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Harte Maßnahmen beim Klimaschutz

Die Verzweiflung der Letzten Generation. Der aktuelle Kommentar von Mario Buchinger

Klimaaktivist:innen wie von der Gruppe „Letzte Generation" stellen alte Gewohnheiten und falsche Privilegien in Frage. Obwohl das deutsche Bundesverfassungsgericht bereits gerügt hat, dass die Politik zu wenig für zukünftige Generationen tut, reagieren Politiker:innen mit aller Härte – nicht gegen die Klimakrise, sondern gegen die Aktivist:innen. Fünf Akte eines Dramas.

Wie weit darf Klima-Aktivismus gehen? © Markus Spiske, pexels.comDerzeit werden extreme Strafmaße oder sogar Verschärfungen der aktuellen Gesetze in Hinblick auf die Klimaaktivist:innen gefordert. In Bayern sitzen Mitglieder der „Letzten Generation" in Präventivhaft, nur weil sie unter Umständen Straßen blockieren könnten. Was hier zum Einsatz kommt, ist das ohnehin umstrittene Polizeiaufgabengesetz, das ursprünglich zur Terrorabwehr eingeführt wurde. Renommierte Juristen schätzen dieses Vorgehen als unverhältnismäßig ein.

Übertrieben sind nicht die Sorgen, sondern die Reaktionen
Besonders eifrige Politiker:innen warnen in dem Zusammenhang sogar vor Terrororganisationen – Stichwort "Klima-RAF". Hier wird das zwar störende, aber trotzdem friedliche Handeln von besorgten, meist jungen Menschen, die klar Gewalt ablehnen, mit Gruppen gleichgesetzt, die gezielt diejenigen ermordeten, die ihnen im Weg waren und dabei auch Kollateralschäden in Kauf genommen haben. Auch der Präsident des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang bezeichnete diesen völlig abstrusen Vergleich als „Nonsens".

Zweierlei Maß

Einige Verantwortungsträger ziehen also alle Register, um den Klimaaktivist:innen möglichst viel Schaden zuzufügen. Dagegen hat man zum Beispiel bei den Demos von sogenannten „Querdenkern", die kontinuierlich und mit Ansage Auflagen ignoriert und dabei wissentlich und mutwillig andere gefährdet haben, nicht ansatzweise so hart durchgegriffen. Woher kommt diese Schieflage beim Verhalten gegenüber Klimaaktivist:innen, die mit ihren Aktionen auf etwas hinweisen, was wir längst wissen sollten?

Ein symptomatisches Beispiel, was beim Klimaschutz schiefläuft
Das Problem zeigte sich deutlich in der Sendung von „Anne Will" vom 20. November 2022 am Verhalten von Justizminister Marco Buschmann und des bayrischen Innenministers Joachim Herrmann gegenüber der Aktivistin Carla Hinrichs von der „Letzten Generation". Die fundierten und stichhaltigen Aussagen und Argumente von Frau Hinrichs wurden von den beiden Herren kaum ernst genommen und auf eine sehr arrogante Art und Weise abgewiegelt. Das zeigte sich folgendermaßen:

Fünf Akte eines Dramas
1. Aus Evidenz eine Meinung machen
Aus einem evidenzbasierten Sachverhalt wird eine persönliche Meinung gebastelt. Es geht eben nicht um eine Meinung und die persönlichen Anliegen einer Gruppe von Personen, sondern um die Übersetzung von wissenschaftlicher Evidenz in konkrete Maßnahmen. Die wissenschaftliche Basis ist schon lange bekannt. Die Politik hätte längst viel mehr beim Klimaschutz tun müssen. So hat es auch das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem Urteil im April 2021 entschieden .

2. Überhöhung der eigener Leistung
Während man bei den Problemen der Klimakrise von persönlichen Meinungen spricht, tut man gleichzeitig so, als hätte man schon sehr viel getan. Ja, es gibt in manchen Sektoren leichte Verbesserungen, aber die reichen bei weitem nicht aus. Gerade im Verkehrssektor wird seit Jahren keine Verbesserung erzielt.

