Darf man Musik?

Kann man mit Kunst die Welt verändern?

Eine engagierte, junge Frau, begeisterte Musiker, Harald Lesch und der Wunsch, mit Musik zum Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG) beizutragen: Das sind die Zutaten, aus denen das New World Orchestra entstand. Die Gründerin Sonja Lachenmayr beschreibt Höhen und Tiefen, und wie aus einer fixen Idee ein großartiges, wunderbares Musik- und Kunstprojekt entstand.
 
© Michael GalezaZum ersten Mal konnte man 2015 sogar in München nicht mehr die Augen vor den großen Katastrophen dieser Welt verschließen. Zum ersten Mal war alles, was man sonst nur in den Nachrichten gesehen hatte, überwältigend nah. Zehntausende Flüchtlinge fluteten den Münchner Hauptbahnhof. Eine Welt aus den Fugen...

Darf man in so einer Welt, in der es so viel zu tun gibt, Musik machen? Darf man Musik? Sollte ich nicht lieber all meine Kräfte dafür einsetzen, dass die Welt ein besserer Ort wird? Politikerin müsste man werden, um die Welt zu verändern! Aber die Anziehungskraft der Musik wirkte auf mich so stark, dass ich das Gefühl hatte: Ich muss Musik!
 
Denn Musik ist für mich der Rückzugsort, die Luft zum Atmen und das Ausdrucksmittel, wenn Worte nicht ausreichen. Wenn man jetzt Musik als Sprache verwenden würde und sich mit Musik für die Dinge einsetzen würde, die man verändern möchte? ...Da war sie, die Idee: ein Ensemble zu gründen, das sich für eine nachhaltige Veränderung der Welt einsetzt. Für eine neue Welt – ein New World Orchestra.
 
Wie verbindet man Nachhaltigkeit mit einem Orchester?
Mit der konkreten Idee zu SommernachtsBaum zeichnete sich ein Projekt ab, das dann aber in den Unsicherheiten der Corona-Pandemie versank. Das brachte Zeit für noch mehr Recherche und den Ausbau von Kontaktnetzwerken. Einen ersten Höhepunkt stellte die Zusammenarbeit mit dem Projektbüro WHAT IF dar. Mit den Gründerinnen Theresa Trunk und Vera Hefele stand ich schon zu Studienzeiten im regen Austausch über unsere Ideen zum Thema Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur. Gemeinsam haben wir für das New World Orchestra einen Code of Conduct und einen Green Rider entwickelt. Der Code of Conduct stellt eine Definition unserer eigenen Werte dar, während der Green Rider der Kommunikation mit den Veranstalter*innen dient. Dieser enthält vor allem praktische Ideen und Anregungen hin zu einem nachhaltigeren Veranstaltungs- und Theaterbetrieb.
 
Ist nachhaltig nicht gemeinnützig?
Die Gründung und Realisierung einer Vision kann man gut mit einer mehrtägigen Wanderung vergleichen. Von Leichtigkeit und Vorfreude getragen, kämpft man sich nach den ersten Kurven unerwartet durch Wut, Verzweiflung und Ohnmacht. Man geht Wege, die man noch nie gegangen ist, und von denen man jetzt weiß, dass man sie nie wieder gehen wird. Wege, von denen einem niemand berichten und auf denen einem niemand helfen kann, da sie vor einem noch nicht begangen wurden. Man nimmt Abzweigungen, muss umkehren, möchte alles hinschmeißen und weiß nicht mehr, warum man sich überhaupt auf den Weg gemacht hat. Doch dann genießt man plötzlich die Aussichten, die sich bei einer vielversprechenden Weggabelung auftun, bevor man von der nächsten Grenzerfahrung überrascht wird.
 
Eine Weggabelung sollte 2022 die Gründung des New World Orchestra e.V. sein. Dafür wurde ein Satzungszweck formuliert: Zweck des Vereins ist die „Förderung und Verbreitung der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung über Musik und Kunst".

