Aufbruch zu Veränderungen

Unternehmen können auch anders

Unser heutiges Industriezeitalter entstand aus der Aufklärung und der zunehmenden Fähigkeit der Menschen, sich die Kräfte und Reichtümer der Natur nutzbar zu machen. Die Mentalität, die sich zu Beginn des Industriezeitalters herausbildete, war gut angepasst an die damalige Zeit, als vergleichsweise wenige Menschen auf der Erde lebten und die Natur noch unerschöpflich schien. Weniger geeignet ist diese Mentalität für die heutige Welt mit ihren nahezu sieben Milliarden Bewohnern und massiv unter Druck stehenden Ökosystemen.

Aufbruch zu Veränderungen - Unternehmen können auch anders;© Ray Anderson, Mona Amodeo und Jim Hartzfeld
Entscheidend für die notwendige Neuausrichtung der Ökonomie sind dabei die Institutionen, die sie vor allem vorantreiben: die Unternehmen. In den kommenden Jahrzehnten müssen die Geschäftsmodelle und Einstellungen der Unternehmen fundamental neu ausgerichtet werden, soll der Wert der Unternehmen für ihre Kunden, Anteilseigner und anderen Anspruchsträger erhalten bleiben. Mehr und mehr Organisationen entdecken die Nachhaltigkeit als mögliche Quelle für Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig begreifen viele Unternehmen diese Herausforderung bloß als eine Reihe rein technischer Probleme, die gelöst oder als clevere Marketingkampagne, die umgesetzt werden muss. Die vielleicht größte Gefahr dabei ist, dass solche oberflächlichen Ansätze Unternehmen den Anschein von Fortschritt vorgaukeln - ein Irrtum, der auf lange Sicht wahrscheinlich ihren Untergang bedeutet.

Unternehmen dagegen, die bereit sind, ihre eigene Kultur zu ändern, haben die Chance, »First-Mover«-Vorteile abzuschöpfen. Der Weg zur Nachhaltigkeit wird zwar für jedes Unternehmen anders aussehen, aber ein grober Fahrplan, der auf den Erfahrungen und Erkenntnissen von Pionierunternehmen und Wissenschaftlern basiert, kann helfen, schneller ans Ziel zu kommen.


Die Geschwindigkeit, mit der ein Unternehmen neue Ideen übernimmt und damit neue Geschäftschancen erschließt, kann durch das Verständnis des Ablaufs von Veränderungen und strategischer Entscheidungen beträchtlich erhöht werden. Veränderungen dieser Größenordnung ereignen sich selten über Nacht. Man kann sich die Transformation als einen dynamischen Prozess vorstellen, in dem durch die Infusion von Wissen, Weisheit und unmittelbaren Erfahrungen an der Basis neue Verbindungen, Beziehungen und Netzwerke entstehen und sich weiterentwickeln.

Aufbruch: die Vision definieren. Damit Veränderungen eintreten können, muss ein Unternehmen zuerst offen dafür sein, abweichende, möglicherweise auf neue Herausforderungen oder Chancen hindeutende Signale wahrzunehmen und zu verarbeiten. Solche Signale können aus dem Unternehmen selbst oder von außen stammen, subtil oder das Gegenteil davon sein. Auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit, das Thema Nachhaltigkeit in Angriff zu nehmen, kann auf vielfältige Weise stimuliert werden: von oben durch eine inspirierte Führung, von unten durch engagierte Mitarbeiter, durch ein technisches oder physikalisches Problem, durch plötzliche Kostensprünge oder Lieferengpässe bei Schlüsselressourcen. Irgendwann werden die sich abzeichnenden Risiken oder Chancen so »real«, dass die Organisation beginnt, mehr Informationen zu sammeln und Rat zu suchen.

