Mercedes-Benz: Wohin fließen die hohen Gewinne?

Der aktuelle Kommentar von Christian Kreiß

Mercedes verzeichnete voriges Jahr einen Umsatzrekord. Doch wer strich den Großteil der Gewinne ein?
 
2021 war das mit weitem Abstand beste Jahr für Mercedes in der gesamten Unternehmensgeschichte. Bei einem Umsatz von 168 Milliarden Euro wurde ein EBIT (Gewinn von Zinsen und Steuern) von 29 Milliarden Euro erzielt. Das waren 340 Prozent mehr als 2020. Der Nettogewinn nach Steuern und Zinsen betrug 23,4 Milliarden Euro, ein Plus von 480 Prozent gegenüber 2020. Auch für 2022 zeichnen sich bereits jetzt äußerst hohe Gewinne ab. Das erste Quartal 2022 lief für Mercedes ganz ausgezeichnet und übertraf das Vorjahresquartal deutlich.

Wohin floss der Jahrhundertgewinn?
© PIX1861, pixabay.comEntsprechend hat der Konzern auch die Dividenden stark angehoben, und zwar um 270 Prozent von 1,35 auf 5,0 Euro pro Aktie. Die Dividenden wurden Anfang Mai ausgeschüttet. Da Daimler derzeit etwa 1,07 Milliarden Aktien hat, wurden also etwa 5,35 Milliarden Euro Dividendenzahlungen ausgeschüttet.

Wer bekam das viele Geld? Die größten Aktionäre von Mercedes sind die chinesische BAIC Group mit 9,98 Prozent aller Aktien sowie der chinesische Anleger Li Shufu, der über eine Holdinggesellschaft 9,69 Prozent an Mercedes hält. Asiatische Aktionäre halten insgesamt 20,5 Prozent aller Aktien. Also gut ein Fünftel der Dividendenzahlung, etwa 1,1 Milliarden Euro, flossen an asiatische, im Wesentlichen die beiden chinesischen Groß-Aktieninhaber. Drittgrößter Aktieneigentümer ist die Kuwait Investment Authority mit 6,84 Prozent aller Mercedes-Aktien. Ihr flossen Anfang Mai 2022 etwa 365 Millionen Euro zu. Weitere 53,39 Prozent oder 2,86 Milliarden Euro der Dividenden flossen an sogenannte Institutionelle Investoren, das sind internationale Großanleger wie Blackrock, Vanguard, DWS usw.

Die tagtägliche Umverteilung von vielen zu wenigen
Mercedes beschäftigte 2021 im Jahresdurchschnitt etwa 251.000 Menschen. Die Lohn- und Gehaltssumme belief sich auf 22,9 Milliarden Euro. Die Beschäftigten sind die Menschen, die die Autos hergestellt haben, die die Wertschöpfung des Konzerns erbracht und für den Gewinn gesorgt haben. Hätte man die Dividende statt an die Aktionäre an die Werktätigen ausgezahlt, hätte jeder Mercedes-Mitarbeiter eine Lohnerhöhung oder eine Einmalzahlung von 23,4 Prozent bekommen können. Jeder.

Hätte man gar den ganzen Nachsteuergewinn an die Beschäftigten ausgezahlt, hätte jede und jeder Beschäftigte 102 Prozent mehr Lohn und Gehalt haben können, also eine glatte Lohnverdoppelung. Das ist natürlich unrealistisch, denn man sollte als vorausschauendes Unternehmen einen guten Teil der Gewinne als Eigenkapital einbehalten. Das hat Mercedes in der Vergangenheit auch gemacht. In der Regel wurden in den letzten sechs Jahren etwa 40 Prozent des Nettogewinns als Dividende ausgeschüttet.

Hätte man diese 40 Prozent 2022 an die Beschäftigten von Mercedes ausgeschüttet, wären das ungefähr 9,4 Milliarden Euro gewesen. Das entspräche einer Lohn- und Gehaltserhöhung von 40 Prozent. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter hätte also 2022 eine Lohnerhöhung von 40 Prozent oder eine Einmalzahlung in Höhe von 40 Prozent de Jahreslohnes bekommen können, wenn man die Dividenden an diejenigen ausgezahlt hätte, die die Wertschöpfung erarbeiten statt an diejenigen, die leistungslos zusehen, wie die anderen arbeiten.

Der Beitrag, den der Aktionär leistet, besteht darin, dass man einmalig für einen Geldbetrag Aktien kauft und dann, solange das Unternehmen existiert, einen Dividendenstrom bekommt. Kauft man ETFs (Exchange Traded Funds) auf Aktienindizes, so ist dieser Dividendenstrom tatsächlich ewig. Denn jedes Mal wenn ein Unternehmen „underperformed", wird es aus dem Index entfernt und durch ein gewinnstärkeres ersetzt. Kauft man sich heute in einen Aktienindex ein, bekommt man also buchstäblich ewige Renten. Auch die Urenkel brauchen dann nur die Hand aufzuhalten beziehungsweise vom Konto abzuheben. Das sind leistungslose Einkommen in Reinform. Sie laufen ewig.