Einige Wochen nach der Gründungssitzung und der Eintragung ins Vereinsregister teilte uns das Finanzamt mit, dass es den Verein mit diesem Satzungszweck nicht als gemeinnützig einstufen könne. Der Grund dafür ist, dass die Formulierungen für Vereinszwecke in Deutschland sehr genau geregelt sind und wenig interpretatorischen Spielraum bieten. Leider kommt der Begriff Nachhaltigkeit im §52 der Abgabenordnung schlichtweg nicht vor. Um als gemeinnützig anerkannt zu werden, mussten wir die Vereinssatzung also abändern. Statt der Förderung und Verbreitung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung über Musik und Kunst haben wir jetzt die Förderung von Kunst und Kultur als Vereinszweck angegeben. Das ist zwar nicht der eigentliche Zweck des Vereins, aber eine Änderung des Gesetzestextes ist Sache des Bundes und würde Jahre dauern. So ist das leider manchmal in Deutschland. Die vielen Regelungen und Vorgaben führen manchmal am Ziel vorbei. Mit Sanne Kurz, der kulturpolitischen Sprecherin der Grünen im Landtag, stehe ich seit einigen Jahre im engen Kontakt. Als ich ihr von den Problemen unserer Vereinsgründung berichtete, war sie geschockt. 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Agenda 2030 und legten die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung als Handlungsmaxime fest. Wie kann es sein, dass man dann im Jahr 2022 keinen gemeinnützigen Verein gründen kann, der Nachhaltigkeit oder die Förderung und Verbreitung dieser zum Vereinszweck hat? Sanne Kurz setzt sich seither vehement für die Gesetzesänderung ein. Die beglückende Erkenntnis: Musik kann Politik.

© Michael Galeza
Wie wird der Sommernachtstraum zum SommernachtsBaum?
Im Januar 2023 zeigte sich der Berggipfel am Ende des Horizonts: Der Termin für das erste Konzert des New World Orchestra im Münchner Volkstheater stand fest. Am 3.4.23 würden wir zusammen mit Prof. Harald Lesch und dem Projekt SommernachtsBaum zu Gast im Münchner Volkstheater sein. Mit dem Wald als stillem Hauptprotagonisten des Abends. Das war Eleonores Idee. Die Münchner Schauspielerin Eleonore Daniel lernte ich in meiner Zeit als Leiterin des Münchner Chors Gospels at Heaven kennen. Für meine Masterprüfung im Fach Chorleitung verfassten wir bereits 2019 unsere eigene Fassung von Shakespeares „Sommernachtstraum". Nach diesem Konzert kam Eleonore auf mich zu und fragte mich, ob man dieses Konzept nicht noch mehr auf das Thema Wald hin verändern könne. Es würde sich dadurch wunderbar als erstes Konzertprojekt für das New World Orchestra eignen. Und außerdem liebt Eleonore den Wald. Und tatsächlich stellte sich in der Recherche heraus, dass der Wald sich als erster Themenschwerpunkt besonders gut eignet, da er gleich mehrere der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung in sich vereint.
 
Im SommernachtsBaum führt Harald Lesch in wunderbaren Sequenzen die Zuhörer in den Wald.

Daraufhin bearbeiteten Eleonore und ich unser Konzept und veränderten die Geschichte so, dass der Wald noch mehr in den Fokus gerückt wurde. Auch das musikalische Konzept wurde vielfältiger und um zeitgenössische Werke erweitert: Die Musik zu Ein Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn-Bartholdy verknüpften wir mit Werken seiner Schwester Fanny Hensel sowie zwei Neukompositionen von Lukas Maier und Theresa Zaremba.
  
Lesch und der lange Aufstieg zum Gipfel
Ein Hauptanliegen des New World Orchestra ist es, sowohl Nachhaltigkeit und Kultur als auch Wissenschaft und Kunst zu verbinden. Deshalb sollte es bei SommernachtsBaum keine herkömmliche Konzerteinführung geben, sondern eine Einführung in das Ökosystem Wald. Dafür kam mir Prof. Harald Lesch in den Sinn. Ich hatte ihn 2022 bei einem Konzert kennengelernt, bei dem ich in der Isarphilharmonie die Münchner Philharmoniker, den Philharmonischen Chor München und das Odeon Jugendsinfonieorchester dirigiert hatte. Damals sprach Lesch zwischen den drei Teilen von Haydns „Schöpfung" über die Entstehung der Erde. Er war sofort begeistert von der Idee des New World Orchestra und versprach, bei der Premiere von SommernachtsBaum eine Einführung zum Thema Wald und Waldschutz zu geben. Auch ausgezeichnete Musiker*innen mit ähnlichen Interessen waren schnell gefunden und wir standen kurz vor dem Gipfel.
 
