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Geplanter Verschleiß lässt Kunden verzweifeln

Frühzeitiger Geräteverschleiß sorgt für wachsende Müllhalden, Ressourcenverschwendung und wütende Kunden. Bauen Hersteller in ihre Produkte gezielt Schwachstellen ein?

Das Handrührgerät (RG28) und der Multiboy-Universalzerkleinerer aus der ehemaligen DDR stehen noch heute in vielen ostdeutschen Küchen: In der Planwirtschaft waren Ressourcen so knapp, dass Geräte lang halten mussten.
Foto: © Gerhard Teucher
Sie brennt und brennt und brennt. Im Jahr 1901 machte jemand das Licht an, seither leuchtet der Kohlefaden der Glühbirne aus dem kalifornischen Livermore. Rund um die Uhr filmen Kameras unter www.centennialbulb.org das Wunder von Livermore, das die Einwohner ehrfurchtsvoll "Centennial Light" (Englisch: hundertjähriges Licht) nennen. Ironischerweise hat die Jahrhundertlampe, die in einer Feuerwache hängt, bereits drei Webcams überlebt. Weshalb ist eine greise Funzel so viel robuster als moderne, teure Technologien?

"Geplante Obsoleszenz", also der von Herstellern bewusst herbeigeführte frühzeitige Verschleiß von Produkten, lautet der Verdacht vieler Verbraucher. Demnach verkürzen Unternehmen die Lebensdauer ihrer Geräte mutwillig, um den Konsum anzukurbeln und Masse statt Qualität zu verkaufen. Die empörte Diskussion um den gewollten Geräteverschleiß findet derzeit in vielen Medien und Foren statt, ist aber alles andere als neu.

Schon 1924 beschlossen die führenden Glühlampenhersteller der Welt, die Lebenserwartung ihrer Birnen zu begrenzen. Das "Phoebus-Kartell" wollte den Markt unter sich aufteilen und den Verbraucher zwingen, möglichst viele Glühbirnen zu kaufen. Deshalb ließ das Kartell anfälligere Birnen produzieren und verkürzte ihre Lebensdauer auf 1.000 Stunden. Brannten die Lampen wesentlich länger, drohten den Mitgliedern empfindliche Bußgelder.

Für Stefan Schridde, den Betreiber der Plattform "Murks? Nein danke", steht außer Frage, dass Unternehmen auch heute gezielt Schwachstellen in ihre Produkte einbauen. "Warum sonst entscheiden sie sich für das Material, das schneller kaputt geht, obwohl es bei sonst gleichen Kosten robustere Alternativen gibt? In einem Konzern passiert nichts zufällig, alles ist geplant."

Eine Ursache für die geplante Obsoleszenz sieht Schridde in der Anreiz-Struktur von Shareholder-Value getriebenen Unternehmen. Ein Beispiel sei der Konsumgüter-Konzern Proctor & Gamble. Er gebe das Management seiner Markenartikel an Menschen, die frisch von der Uni kommen. Der Produktmanager erfülle seine Zielvorgaben, innerhalb von wenigen Jahren einen bestimmten Umsatz zu erzielen. Das funktioniere nun mal besonders gut, wenn der dafür sorge, dass mehr Artikel gekauft würden. "Da der Produktmanager seinen Applaus vom Geldgeber und nicht direkt vom Markt, also von den Kunden bekommt, hat er keinen Grund, auf Langlebigkeit von Produkten zu setzen". Nach drei Jahren verlasse er seinen Posten. Dann beginne das Spiel mit dem nächsten ehrgeizigen Absolventen von vorn, der wiederum nur auf die Absatzzahlen achte.

Ob Hersteller ihre Produkte gezielt mit künstlichen Achillesfersen versehen, ist allerdings schwer zu beweisen. Die Stiftung Warentest findet keinen Beleg für die geplante Obsoleszenz. Insbesondere Haushaltsgeräte gingen heute nicht häufiger kaputt als früher. Stefan Schridde kontert, die Testverfahren seien nicht geeignet, um grobe Unterlassung bei der Qualität zu erkennen. Die Stiftung Warentest betrachte nur, wie haltbar das Gerät sei, nicht wie haltbar es sein könnte. Zudem sei der Testzeitraum ab 2003 zu kurz.

Die Metalle, die im Fairphone stecken (rechts) stammen nicht nur aus zertifizierten Minen. Seine Bestandteile sind auch reparier- und austauschbar, um eine lange Lebensdauer zu gewährleisten.
Foto: © Fairphone

In jedem Fall scheinen die Zeiten vorbei zu sein, in denen man LKWs mit Strumpfhosen abschleppen konnte. "Hersteller planen, wie lange ein Produkt halten soll", sagt auch Albert Albers, Leiter des IPEK Institut für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie. "Das Ziel ist, ein Gerät so gut wie nötig zu bauen, nicht so gut wie möglich".