Sobald eine grobe Richtung vorgegeben ist, kann eine kleine Gruppe von Erneuerern oder »Scouts« die Größenordnung der Herausforderung und ihre Bedeutung für die Organisation ausloten und dann eine mögliche Zukunftsvision entwerfen. In dieser Phase ist es wichtig, die Skepsis zu überwinden und gemeinsam mit dem Management die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit - was sie für jeden einzelnen und was sie für die Organisation insgesamt bedeutet - eingehend und offen zu analysieren. Eine natürliche Neugier und die Fähigkeit, dem Druck der dominanten Glaubensmuster (und der bestehenden Strukturen) zu widerstehen, sind unerlässlich, sollen neue und ungewöhnliche Signale die Organisation durchdringen und den natürlichen Reflex zur Bewahrung des Status quo überwinden. An diesem Punkt muss die Leitung die Entscheidung treffen, die Reise fortzusetzen. Nachdem eine klare Vision entwor-fen ist, geht es nun darum, andere innerhalb der Organisation mit ins Boot zu holen - wobei die an der Spitze als Boten, Evangelisten, Lehrer und Einpeitscher agieren.

Cocooning: den Fahrplan erstellen. Nachdem die Vision definiert ist, muss das Unterneh-men entscheiden, wie sie konkret umgesetzt werden soll. Neben detaillierten Planungen und ersten Prototypen wird das Gelernte aus der Aufbruchsphase intensiviert und im Unternehmen und darüber hinaus breiter kommuniziert. Daraus entsteht ein Handlungsfahrplan, der norma-lerweise Ziele, Termine, Ressourcenverteilung und - vor allem - Maßzahlen umfasst.
Da wir üblicherweise nur unterstützen und verteidigen, was wir selbst mit errichten und erschaffen, muss in dieser Phase durch entsprechende Aktivitäten das Bewusstsein der Mitarbeiter innerhalb der Organisation für das Nachhaltigkeitsprinzip und die damit verbundenen Probleme, Herausforderungen und Chancen weiter gestärkt werden. Oftmals kann »das Ganze« einer Organisation erst dann verändert werden, wenn das Kollektiv geschlossen hinter der Aufgabe steht, gemeinsam eine neue Zukunft zu gestalten. An diesem Punkt ist es wichtig, durch Dialog, gemeinsames Erkunden, Gemeinschaftsbildung und modernsten "Change"-Methoden, die neue Wege des Denkens und Wandels unterstützen, die kreative Intelligenz der Organisation und ihrer Stakeholder zu nutzen.

Ein besonderes Beispiel für ein extern unterstütztes Cocooning bietet Walmart mit seinem Sustainable Value Network und seinen vierteljährlichen Milestone-Meetings. Ab 2005 richtete Walmart 14 Teams für die großen Produktkategorien und Querschnittsthemen wie Abfall, Verpackung und Transport ein. Ein bemerkenswerter Aspekt dieser Phase war, wie stark Walmart Zulieferer und Umweltgruppen mit einbezog. Getreu dem Walmart-Leitmotiv in dieser Zeit - »Kooperation und Innovation« - organisierte das Unternehmen kollektive Lernver-anstaltungen für sein gesamtes NachhaltigkeitsNetzwerk.

Metamorphose: die Organisation ausrichten. Sobald ein klarer Fahrplan erstellt ist und erste Prototypen vorliegen, beginnt die anstrengende Aufgabe, den Wandel im gesamten Unternehmen voranzutreiben - ein Prozess, der wie bei der Metamorphose einer Raupe höchstwahrscheinlich die kreative Vernichtung eingeschliffener Denkweisen und Abläufe verlangen wird. Als ein auf eine kleine Mitarbeitergruppe begrenztes Programm kann Nachhaltigkeit nicht funktionieren. Diese Phase ist von intensivem Lernen und Experimentieren geprägt. In dieser oft chaotischen Zeit muss die Führung die Organisation immer wieder an die Vision erinnern und gleichzeitig die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Die Führer sollten die Entwicklung von Innovationen unterstützen, dabei aber eine hohe Toleranz gegenüber Fehlschlägen an den Tag legen. Die Erlaubnis zu Fehlschlägen ist Voraussetzung dafür, dass Men-schen ihr innovatives Potenzial voll ausschöpfen.

