Hans-Peter Meister

Lernende Demokratie

Mit gesellschaftlichen Lernforen und Bürgernetzwerken zu einer modernen, inklusiven Demokratie

Die politische Situation in Deutschland ist angespannt, die Unzufriedenheit wächst. Haupt-Kritikpunkt: Es gelingt nicht, die zentralen gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Woran liegt das und was kann man tun?
 
Zunächst zu den Ursachen: Die Entscheidungsstrukturen in Politik und Verwaltung wurden im Grunde nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt und bedürfen dringend einer Modernisierung. Wesentliche Schwachpunkte bestehen in der Vorbereitung von Entscheidungen:
  • Kein Alltagswissen:
    Das Alltagswissen aus der Praxis von Betroffenen wird kaum oder gar nicht einbezogen, was zu einer Entkoppelung der Entscheider von ihrer Basis der Wählerschaft führt. Bei Gesetzesvorhaben werden zwar Lobbyisten aller Art angehört, in der Regel aus Verbänden, aber die gelebte Praxis der Bürgerinnen und Bürger bleibt zumeist außen vor.

  • Intransparente Vorbereitung von Entscheidungen:
    Es gibt keinen Ort der gemeinsamen Diskussion oder Erarbeitung von Lösungsoptionen für bestehende Probleme – auch nicht in den Parlamenten. Vielmehr sind Parlamente heutzutage der Ort der Verteidigung von bereits durch die Exekutive beschlossenen Entscheidungen.

  • Mangel an Interdisziplinarität:
    Die Organisation der exekutiven Verwaltung in unterschiedlichen Ressorts führt zu einer primär an einseitigen Aspekten orientierten Vorlagen, obwohl die Komplexität der aktuellen Herausforderungen dringend Interdisziplinarität erfordert. Zudem unterliegen die Ressorts oft unterschiedlichen Leitungen und damit deren (partei)politischen Vorgaben, sodass häufig nicht die Lösung der Probleme, sondern individuelle oder parteipolitische Eigeninteressen im Vordergrund stehen.
Fazit: Schlechte Entscheidungen, schlechte oder gar keine Umsetzung, keine wirklichen Problemlösungen!
 
Erfahrungen aus der Wirtschaft nutzen
Nicht nur, aber insbesondere aus der Wirtschaft weiß man: Die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven bei der Vorbereitung von Entscheidungen erhöht deren Qualität und ebenso die Chancen ihrer Umsetzung. Die Geschwindigkeit des Lernens entscheidet zudem wesentlich über die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Organisation. Wie ließe sich nun derartiges Lernen in unsere demokratischen Prozesse einführen?
 
Lernende Demokratie durch gesellschaftliche Lernforen
Dafür gibt es gute Optionen: Gesamtgesellschaftliche Lern- und Diskursforen als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie. In diesen Foren bringen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Situationen, Expertisen, Bedürfnisse, Ideen und Vorschläge ein und erarbeiten gemeinsam Lösungsvorschläge. Derartige Foren sollten vor allen wichtigen Entscheidungen durchgeführt werden, auf allen Ebenen, von der Kommune bis hin zum Bund.
 
Gemeinsames Arbeiten als Erfolgsfaktor
Wer bei diesen Foren an herkömmliche Veranstaltungsformate denkt, liegt falsch. Im Mittelpunkt steht hier die gemeinsame Erarbeitung konkreter, umsetzbarer Lösungsvorschläge – es handelt sich also nicht um bloße Informationstreffen oder oberflächliche Fragerunden. Vielmehr
  • bestehen diese Foren aus Vertreter*innen aller gesellschaftlichen Bereiche, aus Wirtschaft, Bürgerschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung;
  • sind sie unabhängig von Weisungen aus Politik und Verwaltung;
  • müssen sie neutral moderiert und geleitet werden;
  • verständigen sich die Teilnehmer*innen gemeinsam auf die Beschreibung der zu lösenden Probleme;
  • können alle erforderlichen Experten und Expertisen einbezogen werden;
  • werden konkrete Optionen zur Lösung der beschriebenen Probleme erarbeitet;
  • legen die Foren die Ergebnisse ihrer Arbeit den jeweiligen Parlamenten zur Entscheidung vor.
Dies schafft die repräsentative Demokratie nicht ab, sondern erweitert sie um ein wertvolles Instrument. Diese Lern- und Diskursforen sind sehr flexible Hilfsmittel und können je nach Situation unterschiedlich realisiert werden – es gibt nicht nur das eine, universell gültige und funktionierende Modell.
 