Um den Umsatz zu steigern, nutzen Firmen Kniffe wie fest eingebaute Akkus, hohe Reparaturkosten, fehlende oder teure Ersatzteile. Diese Erfahrung machte auch die forum-Redaktion. Sie erwarb einen Akku-Bohrschrauber der Firma Black&Decker für etwa 30 Euro. Als der Akku nicht mehr funktioniert, erkundigt sich die Redaktion nach den Kosten für die Reparatur. Vom Kundendienst, den Black&Decker an einen Dienstleister outgesourced hat, heißt es, kaputte Akkus würden nicht repariert. Man müsse einen neuen Akku kaufen, Preis: 41 Euro - mehr also, als das ganze Gerät gekostet hat.

Auf die Frage, warum Black&Decker defekte Akkus nicht repariere, antwortet die freundliche Servicekraft: "Das ist heute so. Wir sind eine Wegwerfgesellschaft." So einfach? Eine weitere Nachfrage bei einem ebenso freundlichen Techniker ergibt, dass es sicher möglich sei, den Akku zu reparieren. Nur eben nicht vorgesehen. Ein Zulieferer verkaufe die Akkus so teuer an Black&Decker, dass "es sich nicht lohnen würde, Geld für die Reparatur auszugeben". Black&Decker ist keine Ausnahme. Auch andere Hersteller bieten keine Akkureparatur an.

Keine Wegwerfgesellschaft war die DDR. Es fehlte an Bauteilen, Rohstoffen, Produktionskapazitäten und an Konkurrenz. Ressourcen waren viel zu knapp, um sie zu verschwenden. Im Osten baute man daher Geräte, die lange hielten und die man schnell reparieren konnte. Noch heute finden sich in vielen ostdeutschen Küchen die berühmten Multiboy Universal-Zerkleinerer. Muss man gleich zurück zur Planwirtschaft, um Verschwendung zu vermeiden?

Mit einem zweiten Bohrschrauber aus dem Umfeld der forum-Redaktion geht es zur BATTIV GmbH, der einzigen Reparatureinrichtung für Akkus in München. Auch bei dem Akku-Bohrschrauber der Firma Ryobi lahmt der Akku. Das Gerät hat immerhin 110 Euro gekostet und ist ein solides Mittelklassegerät. Ein defekter Akku soll diesmal nicht das Todesurteil sein. Die Kunden von Geschäftsführerin Andrea Pölert werfen kaputte Geräte nicht einfach weg, da sie keine billige Massenware kaufen.

"Wenn ich einen Bohrschrauber mit Koffer und Zusatzakku im Baumarkt für 40 Euro kaufe, dann schrecken mich Reparaturkosten von 40 Euro natürlich ab", sagt Pölert. So jemand kauft dann wieder das nächste Billigprodukt, für das es keine Ersatzteile gibt. Pölert sagt, sie möchte niemandem etwas unterstellen. Doch es mache sie skeptisch, wenn Hersteller Geräte nicht reparieren, weil die Garantie abgelaufen sei oder sich das Gehäuse nicht öffnen ließe. "Jeder Bastler kriegt so etwas mit einem kleinen Lötkolben hin", meint Pölert.

Nicht ohne meine Akkubohrer: forum-Trainee Kim Schumacher (rechts) und BATTIV-Geschäftsführerin Andrea Pölert.
Foto: © Fritz Lietsch
Eine Woche später stecken im defekten Akku neue, hochwertige Zellen. Der Effekt: War der Schrauber zuvor ein Lada, ist er dank des starken Akkus jetzt ein Sportwagen. Natürlich hat die Reparatur mit 61,10 Euro ihren Preis. Darin spiegeln sich der teure Standort, die Beratung vor Ort und die hochwertigen Ersatzteile. Dafür ist die Qualität des Produkts dank der erhöhten Lebensdauer des Akkus deutlich besser, Ressourcen und Umwelt wurden geschont. BATTIV hat aus der Not fehlender Reparaturangebote eine Tugend und ein funktionierendes Geschäftsmodell gemacht. "Als Verbraucher würde ich mich aber ärgern", sagt Pölert.

Tatsächlich fragt man sich, weshalb viele Menschen die Frustrationstoleranz von Betonklötzen haben und die vielen "Inkompatibilitäten" und sonstigen Ärgernisse verzeihen, mit denen Hersteller wie Apple Marken-Monokulturen züchten. "Sie sehen darüber hinweg, weil für sie der soziale Nutzen eines iPhones wichtiger ist, als seine Funktionalität oder die Lebensdauer", sagt Umweltpsychologe Andreas Ernst, Geschäftsführender Direktor am Center for Environmental Systems Research an der Uni Kassel.

Zudem spiele die Haltbarkeit für Smartphones ohnehin eine geringe Rolle: "Ihren Lebenszyklus begrenzt nicht die technische Obsoleszenz, sondern der Innovationszyklus, also wann das Nachfolgeprodukt erscheint. Das öffnet der Produktdegradation natürlich Tür und Tor".