3. Relativierung von wirkungsvollen Maßnahmen
Während man an sinnlosen und veralteten Ideen festhält, wie die Debatte um „Technologieoffenheit" zeigt, lehnt man Dinge ab, die mit wenig Aufwand viel bringen würden. Das Verhaltensmuster wird besonders beim ewigen Thema Tempolimit sehr deutlich.

4. Innovation als Lösung für alles
Sowohl Herr Buschmann als auch Herr Herrmann suggerieren in dieser Sendung, dass man Klimaschutz betreiben könne, ohne irgendwelche Gewohnheiten verändern zu müssen. Wir werden in vielen Bereichen unser Verhalten ändern müssen – die beste Technologie wird uns davor nicht bewahren. Es ist naiv und überheblich, etwas anderes anzunehmen.

5. Der Vorwurf, Demokratie und Rechtsstaat nicht zu respektieren
Von beiden Herren wird in der Sendung ständig auf dem illegalen Handeln der Klimaaktivist:innen herumgeritten. Sie unterstellen den Protestierenden dabei, sie würden den Rechtsstaat und die Demokratie missachten. Dieser Vorwurf ist besonders perfide und falsch, was auch der Verfassungsschutzpräsident Haldenwang feststellt. Es ist richtig, dass diese Aktivist:innen legale Grenzen überschreiten. Dennoch nehmen sie die Strafen, die ihnen daraus drohen, hin, akzeptieren und respektieren diese.

Recht und Gesetz in Bezug auf Klimaschutz
Laut dem deutschen Grundgesetz hat der Staat die Verpflichtung, für die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung zu sorgen und auch die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Die Natur verhandelt nicht. Wir steuern derzeit auf eine weltweite Erhitzung von etwa drei Grad zu.

Das größere Problem sind folglich nicht die, die wissentlich Regeln übertreten, sondern die, die nichts oder zu wenig für den Klimaschutz tun, obwohl sie es könnten und auch gesetzlich und moralisch dazu verpflichtet sind.

Über was werden sich wohl künftige Generationen mehr ärgern? Über Leute, die aus Protest Straßen blockieren oder Scheiben vor Kunstwerken beschmutzt haben, oder über jene, die die Zerstörung unseres Lebensraums hätten verhindern können, es aber aufgrund kurzfristiger Partikularinteressen nicht taten?

Die Gewohnheitsfalle
Mario Buchinger. © SchaefflerWorum geht es also? Es geht um das Rütteln an alten Gewohnheiten und Glaubensgrundsätzen, die man fälschlicherweise für selbstverständlich hält; um das Rütteln an der Haltung: Klimaschutz ist nur so lange gut, solange man persönlich mit dem eigenen wohlstandsverwöhnten Hintern nichts davon merkt, Gewohnheiten bestehen bleiben und man auf die eigene Verantwortung nicht aufmerksam gemacht wird. Die Klimaaktivist:innen lassen diese Diskrepanz die Gesellschaft spüren. Und sie lassen sie auch diejenigen spüren, die das Problem verbockt haben und das auch weiterhin tun wollen.

Wir haben die Veränderung selbst in der Hand.

Dr. Mario Buchinger ist (Ökonomie-)Physiker, Musiker und Autor. Als Spezialist für Veränderungsfähigkeit unterstützt er seit mehr als 15 Jahren internationale Unternehmen und Organisationen auf deren Weg bei der Strategie-, Prozess- und Klima-Transformation.
Unter "Der aktuelle Kommentar" stellen wir die Meinung engagierter Zeitgenossen vor und möchten damit unserer Rolle als forum zur gewaltfreien Begegnung unterschiedlicher Meinungen gerecht werden. Die Kommentare spiegeln deshalb nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider, sondern laden ein zur Diskussion, Meinungsbildung und persönlichem Engagement. Wenn auch Sie einen Kommentar einbringen oder erwidern wollen, schreiben Sie an Alrun Vogt: a.vogt@forum-csr.net

Umwelt | Klima, 08.12.2022

     
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