Omnibus: Nachhaltigkeit auf Pause?

Clevere Unternehmen machen jetzt Tempo

Mit dem Omnibus bremst Brüssel die Berichtspflichten – aber nicht das Thema Nachhaltigkeit. Wer glaubt, sich zurücklehnen zu können, irrt. Warum gerade jetzt der richtige Moment ist, um strategisch nachzulegen – und was der neue freiwillige Standard für den Mittelstand bringt.

© Gerd Altmann, Pixabay.comDie Nachhaltigkeitsberichterstattung hat in den vergangenen Monaten durch politische Unsicherheiten an Klarheit eingebüßt. Viele Unternehmen, gerade im Mittelstand, sind verunsichert: Lohnt sich der Aufwand noch? Wird die Berichtspflicht wieder kassiert? Und worauf sollte man sich künftig einstellen? Trotz dieser offenen Fragen bleibt Nachhaltigkeitsberichterstattung ein zentrales Instrument, um Risiken und Chancen im eigenen Geschäftsmodell besser zu verstehen – und sich langfristig zukunftsfähig aufzustellen.

CSRD light: Der Omnibus bringt Bewegung
Nach Jahren freiwilliger Ansätze wie dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) oder der Global Reporting Initiative (GRI) brachte die EU 2022 mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) neue Verbindlichkeit ins Spiel. Bis 2027 sollten Unternehmen in drei Wellen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verpflichtet werden – bis zu 50.000 in der gesamten EU.

Der erste Standard-Set umfasst zwölf Vorgaben: zwei allgemeine, fünf Umwelt-, vier Sozial- und einen Governance-Standard. Dabei greift das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit: Unternehmen müssen nur über Themen berichten, die entweder bedeutende Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft haben oder relevante finanzielle Risiken oder Chancen für das Unternehmen selbst darstellen.

Doch die Realität entwickelte sich komplexer: Während Länder wie Frankreich oder die Niederlande die CSRD in nationales Recht überführten, blieb Deutschland bislang untätig. Die Folge: große Unsicherheit. Diese wuchs Anfang 2025 weiter, als die EU-Kommission am 26. Februar überraschend ein Omnibus-Verfahren zur Vereinfachung von Berichtspflichten ankündigte.
 
„Wer aufhört, verliert. Wer sich klug positioniert, gewinnt: Ein strukturierter Nachhaltigkeitsbericht hilft nicht nur, regulatorisch vorbereitet zu sein. Er bringt auch Transparenz über relevante Risiken, Potenziale und Handlungsfelder.”

Die wichtigsten Änderungen auf einen Blick
Der Kernpunkt: Die Schwelle zur Berichtspflicht steigt. Unternehmen müssen künftig mindestens 1.000 Mitarbeitende beschäftigen, um unter die CSRD zu fallen – statt wie bisher 250. Umsatz- (50 Mio. Euro) und Bilanzsummengrenzen (25 Mio. Euro) bleiben zwar bestehen, jedoch entfällt die bisherige Zwei-von-Drei-Regel. Diese besagte, dass Unternehmen berichtspflichtig sind, wenn sie zwei der drei Schwellen bei Umsatz, Bilanzsumme und Mitarbeitenden überschreiten – künftig soll jedoch zuerst die Mitarbeitenden-Schwelle gelten und erst dann Umsatz oder Bilanz, was die Zahl der betroffenen Unternehmen deutlich reduziert. Damit müssen statt der ursprünglich geplanten 50.000 Unternehmen in der EU künftig nur noch rund 7.000 tatsächlich berichten.

Zudem verschiebt sich der Zeitplan für kleinere Unternehmen deutlich. Unternehmen der Welle 2 (also größere Mittelständler, die keine kapitalmarktorientierten Unternehmen sind) müssen nach aktuellem Vorschlag erst ab 2028 statt 2026 berichten. Für börsennotierte KMU (Welle 3) verschiebt sich die Frist sogar auf 2029. Das Europäische Parlament hat dem „Stop the Clock"-Vorschlag am 3. April zugestimmt. Parallel enthält das Omnibus-Paket auch Änderungen bei der EU-Taxonomie, der CSDDD und dem CBAM.

Wichtig: Noch handelt es sich bezüglich der Schwellen um einen Vorschlag. Die finale Entscheidung steht noch aus – Änderungen sind weiterhin möglich.

