Tina Teucher

„Unternehmensdemokratie geht uns nicht weit genug“ 

forum Interview zu hierarchielosen ­Unternehmen

forum Redakteurin Tina Teucher will mehr über hierarchielose Unternehmen erfahren und befragte Stephan Heiler nach seinen Erfahrungen und Gefühlen auf dem bisherigen Weg zur neuen Unternehmenskultur.
 
Herr Heiler, wollen Sie in Ihrem eigenen Unternehmen gar nichts mehr zu sagen haben?
Stephan Heiler © Chris KreymborgNur genauso viel, wie alle anderen auch. 2014 habe ich mich deshalb für einen Transformationsprozess unseres Familienunternehmens entschieden und mir damit auferlegt, dass dies meine letzte persönlich hierarchische Einzelentscheidung ist. So kam es auch: Wenn ich einmal nicht nach diesem Anspruch handelte – z.B. wenn ich bei einer Bewerberauswahl meinen Wunschkandidaten nannte – dann bekam ich das sofort von den Kollegen aufs Brot geschmiert. Ich musste lernen, mich bei solchen Diskussionen zurückzunehmen. Seit gut drei Jahren gelingt mir das nun ziemlich gut. Es entsteht nun nicht mehr der Eindruck, dass ich irgendetwas alleine durchdrücken möchte. 

Wo wird der Wandel in Ihrem Unternehmen noch sichtbar?
Wir sind umgezogen und haben zwei Standorte unter ein Dach gebracht. Das wollten die Mitarbeiter so – und wir verwirklichen damit den Geist der neuen Arbeitswelten in der Architektur, z.B. mit flexiblen Arbeitsplätzen und vielfältig nutzbaren Räumen. 

Wann fällt es schwer, die neue Unternehmenskultur durchzuziehen??
Die Herausforderung liegt zum einen im Zeitdruck, wenn man alle Mitarbeiter bei größeren Entscheidungen mitnehmen will. Zum anderen geht es um Transparenz, Kritikfähigkeit und Fehlertoleranz als Haltung. Es braucht bei jeder einzelnen Person im Team die Fähigkeit der Selbstreflexion. Jeder sollte regelmäßig Feedback zulassen, über sich und seine Wirkungsweise nachdenken und  Schlüsse daraus ziehen. Besonders fordernd ist aber das Bild von Führung, das wir Menschen normalerweise im Kopf haben. Hier gilt es steuernd einzugreifen. Wir schränken bei uns bewusst alle – selbst „natürliche" – Führungskräfte in ihrem Alphatierverhalten ein, denn wer das „Macher-Gen" sehr ausgeprägt in sich trägt, wirkt nicht immer förderlich für die komplette Mannschaft. 

Das ist schwer verständlich. Firmen suchen doch nach „Machern"...?
Ja, aber wenn diese zu souverän oder gar dominant sind, dann schalten andere Kollegen ihr Denken aus, lehnen sich zurück und nutzen den Komfort einer solchen natürlichen Führungskraft. Es ist eben manchmal anstrengend, wenn man sich selbst ein Bild machen muss aus den vorhandenen Informationen, um dann Entscheidungen mitzutragen. 
 
Wollen die Führungskräfte plötzlich keine Führungskräfte mehr sein??
Doch – und das habe ich unterschätzt. Ich wollte mit dem Wandel der Unternehmenskultur nicht allein vorpreschen und habe mir ein Kernteam zusammengestellt, das den Prozess begleiten sollte. Nach der Systematik von John P. Kotter braucht man im Change Management ein Team mit verschiedenen Charakteren – und das besetzte ich aus den damaligen Führungs- und Nachwuchsführungskräften. Allerdings sägt man mit diesem Wandel ja am Selbstverständnis von Führungskräften und bringt ihr Weltbild ins Wanken: „Deine Mitarbeiter sind vielleicht genauso clever wie Du". Das muss man erstmal aushalten! Fünf von sieben Personen aus dem Kernteam für den Wandel haben die Firma verlassen. 

Was hat sich für Sie als Führungskraft geändert?
Kundenrückmeldungen bekomme ich zum Beispiel jetzt nicht mehr so intensiv mit. Das ist auch logisch, denn die Organe – in diesem Fall das Markt-Organ – agieren ja möglichst eigenständig. Probleme lösen sich jetzt in der Peripherie, also bei den Mitarbeitern selbst.
 
Das klingt nach Mehrarbeit für die Angestellten.
Die zahlt sich aber für alle aus. Früher haben zum Beispiel die Service- und Vertriebsleiter ihre Mitarbeiter mit Maßnahmen angeleitet und versucht, Probleme von oben herab zu lösen. Durch die neue Unternehmenskultur haben wir unsere Vorgehensweise verändert: Bei einer Vertriebstagung haben wir transparent aufgezeigt, wie ungünstig sich ein Kostenblock entwickelt hat und fragten alle Anwesenden, woran das liegen könnte. Innerhalb von nur zwei Wochen hatte die Mannschaft Maßnahmen eingeleitet, die das Budget um 30-40% herunterfahren konnten! Touren wurden anders geplant, bei überregionalen Subunternehmern wurde anders angeliefert – alles, ohne dass jemand darunter leiden musste. Ein Vorgesetzter hätte niemals ein solches Kostensparmodell umsetzen können.
 
Wie weit wollen Sie die Unternehmensdemokratie noch treiben?
Unternehmensdemokratie geht uns nicht weit genug. Ich habe rechtlich gesehen 100 Prozent der Macht, was auch nicht von heute auf morgen zu ändern geht. Dafür habe ich noch keine Lösung – vielleicht sind wir in fünf oder zehn Jahren eine Genossenschaft. Eine Möglichkeit wäre dann vielleicht auch die „Gesellschaft in Verantwortungseigentum", wie sie die Purpose Stiftung propagiert. Der nächste logische Schritt wären für mich Gehaltstransparenz im Sinne einer fairen, nachvollziehbaren, weil zusammen entwickelten Gehaltsstruktur. Eine Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmenserfolg haben wir 2018 eingeführt. 10 Prozent des erwirtschafteten Gewinns geht an die Mitarbeiter. Über Wirtschaftlichkeit und Gewinnverwendung soll offen diskutiert werden. Letztendlich sind dies alles Schritte, um das Unternehmen von privatem Eigentum zu befreien. Die Erträge sollen im Unternehmen bleiben sowie als Leistungsbonus an die Verursacher – die Mitarbeitenden – fließen.
 
Herr Heiler, wir bewundern Ihren Mut und danken für das Gespräch.
 
Stephan Heiler glaubt an die Mündigkeit des Menschen und schaffte die Hierarchien in seinem Unternehmen ab. Das Chaos blieb aus. Komplikationen gibt es wie in jeder Organisation mit Chefs auch. 

Dieser Artikel ist in forum 04/2019 - Food for Future erschienen.

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