Dennoch können Hersteller von Murks die Reputation ihrer Marke aufs Spiel setzen oder aber auch durch hohe Qualität und Rücknahmesysteme Kunden an sich binden. So hat Apple in Großbritannien das sogenannte "Reuse and Recycling"-Programm gestartet, das es Nutzern erlaubt, ihr altes iPhone direkt im Appleshop abzugeben und mit einem Einkaufsgutschein ein neues iPhone zu erwerben. Viel weiter geht das Fairphone. Es wird nicht nur unter ethischen Bedingungen produziert und verwendet Rohstoffe aus zertifizierten Minen. Seine Macher haben auch auf Reparierbarkeit geachtet und in das Fairphone Standardanschlüsse integriert. Kunden sollen vorhandenes Zubehör nutzen, weshalb Fairphone keine Ladegeräte, Kabel oder Kopfhörer mitliefert.

"Die Haltbarkeit von Produkten führt zur Haltbarkeit von Kundenbeziehungen", ist Stefan Schridde überzeugt. Nicht zufällig heiße es "so wie Miele". Natürlich seien Miele-Produkte teurer. Dennoch sei dieses Image für das Marketing wertvoll, denn so könne man erfolgreich neue Produkte aufbauen. Ähnliches gelte für Volkswagen. "Einen gebrauchten VW kann man immer guten Gewissens kaufen. Der ist fast so gut wie neu und so geplant, dass man ihn gut reparieren kann".

Am besten natürlich, man produziert gar nichts, was später einmal auf der Müllhalde landen wird. Intelligente Verschwendung verheißt das Cradle to Cradle-Konzept (von der Wiege bis zur Wiege), das Michael Braungart, der Leiter der Hamburger Beratungsfirma EPEA Internationale Umweltforschung maßgeblich entwickelt hat (siehe S. 28). Demnach sollen sich sämtliche Bauteile entweder als Verbrauchsgüter in biologische oder in technische Kreisläufe überführen lassen. Kleidung wird so vollständig kompostierbar. Kunden kaufen keine Waschmaschinen mehr, sondern ihre Dienstleistung, also 3.000 Mal waschen. Behalten Hersteller ihre Geräte, haben sie einen großen Anreiz, Materialien einzubauen, die lange halten.

Dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Denn was gut für die Umwelt ist, muss nicht zwangsläufig besondere Reize auf den Verbraucher ausüben. "Öko ist zwar aus dem Birkenstock-Image raus. Ich habe das Cradle to Cradle-Produkt aber noch nicht gesehen, das so attraktiv ist, wie ein iPhone", sagt Umweltpsychologe Andreas Ernst.

Der Glühbirne von Livermore kann es egal sein. Sie ist weiter ein leuchtendes Beispiel dafür, wie lange Dinge halten können, die lange halten sollen. Doch Moment: Die Webcam zeigt nichts als Dunkelheit. Ist die Lampe nach 112 Jahren nun doch verglüht? Stunden der Ungewissheit muss die Facebook-Gemeinde der Centennial Bulb am 20. Mai 2013 ertragen. Dann endlich: Entwarnung und kollektives Aufatmen der Fans. Die Technik hat gezickt. Nicht die der Glühbirne, versteht sich. Das Notfallaggregat, an dem die Birne hängt, ist ausgefallen.


Wegwerfen? Es geht auch anders!

Reparieren.

Reparaturtreffs wie das Repair Café (repaircafe.de) sind kostenlose Treffen, bei denen man allein oder gemeinsam mit anderen alle möglichen Dinge reparieren kann. An den Orten, an denen Repair Cafés stattfinden, sind Werkzeug und Material vorhanden. Reparaturexperten wie Elektriker, Schneiderinnen, Tischler und Fahrradmechaniker unterstützen. Ähnliches bieten der Verbund Offener Werkstätten (offene-werk?staetten.org) und das R.U.S.Z. aus Österreich (rusz.at) an.

Zudem findet man im Netz unter iFixit (ifixit.com) detaillierte Repa?raturanleitungen für sämtliche Geräte, vom Smartphone bis zur Spielkonsole.

Wer nicht selbst zum Lötkolben greifen will, wende sich an Liegen?geblieben.com oder nutze die Reparatursuchmaschine
www.reparado.de. Sie zeigt Spezialisten vor Ort an, die die Repara?tur übernehmen.


Weiterverwerten.

Der Verein ReUse Computer (reuse-computer.org) kümmert sich um die Weiterverwertung von Computern. Die gemeinnützige AfB GmbH (afb-group.eu) haucht jährlich 200.000 IT-Gebrauchtgeräten neues Leben ein oder entsorgt sie fachgerecht - und schafft damit Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung.    



Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 14.01.2014
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2014 - Smarte Produkte erschienen.
     
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