Boris Arno Werschbizky
Gesellschaft | Politik, 04.11.2025
Unruhe im Karton
Die praktischen Auswirkungen der PPWR
In der Welt der Verpackungen rumpelt‘s gewaltig. Die EU zwingt eine ganze Branche umzudenken: Kleiner und leichter sollen die Verpackungen werden – mit bis zu 65 Prozent Rezyklatanteil und null Prozent Greenwashing. Die Politik spricht von „Wandel" – übersieht aber, wie radikal er für Hersteller, Handel und Marken tatsächlich ist. Dabei drängt die Zeit: Schon ab Mitte 2026 sollen Verbraucher:innen sukzessive ganz andere Verpackungen in den Händen halten als heute…
Kaum ein anderes Thema prägt die europäische Verpackungsindustrie derzeit so stark wie das sperrige Kürzel „PPWR" – die neue Packaging and Packaging Waste Regulation der EU. Ab August nächsten Jahres verlangt sie erstmals Belege statt Bekenntnisse: exakte Nachweise über Materialien, Recyclingfähigkeit und Herkunft. Was Hersteller bisher durch Eigenangaben und mehr oder weniger glaubhafte Siegel belegt haben, muss künftig datenbasiert und exakt überprüfbar sein. Für alle.Aber wo stehen die Produzenten und die sogenannten „Inverkehrbringer" aktuell wirklich? Für die Antwort hat sich forum auf der Fachpack 2025 umgetan. Auf dem größten europäischen Branchen-Stelldichein in Nürnberg sollte sich am besten zeigen, wie die Verpackungswelt auf die „geplante Revolution" reagiert. Wie – und ob überhaupt.
Auf der Messe versammelt sich die gesamte Wertschöpfungskette: Rohstofflieferanten, Anlagenbauer, Hersteller, Converter, Distributoren, Markenstrategen etc. Das Leitmotiv in diesem Jahr: „nachhaltige Transformation". Überall leuchteten grüne Claims, neue Logos, große Versprechen. „PPWR-ready" lautete das neue Selbstetikett einer Branche, die zeigen will, dass sie die Zukunft verstanden hat.
Doch je genauer man hinsieht und hinhört, desto mehr offenbart sich ein Widerspruch: Viele Unternehmen arbeiten längst an nachhaltigeren Lösungen, aber im hektischen Geschäftsalltag bleibt wenig Raum, sich mit den über 70 Artikeln des neuen EU-Regelwerks ausreichend intensiv zu beschäftigen. Auf der anderen Seite eine Art gelassene Unsicherheit: Lohnt sich die Mühe überhaupt? Zu oft wurden in Brüssel Verordnungen in letzter Minute gekippt oder verschoben. Also lieber erst einmal abwarten, bis klar ist, was wirklich kommt?
„PPWR-ready"? Der RealitätstestWas auf den Messeständen nach Fortschritt aussah, entpuppt sich in Zahlen eher als zäher Aufbruch. Laut einer aktuellen Untersuchung des Fraunhofer Instituts für Materialforschung und Logistik, der Logistikbude und der Stiftung Initiative Mehrweg (Link siehe Kasten) erfüllt nur jedes zehnte Unternehmen die zentralen Anforderungen der PPWR: klare Zuständigkeiten, nachvollziehbare Materialdaten, dokumentierte Nachweise.
Mehr als die Hälfte hält sich für besser vorbereitet, als sie tatsächlich ist. Die Zahlen zeigen: Noch läuft vieles nebeneinander, statt miteinander. Prozesse sind nicht vernetzt, Daten unstrukturiert oder weit verstreut in Tabellen, E-Mails oder Lieferantensystemen. Und während die Unternehmen über neuen Materialien grübeln, fehlt oft die Basis, um deren Nachhaltigkeit auch zu belegen.
Dr. Natalie Brandenburg, Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts (dvi), bringt es auf den Punkt: „Das Regelwerk mit seinen 120 Seiten und 13 Anhängen lässt noch vieles offen – das macht es schwer, heute die PPWR-konforme Verpackung für morgen zu entwickeln." Forschung und Entwicklung sei in vollem Gange, betont sie, mit Fokus auf Kreislaufwirtschaft, Verpackungsreduzierung, Design for Recycling und Monomaterialien.
Weniger Material, mehr Recycling, Papier statt Plastik – lautet die Botschaft überall auf der Messe. Entscheidend ist, wer am Ende überprüfbare Belege vorlegen kann. Wirklich „PPWR-ready" zu sein, das heißt: Fakten schaffen, die am Ende auch für Verbraucher:innen sichtbar werden.
Ein Vortrag auf der Fachpack zog viele Zuhörer:innen an. Dr. David Strack von SUSY – Sustainable System sprach im Expertenforum „Packbox" über die entscheidende Rolle von systematischen Daten in einer Branche, die gerade versucht, ihre Nachhaltigkeitsversprechen zu belegen.
„Nachhaltigkeit lässt sich künftig nicht mehr nur behaupten – Nachweise müssen wasserdicht sein", sagte Strack. „Daten sind dafür kein Selbstzweck, sondern das Werkzeug, um Entscheidungen besser zu machen – im Einkauf, im Design, in der Produktion. Wer versteht, woher Materialien kommen und wohin sie gehen, kann Verpackungen nicht nur effizienter, sondern überhaupt erst PPWR-konform gestalten."
