Wenn Gerechtigkeit und sozialer Frieden auf dem Spiel stehen
Christoph Quarch würde den Tankrabatt gerne wieder abschaffen und eine Übergewinnsteuer einführen
Seit Anfang Juni haben wir in Deutschland den sogenannten Tankrabatt: eine Senkung der Mineralölsteuer, die den Verbraucher von der inflationären Steigerung der Spritpreise entlasten soll. De facto aber sind die Kosten nach nur einer Woche wieder auf demselben Niveau wie zuvor. Profitiert haben von der Maßnahme bislang nur die Mineralöl-Konzerne. Immer mehr Politikerinnen und Politiker denken deshalb laut darüber nach, den Tankrabatt wieder abzuschaffen. So brachte Ex-Ministerin Renate Künast die Einführung einer Übergewinnsteuer ins Gespräch, um die Konzerne zu zwingen, die Spritpreise wieder auf ein angemessenes Niveau zu senken. Aber sind neue Steuern ein geeignetes Steuerungsinstrument? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch: Beibehalten oder abschaffen – wie stehen Sie zum Tankrabatt?
Der Tankrabatt hat von Anfang an den Nachteil, dass er einem falschen Gerechtigkeitsverständnis aufsitzt – demjenigen, das Aristoteles als absolute Gerechtigkeit bezeichnete: alle bekommen ungeachtet ihrer Verhältnisse dieselbe Begünstigung. Richtig wäre im Blick auf die Spritpreise aber ein proportionales Gerechtigkeitsverständnis, nach dem die einkommensschwachen Haushalte mehr entlastet werden als die wohlhabenden. Aber mal ganz von der Gerechtigkeitsthematik abgesehen, ist nun auch noch offensichtlich, dass die Maßnahme ihr Ziel einer Entlastung der Verbraucher komplett verfehlt. Deshalb bin ich für abschaffen.
Aber irgendetwas muss geschehen. Wäre die von Renate Künast, Kevin Künert und anderen geforderte Übergewinnsteuer ein probates Mittel zur Senkung der Spritpreise?
So wie es aussieht, profitieren tatsächlich nur die Mineralölkonzerne vom Tankrabatt. Sie halten die Preise weiterhin hoch und vergrößern ihre Gewinnspanne – womöglich um vorab schon einmal ihre Transformationskosten bei der Energiewende zu finanzieren. Das wäre ökonomisch verständlich, ist politisch und wirtschaftlich aber inakzeptabel. Die Preise an den Tankstellen entsprechen längst nicht mehr den Preisen auf den internationalen Rohstoff-Märkten. Das Ganze riecht nach Preisabsprachen, was kartellrechtlich jedoch schwer nachzuweisen ist und zu lange dauert. Deshalb sollte der Gesetzgeber reingrätschen und die Konzerne zur Kasse bitten.
Aber ist das gerecht? Anstatt die einkommensschwachen Haushalte zu entlasten, würde der Gesetzgeber in das Marktgeschehen eingreifen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat schon signalisiert, dass das mit ihm nicht zu machen ist.
Er sollte seine Position überdenken. Selbst die EU-Kommission, die nicht gerade für linke Propaganda bekannt ist, hat klar gemacht, dass sie das Instrument der Übergewinnsteuer für berechtigt hält, wenn Konzerne Krisensituation wie den Ukraine-Krieg ausnutzen, um sich zu bereichern. Wenn Länder wie Großbritannien und Italien diesen Weg bereits gehen, wüsste ich nicht, warum wir das nicht auch tun sollten, wenn Gerechtigkeit und sozialer Frieden auf dem Spiel stehen. Wenn Millionen Kraftfahrer dafür herhalten müssen, dass ein paar Aktionäre fette Gewinne machen, sind Regulierungsmaßnahmen unausweichlich.
Lindner lehnt die Übergewinnsteuer ab, weil sie auch auf Unternehmen angewandt werden müsste, die unverschuldet zu überproportionalen Gewinnen kommen: Pharmakonzerne zum Beispiel, deren Impfstoffe in der Pandemie eine außerordentliche Nachfrage hatten. Es könne nicht sein, dass solchen Wohltätern der Gesellschaft neue Steuern aufgezwungen werden.
Ich habe nichts dagegen, wenn Unternehmen viel Geld verdienen. Aber es gibt eine feine und schwer zu definierende Demarkationslinie, die dabei nicht überschritten werden sollte – und das nicht aus moralischen, sondern aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. Gesellschaften brauchen ein inneres Gleichgewicht, und auch der Markt verträgt zu große einseitige Akkumulation von Geld nicht. So etwas führt immer zu Spannungen, die sich irgendwann für alle unheilvoll entladen. Deshalb ist es gut und klug, Konzerngewinne durch Steuern zu deckeln. Der Gesetzgeber hat dieses Instrument – und er hat in einem Fall wie diesem die politische, rechtlich und ökonomische Legitimation, es auch anzuwenden.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Politik, 09.06.2022
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