Strukturen und Programme, die das Lernen in der Organisation dadurch unterstützen, dass sie Erfolge belohnen und feiern, stärken das Engagement und motivieren die Mitarbeiter, weiterzumachen. Die erforderlichen finanziellen und humanen Ressourcen bereitzustellen, ist von entscheidender Bedeutung. Und so viel es bewirken kann, die "Nachhaltigkeitsgeschichte" im Unternehmen und außerhalb zu erzählen, kommt es doch auch darauf an, dass die Geschichte authentisch ist, dass nicht die Worte den Taten vorauseilen.

Emergenz: fortlaufende Integration. Wenn die Metamorphose ein kritisches Stadium erreicht, mehr Mitarbeiter erfasst und Erfolge vorweist, wird die Dynamik durch die entstandene positive Energie des Prozesses beschleunigt. Erste Erfolge führen zu Lerneffekten, die weitere Innovationen anregen. Aussagekräftige Indikatoren treiben positive Rückkoppelungsschleifen des Lernens, Handelns, Messens und Erkennens an, was wiederum die neuen Werte unterstützt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, ab dem das Unternehmen seine Identität voll auf Nachhaltigkeit ausrichten muss und die damit verbundenen Überzeugungen und Verhaltensweise in die DNA der Organisation, in ihre kulturellen Annahmen, eingraviert werden. Ohne diesen Grad der vollen kulturellen Integration wird die Organisation niemals wirklich »abheben« können.

Engagement: andere mitreißen.Egal wie weit ein Unternehmen auf seiner Nachhaltigkeitsreise schon vorangekommen ist - das Engagement bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Jede neue Stufe des Erfolgs bringt neue Fragen und neue Herausforderungen mit sich. Die kontinuierliche Suche nach Antworten eröffnet in einem spiralförmig aufsteigenden Prozess immer neue Erkenntnisse darüber, was möglich ist. Die Stufen des Prozesses sind, bezogen auf das Mo-dell, kontinuierlich und rekursiv und heben Lernen und Innovation beständig auf ein neues Niveau. Je mehr sich eine Organisation auf Nachhaltigkeit verpflichtet, umso wichtiger wird die Aufklärung und Beeinflussung anderer im Change-Prozess. Von dieser Lobbyrolle profitieren Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen.

Unternehmen und Industrien - die von Größe und Einfluss her mächtigsten Institutionen des Planeten - sind in der Lage, einen Aufbruch zu bewirken, der weitreichende gesellschaftliche Veränderungen auslösen kann. Wenn Geschäftsmodelle auf den Werten der Nachhaltigkeit gründen, werden die Menschen, die in diesen Firmen arbeiten, die mit Nachhaltigkeit assoziierten Verhaltensweisen als die »Art und Weise, wie die Dinge sind und sein sollten« akzeptieren und sich aneignen. Das bietet Unternehmen und der Industrie eine einzigartige Möglichkeit, der Gesellschaft zu helfen, ihre alten, eingefahrenen Gleise schneller zu verlassen. Diesen Wandel zu erreichen, verlangt aber auch von den Unternehmen, sich neuen Weltbildern zu öffnen und die alten, überkommenen Sichtweisen abzustreifen. Da könnte es am Anfang schon helfen, einen neuen Dialog über den Zweck und die Verantwortung von Unternehmen zu beginnen.
 
 
Von Ray Anderson, Mona Amodeo und Jim Hartzfeld

Gekürzte Fassung eines Beitrags im Bericht Zur Lage der Welt 2010 - Einfach besser leben, herausgegeben vom Worldwatch Institute (Washington, D.C.) in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch

Ray Anderson ist Gründer und Chairman von Interface, Inc. Mona Amodeo ist Präsidentin von idgroup, eine auf beratende und kreative Dienstleistungen in den Bereichen Markenentwicklung, Organisationswandel und Nachhaltigkeit spezialisierte Firma. Jim Hartzfeld ist Gründer und Geschäftsführender Direktor von InterfaceRAISE.

Quelle:
Wirtschaft | CSR & Strategie, 29.03.2010

     
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