Lohn- und Gehaltsabschlüge für die Beschäftigten
Wer zahlt diese leistungslosen Einkommen für die Anleger? Die Beschäftigten. Sie bekommen einen entsprechenden Lohnabschlag, denn sonst käme ja der Gewinn für die Dividende nicht zustande. Das kann man für jedes Jahr und für jedes Unternehmen ausrechnen. Zählt man bei Mercedes den Netto-Gewinn und die Lohn- und Gehaltssumme von 2021 zusammen, so erhält man 23,4 Milliarden plus 22,9 Milliarden, macht 46,3 Milliarden Euro. Diese 46,3 Milliarden stellt in etwa die Wertschöpfung dar. Von dieser Wertschöpfung, die die arbeitenden Menschen bei Mercedes erbracht haben, bekamen die Beschäftigten etwas weniger als 50 Prozent ab, die Kapitalseite etwas mehr als 50 Prozent. Anders ausgedrückt: Von je 100 Euro Wertschöpfung, die die Beschäftigten erarbeitet haben, bekamen sie etwas weniger als 50 Euro ab. Die andere Hälfte fließt leistungslos an die Aktionäre, also zum größten Teil an Großeigentümer, die vermutlich nicht so genau wissen, wo Untertürkheim oder Sindelfingen liegen.

Rechtfertigung für leistungslose Einkommen
Das Standardargument für die Existenz solcher leistungsloser Einkommen lautet: Investoren übernehmen ein Risiko, das Risiko des Kapitalrückganges oder gar Totalverlustes und dafür müssen sie kompensiert werden. Das Argument hinkt aber. Die Beschäftigten tragen auch ein Risiko, sie können bei Wirtschaftsabschwüngen entlassen werden und haben dann Probleme aller Art, wie vergangene Wirtschaftskrisen zeigen, teilweise gar Existenzprobleme, wie etwa in den Jahren 1929-1932 oder 1907/1908. Auch die Krise 2008-2009 war für viele Arbeitslose, für viele Familien schlimm. Für dieses Risiko fordert aber niemand eine Risikoprämie in Form eines Lohnaufschlags oder Unternehmensbeteiligungen, sondern sie wird stillschweigend als zu akzeptieren vorausgesetzt. Letztlich liegt das an den Machtverhältnissen. Das Investorengeld ist frei zu wandern, wohin es will, auch über Landesgrenzen hinweg und in andere Anlageformen. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht frei. Sie müssen arbeiten, um sich oder ihre Familien zu ernähren.

John Maynard Keynes über „funktionslose Investoren"
Die geschilderten leistungslosen oder Rentier-Einkommen kritisierte schon 1936 der möglicherweise berühmteste Volkswirt John Maynard Keynes in seiner bahnbrechenden„General Theory" scharf. Er sieht in dem Rentier-Kapitalismus keinen Sinn und bezeichnet Investoren, die Renten-Einkommen beziehen als „funktionslose Investoren", also sinnlose Investoren, die keinen Beitrag zum Wohlergehen in der Ökonomie leisten. Solche funktionslosen Investoren müssten laut Keynes verschwinden, weil sie keinen ökonomischen Zweck erfüllen und dürften nicht länger einen Bonus erhalten. Genau das tun aber letztlich die großen Aktionäre von Mercedes-Benz Group (und von anderen börsennotierten Aktienunternehmen). Sie bekommen zu Lasten der Beschäftigten ewige leistungslose Renteneinkommen in Form von Dividenden, selbst ihre Urenkel. Wollen wir das? Ist das fair?

Fazit
Prof. Christian Kreiß. © privat2021 war nicht nur für Mercedes, sondern für die meisten großen Konzerne ein Jahr mit sensationell hohen Gewinnen. Die Unternehmensgewinne in den USA waren absolut und relativ in den letzten vier Quartalen so hoch wie noch nie in der Geschichte. Gleichzeitig war es für viele Selbständige und Mittelständler vor allem wegen der Lockdowns ein recht schwieriges Jahr. Die öffentliche Hand hat über Kurzarbeitergeld und viele andere Unterstützungsmaßnahmen enorme Schulden aufgenommen, um die Konjunktur zu stützen und Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden. Das alles hat den großen Konzernen und den Großanlegern hinter ihnen enorme Gewinne beschert.

Diese Gewinne fließen nicht an diejenigen Menschen, die sie erarbeiten, sondern an die äußerst vermögenden Großanleger, denen die Aktien gehören in Form von leistungslosen Dividenden-Einkommen. Die Vermögen sind sehr ungleich verteilt. In Deutschland besitzen die oberen ein Prozent der Bevölkerung etwa 35 Prozent aller Vermögen. Bei Aktienbesitz ist die Verteilung noch deutlich ungleicher. 2021 gab die Belegschaft von Mercedes gut die Hälfte ihres Lohnes an besonders reiche Aktionäre ab. Das gilt nicht nur für Mercedes. Wollen wir das wirklich? Ist das fair? Sollten wir nicht vielleicht umdenken und dieses unfaire Abgabensystem ändern?
 
 
Christian KreißFrüher Investmentbanker, seit 2002 Professor für Finanzierung an der Hochschule Aalen und Autor zahlreicher Bücher, darunter das Buch "Werbung nein danke" (2016). Als Mitglied des Kuratoriums von forum Nachhaltig Wirtschaften skizziert er Wege in eine menschlichere Wirtschaft. Sein 1919 erschienenes Buch „Das Mephisto-Prinzip" kann auf dieser Website heruntergeladen werdenwww.menschengerechtewirtschaft.de

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Gesellschaft | Politik, 18.07.2022

     
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