Bürgernetzwerke und Bürgerräte für Bürgerinteressen
Wie wird aber die Bürgerschaft in diesen Foren vertreten? Lediglich einzelne Personen einzubeziehen dürfte meist nicht ausreichen. Besser wäre es, zum jeweiligen Thema Bürgerräte einzuberufen, die viele Bürgerinnen und Bürger einbinden. Aber auch Bürgerräte sind nur ein zeitlich begrenztes Instrument – am allerbesten wären deshalb Bürgernetzwerke, die auf Dauer angelegt sind und themenübergreifend funktionieren. Sie sind der Bürgerschaft zwischen den Wahlterminen verpflichtet und fungieren als Hüter der Bürgerinteressen bei Beteiligungsprozessen aller Art.
 
Gute Beispiele und flexibles Vorgehen
Es gibt schon zahlreiche Beispiele, wie das hervorragend funktionieren kann. Die Bandbreite reicht vom Regionalen Dialogforum Flughafen Frankfurt über das Bürgerratssystem in Aachen bis hin zu vorbildlichen Modellkommunen wie Weyarn oder Bensheim sowie zahlreichen weiteren Best Practices. Diese erarbeiteten zum Beispiel Schutzkonzepte gegen Fluglärm, planten Innenstadtentwicklungen, erschufen kooperative Tourismuskonzepte im ländlichen Raum oder Plattformen für digitale Entwicklung in Kommunen.
 
Jede*r kann sofort damit anfangen!
Die Foren können jederzeit überall gestartet werden, ohne dass Gesetze geändert werden oder Parlamentsbeschlüsse erforderlich sind. Nicht nur jede*r Bürgermeister*in und jedes Parlament können initiativ werden, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisation und NGOs. Somit kann jedermann und -frau ein derartiges Forum starten und damit die repräsentative Demokratie erweitern, modernisieren und stärken.
 
Hans-Peter Meister ist gelernter Ökologe. Er gründete 1995 ifok, den heutigen Marktführer für Dialog, Beteiligung und Kooperation. Heute engagiert er sich für die Einführung von Bürgernetzwerken, um Bürgerinnen und Bürgern systematisch eine Stimme zu geben.

forum gegen Fakes
 
Innovative Bürgerbeteiligung für eine aktive Demokratie
„Fakes und Manipulation von Informationen – Was sollten wir tun, um uns und unsere Demokratie zu schützen?" Mit dieser Frage startete das Projekt „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie" der Bertelsmann Stiftung. Jeder und jede konnte sich online von Januar bis Juli 2024 dazu einbringen. Ziel war es, eine breite Debatte über den gesellschaftlichen Umgang mit Desinformation anzustoßen und greifbare Lösungsansätze zu entwickeln, denn Desinformationen schaden nicht nur politischen Systemen, sondern können auch den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Entwicklung negativ beeinflussen.
 
Online-Input für den Bürgerrat
In drei Phasen der offenen Online-Beteiligung wurden über 1,5 Millionen Mal zu Ideen abgestimmt und mehr als 3.000 Kommentare und Vorschläge eingereicht. Die Ergebnisse flossen direkt in die Arbeit des Bürgerrats ein. Die aus über 120 Bürger*innen vielfältig zusammengesetzte Gruppe entwickelte 15 Empfehlungen für Politik, Medien, Wirtschaft und Zivilgesellschaft und übergab diese am 12. September 2024 an Bundesinnenministerin Faeser. Vorschläge waren etwa, Social-Media-Plattformen zur Bekämpfung von Desinformation zu verpflichten sowie Medienkompetenz auch an Erwachsene zu vermitteln. Die Ergebnisse werden nun intensiv weiterdiskutiert. Von einem solchen offenen Austausch lebt die Demokratie. In Zeiten komplexer werdender Probleme ist es fundamental, dass Bürger*innen gehört werden und die Politik auf ihre Anliegen eingeht. Die Verbindung von inklusiver Online-Partizipation und Bürgerrat unterstützt den Austausch und kann zu mehr Vertrauen in Politik und politische Entscheidungen beitragen. Ergebnisse des Projektes und weitere Info: www.forum-gegen-fakes.de

Weiterführende Links:

Gute Beispiele für Bürgernetzwerke:
 Vorschläge zur Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie:
Spezialisten für Beteiligungsprozesse:

Dieser Artikel ist in forum 02/2025 - Save the Ocean erschienen.



     
        
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