mit anfassen, denn seine Eltern waren konservativ und ver- wahrten sich gegen technische Innovationen. Erreichbar war der elterliche Hof nur über einen unbefestigten Weg, über den der junge Sepp allmorgendlich zwei Stunden hinab ins Tal zur Schule steigen musste – und nachmittags wiederum zwei Stunden zurück zum Hof. Doch blieb ihm genügend Zeit, seine ersten Keim- und Pflanzexperimente durchzuführen, die ihm frühe Einblicke in die ökologischen Zusammenhänge der Natur offenbarten. Nach der Volksschule besuchte er die land- wirtschaftliche Fortbildungsschule und machte die Obstbaumwärter Ausbildung. 1962 übernahm er den elterlichen Hof und machte sich bald daran, die althergebrachten Bewirtschaftungsmethoden umzustellen. Sein Schulwissen half ihm dabei wenig, wohl aber seine Kindheitserfahrungen, die er nun systematisch anwandte und zu seiner später von ihm so bezeichne- ten Holzer’schen Permakultur fortentwickelte. Darin verbindet er innovative Ideen mit alten Methoden, wie Terrassenbau, Hügel- und Hochbeeten, dem Halten gefährdeter Nutztierrassen und dem Schutz bedrohter Alpen- und Kulturpflanzen. Die Erfolge waren beachtlich und wurden von Holzer in zahlreichen Publikationen festgehalten. 2009 übergab er den nunmehr zu einem viel besuchten Naturparadies gewordenen Krameterhof an seinen Sohn Andreas und wohnt seit 2013 in dem von ihm neu bewirtschafteten Holzerhof im Südburgenland, wo er auch Seminare und Lehrgänge anbietet. Dieser Umzug war mit einigen Turbulenzen begleitet, da die frühere Eigentümerin des Hofes Gertrud Barradas ein Gerichtsverfahren gegen Holzer anstrengte, das jedoch durch eine außergerichtliche Einigung zum Erliegen kam. Die Vorwürfe von Frau Barradas be- zogen sich auf das ursprünglich von ihr mit Holzer gemeinsam verfolgte Projekt eines »Naturerlebnis-Kinderbauernlandes«, für dessen Scheitern sie Holzer verantwortlich macht. www.seppholzer.at

Gesellschaft | WIR - Menschen im Wandel, 01.04.2014
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