Strategisch reagieren: drei Wege für Unternehmen
Unternehmen stehen damit an einem Scheideweg. Es gibt drei Reaktionsmuster – doch nur zwei davon sind wirklich zukunftsfähig:
  1. Zurücklehnen: Die Berichtspflicht gilt (noch) nicht – also alles auf Eis legen. Doch das ist riskant: Wer jetzt aufhört, verschiebt nicht nur Kosten, sondern verliert strategische Zeit.
  2. Fokussieren: Anforderungen sinnvoll zurückfahren und frei werdende Ressourcen für den Aufbau robuster Nachhaltigkeitsstrategien einsetzen. Das bedeutet: Berichten, aber gezielt. Und Maßnahmen dort entwickeln, wo sie     den größten Hebel haben.
  3. Dranbleiben: Die Berichterstattung konsequent weiterverfolgen und die internen Prozesse so etablieren, dass sie in Zukunft effizienter und schlanker funktionieren.
Wer aufhört, verliert. Wer sich klug positioniert, gewinnt: Ein strukturierter Nachhaltigkeitsbericht hilft nicht nur, regulatorisch vorbereitet zu sein. Er bringt auch Transparenz über relevante Risiken, Potenziale und Handlungsfelder – etwa im Bereich Klimaresilienz, Ressourcenverbrauch oder soziale Verantwortung. Und er wird zunehmend zum Türöffner: bei der Kreditvergabe, in Lieferketten großer Kunden oder bei öffentlichen Ausschreibungen.

VSME: der freiwillige Einstieg für KMU
Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), die noch nicht unter die CSRD fallen, lohnt sich ein Blick auf den neuen freiwilligen Standard: den Voluntary Sustainability Reporting Standard for SMEs (VSME). Die Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (European Financial Reporting Advisory Group, EFRAG) hat ihn im Dezember 2024 finalisiert und an die EU-Kommission übermittelt. Die Veröffentlichung ist für Mitte 2025 geplant, mit freiwilliger Anwendung ab Januar 2026. Der VSME soll insbesondere jenen Unternehmen helfen, die freiwillig berichten möchten – oder perspektivisch mit Berichtspflichten konfrontiert werden, etwa über ihre Rolle als Zulieferer.

Drei Besonderheiten des VSME
  1. Der VSME unterscheidet zwei Module: ein Basismodul mit Kernkennzahlen (z.B. Energieverbrauch, soziale Aspekte, Ressourcenflüsse) und ein umfassendes Modul mit zusätzlichen Angaben zu Klimazielen, Strategien und Übergangsplänen.
  2. Anders als bei den ESRS, wo Konzepte und KPIs pro Thema zusammen dargestellt werden, sind im umfassenden Modul des VSME übergreifende Konzepte gebündelt.
  3. Eine Wesentlichkeitsanalyse ist nicht vorgeschrieben – wird aber empfohlen, um die Berichterstattung auf relevante Inhalte zu fokussieren.
Der Standard bietet einen niedrigschwelligen Einstieg, um die eigene Nachhaltigkeitsperformance strukturiert sichtbar zu machen. Zudem stellt die EFRAG ab 2025 Schulungsmaterial und Umsetzungshilfen bereit. Der DNK wird ab Sommer 2025 eine kostenfreie Cloudlösung für VSME-Berichte anbieten – ähnlich wie bereits bei ESRS.

Fazit: Jetzt ist der Moment für Weitblick
Der Rückenwind für Nachhaltigkeit aus Brüssel mag vorübergehend schwächer geworden sein – doch das Thema bleibt auf der Agenda. Wer die aktuelle Verschnaufpause strategisch nutzt, kann langfristig profitieren: durch klare Positionierung, verbesserte Resilienz und echten Wettbewerbsvorteil. Ob durch eine „Light"-Version der ESRS oder durch den neuen VSME – Unternehmen, die jetzt einsteigen oder dranbleiben, sind besser aufgestellt, wenn die nächste Welle kommt.

Weiterführende Links:
Dr. Steve Waitschat leitet die Nachhaltigkeitsabteilung bei Clostermann & Jasper. Dabei geht es um die Implementierung von Nachhaltigkeitsthemen bei Unternehmen aber auch die generelle Sensibilisierung zu dem Thema.

Dieser Artikel ist in forum 03/2025 - Der Wert der Böden erschienen.



     
        
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