Das von Strack vorgestellte System verknüpft Verpackungsdaten entlang der gesamten Lieferkette, bewertet Materialkomponenten, Kreislauffähigkeit, Rezyklatanteile und Lücken in der Nachweisführung. Das daraus generierte technische Dossier schafft Transparenz – für die Industrie in der nachhaltigen Produktion und im Einkauf von Verpackungen – und für Verbraucher:innen, die direkt am Point of Sales verstehen wollen, was hinter den grünen Versprechen steht.
Belege statt Behauptungen
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Die Branche muss sich neu ordnen
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Wie viel Aufwand hinter dem Anspruch auf Nachweisbarkeit steckt, wird ein paar Messegänge weiter deutlich: Bei dm folien aus Reutlingen. Der Großimporteur handelt mit Folien, Beuteln, Bändern und stellt sein über 3.000 Artikel umfassendes Sortiment schrittweise auf PPWR-konforme Materialien um. Dazu werden sogenannte Material Compliance Informationen (Konformitätserklärungen u.a. für chemische Stoffe) angefragt, dokumentiert, überprüft, abgelegt.
Anstatt mit grünen Symbolen zu werben, setzt man auf belastbare Informationen. „Wir wollen Fakten, auf die sich unsere Kunden verlassen können", sagt Geschäftsführer Marc Steinberg. Die sichert im Hintergrund ein integriertes Qualitäts- und Umweltmanagement. Lieferanten müssen ihre Daten zu Materialkonformität und Recyclingfähigkeit regelmäßig auf dem neuesten Stand halten. Kund:innen werden proaktiv über PPWR-bezogene Änderungen im Sortiment informiert und erhalten Einblick – nicht in Schlagworte, sondern in Dokumente.
Zum Übergang von linearen zu zirkulären Verpackungslösungen erklärt Mit-Geschäftsführer Maximilian Schuller, der für das Qualitätsmanagement zuständig ist: „Wir sind Händler und Materialexperte an einer entscheidenden Schnittstelle der Wertschöpfung: zwischen Herstellern, Industrie, Handel und Endkunden. Mit gezielter Sortimentsgestaltung und der entsprechenden Kommunikation können wir zirkuläre Verpackungen fördern."
Herausforderungen gibt es dabei genug: die vorgeschriebene Einführung von Rücknahmesystemen, Mehrweglogistik und Nachverfolgungssystemen oder die uneinheitlichen Standards bei der Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern, Entsorgern und Recyclingpartnern.
Höhere Logistik- und Betriebskosten sind die Folge – und ein Nachteil gegenüber weniger nachhaltigen Wettbewerbern. Dass es sich auszahlt, darauf darf der Großhändler hoffen, wenn spätestens 2026 die Nachfrage nach PPWR-konformen Produkten und Strukturen steigt.
Pragmatisches Papier
Ein paar Hallen weiter treffen wir auf PMS Akadimos aus Griechenland. Das Familienunternehmen produziert Lebensmittelverpackungen aus papierbasierten Monomaterialien, bedruckt mit wasserbasierten Farben, ohne Kunststofflaminate. In einem Land, in dem Recyclinginfrastruktur und Sammelsysteme erst wachsen, ist das kein Selbstgänger. Doch die Traditionsfirma hat die PPWR früh in ihr Qualitäts- und Umweltmanagement eingebaut: Compliance-Prozesse, Materialprüfungen, FSC-zertifizierte Lieferketten, Design-for-Recycling, belastbare Daten für alle umweltbezogenen Aussagen – bis ins Kleinste dokumentiert.
Alle Verpackungen sind mit klaren Entsorgungshinweisen kennzeichnet, damit Kreisläufe wirklich geschlossen werden können. Damit erfüllt der Hersteller auch diese zentrale Anforderung der PPWR. „Die Verordnung verlangt viele Nachweise", sagt Geschäftsführer Petros Kavalakis. „Wir sehen darin jedoch keine Bürokratie, sondern eine Chance. Wer heute transparent produziert, ist morgen glaubwürdig. Das ist die neue Währung."
Ein Fazit der Fachpack 2025:
Eine ganze Branche stellt auf Nachhaltigkeit um – und das ist gar nicht so einfach! Oft fehlt noch die Datengrundlage - und die Zeit, alle Anforderungen rechtzeitig umzusetzen. Aber die Richtung stimmt. Und irgendwann ist dann hoffentlich Ruhe im Karton.
Angelika Mühleck beschäftigt sich als freie Redakteurin und Kommunikationsprofi seit vielen Jahren mit ESG in Unternehmen, u.a. mit der neuen EU-Verpackungsverordnung und deren Auswirkung auf die Branche.
Boris Arno Werschbizky ist studierter Politikwissenschaftler und Journalist. Als Film- und TV-Produzent arbeitet er u.a. für das Wissensmagazin „Galileo" und bringt „grüne Helden" und nachhaltige Themen in die Medien.
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