Christoph Quarch
Gesellschaft | Politik, 04.02.2021
Der verlorene Ehrgeiz
Christoph Quarch vermisst auf dem Impfgipfel Fehlerkultur und Motivation
Es sollte der große Impfgipfel werden, aber herausgekommen ist allenfalls ein Gipfelchen mit dünnen Ergebnissen: ein Impfplan soll erstellt werden, ein „Impfangebot" für alle wird in Aussicht gestellt – und im Übrigen bleibt alles beim Alten: keine Strategie-Änderung, kein Eingeständnis von Versäumnissen oder Fehlern. Maximal das Versprechen, es jetzt besser machen zu wollen. Doch gerade das macht hellhörig.
Geht es wirklich ums Wollen oder geht es hier ums Können? Fehlt es uns an Willenskraft oder fehlt es uns an Kompetenz? Herr Quarch, was sagt der Philosoph dazu?
Zunächst einmal finde ich beide Optionen ziemlich niederschmetternd. Ob man ihr nun mangelndes Wollen oder mangelndes Können attestiert – einer Regierung steht beides schlecht zu Gesichte. Und am schlimmsten ist es eigentlich, wenn sich der Eindruck vertieft, dass es an beidem gleichzeitig fehlt: am Wollen und am Können. Denn seien wir doch mal ehrlich: Die Liste der Fehlschläge ist im Laufe des letzten Jahres bedenklich lang geworden: millionenschwere Covid-App verbockt, zweite Welle aus dem Ruder gelaufen, Novemberhilfen verschleppt – und jetzt das Impfdesaster. Und das in einem Land, das einmal stolz auf seine Organisationskünste war. Ich finde das alarmierend.Naja, aber ganz so schlecht sind wir bislang nicht durch die Pandemie gekommen. Vor allem trägt die Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung nach wie vor mit.
Aber der Unmut wächst. Viele Menschen, mit denen ich Rede, entsetzt darüber, dass unsere Verantwortlichen nicht in der Lage zu sein scheinen, Fehler einzugestehen und offenbar glauben, alles richtig zu machen. Ich teile dieses Entsetzen, denn ich deute dieses Verhalten als Symptom eines mentalen Erstarrens, das ich überall in unserer Gesellschaft beobachte. Deshalb ist es kein gutes Zeichen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen mitträgt. Daran erkennt man, dass die Politiker nur die Spitze des Eisbergs sind. Wir sind als Gesellschaft zu bequem geworden. Wir reden uns immer noch ein, Made in Germany sei ein in Stein gemeißeltes Gütesiegel. Aber wir tun nichts mehr dafür, ihm zu genügen. Und genau deshalb fehlt es uns sowohl an Willenskraft als auch an Kompetenz.
Die deutsche Wirtschaft erweist sich doch aber gerade als äußerst krisenfest – und weltweit genießen wir immer noch ein großes Renommé.
Jeder Unternehmer weiß, dass es für den bleibenden Erfolg seines Unternehmens tödlich ist, sich auf seinen Erfolgen auszuruhen und in den Verwaltungsmodus zu switchen. Das mag eine Weile gut gehen, aber dann verschläft man die Innovation, dann zieht der Schlendrian ein, dann wird man bequem und fokussiert sich nur noch darauf, den Laden irgendwie am Laufen zu halten: Innovation? Fehlanzeige. Digitalisierung? Ja, aber. Motivation? Och nö, law and order ist bequemer. Im Verwaltungsmodus erlahmt jede Willenskraft. Da gibt es keinen Ehrgeiz mehr – keinen Willen zur Weltklasse. Da verblasst das Made in Germany zu einer Erinnerung an alte Tage.
Was würden Sie sich denn wünschen: den viel zitierten Ruck, der durch die Gesellschaft gehen soll?
Absolut – vor allem aber erstmal durch unsere Politikerhirne. Noch mal zum Impfgipfel: Warum gibt es hier kein: „Okay, wir haben das verbockt; aber genau das nehmen wir zum Anlass, jetzt alles besser zu machen, den Impfplan zu ändern. Verdammt, wir krempeln die Ärmel hoch und sehen zu, dass wir es wenigstens noch zum Impf-Euromeister schaffen, wenn schon die Israelis in Sachen Weltmeisterschaft auf und davon sind. Es wäre einfach toll, wenn irgendwie von den Verantwortlichen des Landes so etwas wie Motivation ausginge - wenn sie Ehrgeiz zeigten und Wirtschaft und Gesellschaft dabei mitreißen. Aber nein: Man klopft sich lieber auf die Schultern und begnügt sich damit … was war das doch gleich? … Reiseweltmeister zu sein. Alles klar?
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
Hören Sie ihn persönlich im SWR-Podcast Frühstücks-Quarch. Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
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