Aber der Gipfelanstieg ist bekanntlich nochmal zäh oder, wie man bei mir daheim sagt: zach. Programmheft, Website, Plakat, Probenpläne, Verträge, Emails, Pressemitteilungen, Recherche zu Inhalten des Programmhefts, Noten drucken etc. Mein Freund und Kollege Matthias Bertelshofer hat als Leiter des künstlerischen Betriebsbüros des New World Orchestra viele dieser Aufgaben übernommen. Auch Patricia Stoll, meine Schulfreundin und Leiterin unserer Social Media Kanäle half, wo immer sie konnte. Trotzdem fühlte sich die Verantwortung zwischendurch so schwer an wie ein zu voll gepackter Rucksack, den man gerne auf dem Weg zum Gipfelkreuz in den Latschen vor der Baumgrenze liegen lassen möchte. Doch dann ist irgendwann alles getan und organisiert – das Konzert ist da. Vor einem ausverkauften Münchner Volkstheater spielt das New World Orchestra am 3.4.23 zum aller ersten Mal – und erntet tosenden Applaus. 
 
Das erste Gipfelkreuz ist erreicht – atemberaubend!
Kaum zu fassen, dass man den ganzen Weg zurückgelegt hat und wirklich angekommen ist. Prof. Harald Lesch überzeugte mit seiner großartigen Bühnenpräsenz und einem von ihm selbst gewählten Konglomerat aus Fakten und humorvollen Anekdoten zum Thema Wald. Die Verbindung von Wissenschaft und Kultur war gelungen. Und mit einem neuen Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung gingen Publikum und Künstler*innen wieder zurück in den Alltag. Auch ein paar Wochen nach dem Konzert bekomme ich noch begeisterte Nachrichten von Menschen, die sich für Nachhaltigkeit interessieren, aber vielleicht sonst keinen Zugang oder Kontakt zu klassischer Musik hatten. Genauso berichten mir aber auch Klassikliebhaber*innen, dass sie die Verbindung zur Nachhaltigkeit als inspirierend und bereichernd empfunden haben.
 
Fairness First
Nachhaltigkeit bedeutet für uns auch, dass das New World Orchestra alle Beteiligten angemessen bezahlt. Daher sind wir auf der Suche nach Sponsorinnen und Sponsoren. Dabei ist uns wichtig, dass die Firmen, die uns unterstützen, ebenfalls Wert auf Nachhaltigkeit legen und diese in ihrem eigenen Unternehmen leben. Unser Ziel für das kommende Jahr ist es, SommernachtsBaum im gesamten deutschsprachigen Raum zu spielen. Parallel dazu arbeiten wir aktuell schon an einer Folgeproduktion mit neuem Fokus auf andere Nachhaltigkeitsziele. Langfristig möchten wir uns weltweit für Nachhaltigkeit einsetzen. Dafür benötigen wir neben den finanziellen Mitteln ein breites Netzwerk an Kontakten zu Veranstalter*innen jeder Art. Von klassischen Musikfestivals, über Festivals rund um die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung bis hin zu privaten Veranstaltungen – wir freuen uns auf inspirierende Konzerte und Begegnungen.

Sie kennen jemanden, der jemanden kennt? Dann nehmen Sie Kontakt zu uns auf und schreiben uns unter: info@new-world-orchestra.de. Vielen Dank für Ihr Interesse am Wandel dieser Welt.
Weil Musik kann!

 
Sonja Lachenmayr studierte Jazzgesang und Chordirigieren an der Hochschule für Musik und Theater in München. Sie ist begeisterte Gründerin und Dirigentin des New World Orchestra. 

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.06.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2023 mit dem Schwerpunkt: Künstliche Intelligenz - Künstliche Intelligenz oder natürliche Dummheit? erschienen.
     
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