Peter John Mahrenholz

CXR

Die Neuerfindung der CSR

Das neue Konzept der CXR gibt wirklich verantwortlichem Handeln eine zentrale Rolle, denn es fördert die Unternehmenstransformation und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit.
 
© Das 18te Kamel
Heute dominiert Corona unser Denken. Bald kommt die ungleich dramatischere Klimakrise zurück, später oder vielleicht sogar früher als wir denken dann die Krise des „Kapitalismus auf Entzug von der Wachstumsdroge". Das Meta-Thema der Krisenbekämpfung ist Verantwortung für unternehmerisches Handeln! Aber CSR, die institutionalisierte Ausdrucksform dieser Verantwortung, ist heute nur eine eigentümliche Randfigur im Corporate Game.

CSR wird nicht wirksam
1987 kam der Brundtlandt-Bericht der UN zum Thema Nachhaltigkeit, 2001 hat Brüssel das erste EU Grünbuch zur sozialen Verantwortung der Unternehmen veröffentlicht und erstmals für das Geschäftsjahr 2017 galt für kapitalmarktorientierte Unternehmen die Verpflichtung, einen CSR-Report zu veröffentlichen. Dieses jährliche Ritual hat aber keinen Rückenwind gegeben, hat eher die Isolation der CSR zementiert, sie von Identität, Geschäftsmodell und Organisation ihrer Unternehmen ferngehalten. Und sie hat gerade deshalb auch keine neue Qualität unternehmerischen Handelns bewirkt. Manipulationen an Motoren hat sie zugelassen, das Plastik-Problem nicht gelöst, Cum-Ex nicht verhindert und das Gift nicht aus der Landwirtschaft geholt – jeder mag sein Lieblingsbeispiel ergänzen.

Kommunikation als Schwerpunkt
Dieses Wirkungsdefizit demotiviert oft die Mitarbeiter in den CSR-Abteilungen, deren zu geringe Personalausstattung die Arbeit fast zwangsläufig auf zwei Kernbereiche limitieren muss. Bereich eins ist die Kommunikation. Sie macht häufig den Löwenanteil der Aufgaben aus. CSR und Kommunikation sind sich organisatorisch oft sehr nahe und in nicht wenigen Fällen sogar in gemeinsamer Verantwortung. Arbeit und Ergebnisse erscheinen deshalb oft defensiv und erzählerisch. Viele CSR-Projekte zeugen zudem von der Nähe zu einem Sponsoring-Verständnis – ein konkreter Bezug zu Identität und Geschäftsmodell fehlt.

Der Tätigkeitschwerpunkt im Bereich zwei hat oft Züge einer Delegation von Verantwortung. Da echter Durchgriff in der Organisation nicht möglich ist, konzentriert sich die Arbeit der CSR-Abteilung auf Aktionen mit den Interessenverbänden, standardisierte Zertifizierungen und das Management der Lieferketten. Solche „Remote Responsibility" hält die eigene Organisation von vielen Problemen frei und macht Lösungen berechenbarer.

Verantwortung zwischen Frust und Hype
Nichts davon ist falsch und aufgrund des damit übersichtlichen Personaleinsatzes scheinen die CSR-Minimalziele effizient erreicht zu werden. Aber es bleibt ein Sicherheitsabstand zu den Kernstrukturen des Unternehmens. Mitarbeiter in der CSR, angetrieben von echter Sehnsucht nach Fortschritt, erleben eine Identitätsstörung: Einerseits spüren sie die positive Resonanz auf Nachhaltigkeitskommunikation. Andererseits haben sie demotivierende Auseinandersetzungen mit Finanzabteilungen, Einkauf oder Unternehmensstrategie. Dort, tief in Identität und Geschäftsmodellen, fühlt sich die CSR nicht als gestaltender Teil des Unternehmens, sondern als Bremser, Störimpuls und Kostenfaktor.

Verantwortung als Meta-Thema im Unternehmen
Verantwortung steckt begrifflich nur in der CSR, tatsächlich muss sie aber in allen Bereichen verankert werden: Strategie, Einkauf, Produktion, Marketing etc. In der HR beispielsweise erweitert sich im Verantwortungskontext der Zielkatalog um Weiterbildung, Qualifizierung für zukünftige Herausforderungen etc. „Corporate Employee Responsibility" möchte man fast sagen, CER, wobei die letzte Facette auch der CDR (Corporate Digital Responsibility) zugeordnet wird, einem bereits etablierten Begriff, unter dem Daten, Algorithmen und Künstliche Intelligenz im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung und unternehmerischer Verantwortung diskutiert werden. Klar wird: Zwischen Corporate und Responsibility gehört mehr als das, was wir unter Social subsumieren.

Der neue Verantwortungsbegriff der CXR
Beispiele für gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit und Ertragskraft aus gesamthafter CXR-Strategie. © REVA, Responsibility in Economic Valuation and Analysis, Das 18te KamelDie begriffliche Unterscheidung zwischen Verantwortung im sozialen Bereich, in Umweltfragen oder beispielsweise im digitalen Bereich ist nicht mehr sachgerecht. CSR und CDR sind Facetten eines ganzheitlich zu definierenden Verantwortungskonzeptes. Auch die Frage, ob sich Verantwortung lokal, national oder global versteht, ignoriert die Bedingungen globaler Medien, Märkte und Ökosysteme.
In Zukunft liegt die Verantwortung zentral in Identität, Strategie und Geschäftsmodellen und wird im Querschnitt durch alle Bereiche des Unternehmens umgesetzt. Wir sprechen dann von einer Corporate Cross-Responsibility, CXR. Dieser Begriff für ein neues Verständnis von Verantwortung entspricht der gelernten CXO-Nomenklatur. X steht für jede Form verantwortlichen Handelns. Ob lokal oder global, sozial oder digital, ob philanthropisch oder profitorientiert. CXR steht auch für »Corporate meets Responsibility« als Purpose-induzierter Gesamtauftrag und letztlich als Aufhebung eines Gegensatzes zwischen extern orientierter Verantwortung und interner Orientierung an Unternehmenszielen.

CXR als wirksamer Transformationsfaktor
Zukunftsorientierte Transformation lässt sich nicht im Projektmanagement, also auf der Mikro-Ebene, erreichen. Nur ein Neudenken der Makro-Strukturen von Identität und Geschäftsmodell kann nachhaltig Wirkung auslösen. Dazu nimmt die CXR Positionen und Wertungen aus Gesellschaften und Gemeinschaften auf und bringt sie konstruktiv in das Unternehmenshandeln ein. Das ganzheitliche Verantwortungsdenken ist damit ein zentraler Teil der Transformation und wird zum Inkubator neuer Unternehmenskulturen. CXR wird damit direkt handlungsleitend für die digitale und soziale Transformation und schafft damit zukunftssichere Unternehmen.

Die Organisationsentwicklung hat bereits begonnen
Was die Cross-funktionale Integration von Verantwortung leicht macht: Viele Unternehmen befinden sich – unter dem Titel „Digitale Transformation" – bereits im Prozess dieses Umbaus. Mit sozialen Facetten zusammengedacht ergeben sich Kontexte wie beispielsweise New Work: Von digitaler Technologie über Arbeitsplatzgestaltung bis zur Sinnfindung verbinden sich technik- und wertebezogene Aspekte. Es gilt, in den gegenwärtigen Neubestimmungen der Organisation die CXR-Einbindung mitzudenken – quasi als doppelte Zukunftssicherung in einem Arbeitsgang. Mit der Lufthansa hat der erste DAX-Konzern das Ressort Corporate Responsibility 2020 in die Vorstandsressorts eingebracht. Das kann die grundsätzlichen Probleme des Luftverkehrs nicht lösen, ist aber ein wegweisender Schritt für die Organisation. Und der sollte genauso selbstverständlich sein wie die Anbindung einer Compliance-Verantwortung – oder gleich die Zusammenführung beider Bereiche.

CXR ist Ertragstreiber
Die strategische Wahrheitsfindung in Unternehmen braucht Kennzahlen (KPI). Und die gibt es für bestehende Geschäftsmodelle in bestehender Logik. CSR in der heute überwiegenden Form zwischen Kommunikation und „Remote Responsibility" ist hier nicht anschlussfähig. Ergebnis: CSR wird als kostspielig und komplexitätssteigernd gesehen. CXR dagegen entwickelt sich weiter zu Wettbewerbsbezug und Ertragssteigerung, wird zur Investition in die strategische Aufstellung und Innovationsfähigkeit des Unternehmens.

Daraus ergeben sich viele positiv ergebniswirksame Dimensionen praktizierter Verantwortungsübernahme. Das schätzen auch große Kapitalgeber: Der Markt für Impact-orientierte Anlagen boomt seit Jahren, der im Juli 2020 veröffentlichte World Wealth Report von Capgemini bestätigt den Trend zu nachhaltigen Investmentstrategien.

Regulierung kann Geschäftsmodelle zerstören
Eine verantwortungsvolle Ausgestaltung aller Geschäftsmodelle adressiert die Verbindung zwischen Unternehmen und Gesellschaft. Anderenfalls schlagen gesellschaftliche Wertungen über Regulierung zu und bedrohen vormals hochprofitable Geschäftsbereiche. Die Stromkonzerne mussten das bitter erfahren. Aber auch Akteure aus Mobilität und Medizin sollten sich dieser Perspektive so schnell wie möglich stellen, gefolgt von den Branchen Lebensmittel, Finanzwirtschaft, Textil, Handel und sukzessive allen anderen. Die Moralisierung der Märkte geht weiter und wird damit zum Treiber des CXR-Konzepts.

Verantwortung als europäische Identität 
Die Argumente für CXR im Unternehmen sind stark. Und sie zeigen eine Zukunftsbezogenheit, die der deutschen Unternehmenskultur oft abgeht. Heute stellen wir fest, dass ganz Europa die erste Sturm-und-Drang-Phase der Digitalisierung komplett verschlafen hat. Jetzt sollten wir unsere Kräfte nicht auf eine sinnlose Aufholjagd verschwenden, sondern direkt die nächste Stufe der digitalen und sozialen Transformation nehmen.

Das ob seiner Trägheit oft gescholtene, manchmal abgeschriebene Old Europe hat damit die Möglichkeit, aus seiner Widersprüchlichkeit, kulturellen Vielfalt, und zweifelnden Dialektik gerade jetzt führende Ideen und Akteure eines neuen „Educated Capitalism" zu entwickeln: Zwischen schrankenlosem Silicon-Valley-Liberalismus und einschränkendem Pekinger Überwachungspaternalismus könnte der Dritte Weg Europas liegen, der Verantwortung sowohl gegenüber dem Einzelnen als auch der Gemeinschaft übernimmt. Soziale Marktwirtschaft, Sozialpartnerschaft, Soziale Versicherungssysteme: In der alten Ordnung haben wir gerade in Deutschland erfolgreiche Verantwortungsinnovationen erdacht. Mit solcher Gestaltungsfreude und Konsequenz jetzt die Geschäftsmodelle der Zukunft aus Big Data und Künstlicher Intelligenz zu bauen, ist die Aufgabe. Die Etablierung des Verantwortungsgedankens quer über alle Bereiche und tief im Herzen der Unternehmen ist der erste Schritt in Richtung einer Ökonomie für das Gemeinwohl.

Peter John Mahrenholz gründete nach 20 Jahren in Strategie und Management 2016 den beratenden Think Tank „Das 18te Kamel". Schwerpunkt seiner Arbeit ist die strategische Entwicklung von Unternehmens- und Markenidentitäten im Transformationskontext.

Dieser Artikel ist in forum 03/2020 - Digitalisierung und Marketing 4 Future erschienen.

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